US-Vorwahl:Sanders: "Wir sollten uns schämen, wie wir unsere Kinder behandeln"

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Hillary Clinton und Bernie Sanders diskutieren in ihrer TV-Debatte über Freihandel und Amerikas Waffen-Epidemie. (Foto: AFP)

In ihrer TV-Debatte diskutieren die Demokraten über Freihandel und Amerikas Waffen-Epidemie. In Flint, wo die Menschen verseuchtes Wasser trinken müssen, singen Sanders und Clinton ein Loblied auf den Staat.

Von Matthias Kolb, Washington

Zu Beginn der TV-Debatte spricht Anderson Cooper in aller Klarheit über einen der größten Polit-Skandale, die die USA in jüngster Zeit erlebt haben. "Wir sind hier in einer Stadt, die sich in einer Krise befindet und in der das Leitungswasser giftig ist. Der Staat und seine Angestellten haben nicht nur versagt, diese Krise zu verhindern. Sie haben die Krise verursacht."

Der CNN-Moderator beschreibt Schockierendes: Um Geld zu sparen, hat sich die Regierung von Michigan entschlossen, das Wasser für die Versorgung der verarmten Industriestadt Flint aus dem nahen Fluss zu verwenden. Obwohl die 100 000 Einwohner sich darüber beschwerten, dass von April 2014 an aus den Leitungen eine stinkende gelb-braune Brühe kam, dauerte es eineinhalb Jahre, bis Gouverneur Rick Snyder reagiert ( Hintergründe in diesem SZ-Artikel).

Weil Snyder ein Republikaner ist und die Bewohner von Flint arm und schwarz sind, reden die Demokraten aufgeregt über das mit Blei versetzte Trinkwasser in Flint. Hillary Clinton stimmte nur unter einer Bedingung zu, an weiteren Debatten teilzunehmen: Eine davon müsse in Flint stattfinden. Also fordern die Ex-Außenministerin und Bernie Sanders beide den Rücktritt von Gouverneur Snyder (Premiere für Hillary) und mehr Investitionen in die bröckelnde US-Infrastruktur.

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Flint dient den Demokraten als Beleg für die wichtige Rolle des Staats

Beide erinnern daran, dass es in vielen US-Städten Probleme mit Bleivergiftungen gibt, unter der Kinder besonders leiden ( etwa in Cleveland, wo der Parteitag der Republikaner stattfindet und Präsidentschaftskandidat John Kasich regiert) und versprechen, als Präsident innerhalb der ersten 100 Tage die Leitungen in allen Städten zu kontrollieren.

Das Wasser-Desaster von Flint gibt den Demokraten eine gute Möglichkeit, für die Notwendigkeit eines aktiven und gut finanzierten Staats zu werben und sich deutlich von den Republikanern abzugrenzen. Diese wollen bekanntlich die Rolle der Regierung in Washington so weit wie möglich zurückdrängen (Donald Trump ist auch hier eine Ausnahme).

Umfragen deuten auf Clinton-Sieg bei Vorwahl am Dienstag hin

Der Druck, sich in dieser Debatte zu profilieren, liegt auf Sanders: Der 74-jährige Senator aus Vermont liegt zwei Tage vor der Vorwahl in Michigan 25 Punkte hinter Clinton ( sie führt bei 56 zu 31 Prozent). Auch wenn er am Sonntag im Mini-Staat Maine eine weitere Vorwahl gewonnen hat, bräuchte er dringend einen Sieg im großen Industriestaat Michigan.

Also wirbt er für seine politische Revolution ("Regierung soll für alle arbeiten, nicht nur für reiche Spender") und attackiert Clinton für deren Unterstützung für Freihandelsabkommen wie Nafta. Sie betont, dass sie den TPP-Deal mit den Pazifik-Staaten ablehnt und hält Sanders vor, 2009 gegen die Rettung der Autoindustrie gestimmt zu haben - die wichtigste Branche in Michigan, wo Ford, General Motors und Chrysler ihre Hauptquartiere haben. Sanders erklärt sein "Nein" damit, dass die Steuerzahler nicht die Wall-Street-Banken retten sollten. Einen wirklichen Vorteil verschafft sich keiner - folglich bleibt Hillary Clintons Favoritenrolle wohl weiter ungefährdet. Wann immer es unangenehm wird, weichen beide auf ihre Lieblingsthemen aus.

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In Michigan ist der Anteil der schwarzen Wähler hoch (2008 waren es 23 Prozent). Bisher unterstützt diese Gruppe mit überwältigender Mehrheit Hillary Clinton. Auch deshalb stellt die Ex-Außenministerin ihren Einsatz für Flint in eine Reihe mit ihrer Arbeit als junge Anwältin gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern. Sie beklagt erneut den "systemischen Rassismus" in der US-Gesellschaft und fordert die Weißen zu mehr Mitgefühl auf: "Wir wissen nicht, wie es für schwarze Eltern ist, ihren Teenager-Söhnen sagen zu müssen, dass viele Mitbürger sie als Bedrohung empfinden."

Sanders wirft Hillary vor, dass die Sozialreformen ihres Ehemanns vor allem Afroamerikanern geschadet hätten. Der "demokratische Sozialist" will dafür sorgen, dass die USA weniger Bürger in Gefängnisse stecken und wirbt vehement dafür, die öffentlichen Schulen besser auszustatten ( ein riesiges Problem in Detroit, wo Eltern die Stadt verklagen): "Wir sollten uns schämen, wie wir unsere Kinder behandeln." Der Wert einer Gesellschaft zeige sich darin, wie die Schwächsten - neben Kindern die Älteren - behandelt werden. Es gelte darum, andere Prioritäten zu setzen: Anstatt die Steuern für reiche Bürger zu reduzieren, sollte hochwertige Bildung allen US-Amerikanern kostenlos zur Verfügung stehen.

Im Vergleich zu den TV-Debatten der Republikaner, jenen Schlammschlachten voller Beleidigungen und vulgärer Sprüche, wird bei den Demokraten substanziell über Themen und Politikfelder diskutiert. Dieser "Wahlkampf der Erwachsenen" ( so ein Leitartikel der Washington Post) ist zwar an diesem Abend nicht frei von einigen Nickligkeiten (Sanders sagt mehrmals barsch "Jetzt rede ich. Sie sind später dran" und "Lassen Sie mich ausreden"), aber der Umgangston ist doch fast immer höflich und respektvoll.

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Differenzen über Fracking und Waffen-Gesetze

Während sich Clinton und Sanders bei der Bewältigung der Wasserkrise in Flint recht einig sind, werden anderswo Unterschiede deutlich. Während Sanders Fracking rundherum ablehnt, kann sich Clinton dies unter bestimmten Auflagen vorstellen. Beide sind sich einig, dass potenzielle Waffenkäufer besser überprüft werden sollen, doch anders als die Ex-Außenministerin spricht sich Sanders nicht dafür aus, ein Gesetz zurückzunehmen, das Waffenhersteller vor Klagen schützt: "Das würde das Ende der US-Waffenindustrie bedeuten und dem stimme ich nicht zu."

Hillary Clintons Schluss-Statement lässt erneut ahnen, dass sie sich schon auf die eigentliche Wahl und den möglichen Gegner Donald Trump ("Er ist ein Eiferer") einstellt: "Ich werde mich von niemandem in die Gosse ziehen lassen." Trump habe Millionen Stimmen bekommen, sagt Clinton: "Aber es gibt einen Bewerber, der noch mehr Stimmen erhalten hat: Und das bin ich."

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