US-Staatsschulden als Wahlkampfthema:Das 16-Billionen-Argument gegen Obama

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So jung und so verschuldet: Der Schuldenstand der USA steigt auf mehr als 16 Billionen Dollar - höher als die Wirtschaftsleistung. Obamas Gegner, allen voran Vizekandidat Ryan, haben die perfekte Steilvorlage für ihre Attacken. Dabei wirken hier Kräfte, die jenseits der Kontrolle des Präsidenten liegen.

Jannis Brühl

Kredite wirken wesentlich attraktiver, wenn man sie abbezahlt hat. In ihrer Rede auf dem demokratischen Parteitag in Charlotte beschrieb Michelle Obama ihren Mann, den Präsidenten, als Gegenstück zu seinem roboterhaft wirkenden Konkurrenten Mitt Romney. Das Leben der Obamas vor einigen Jahrzehnten, es klang ein wenig nach Bonnie und Clyde: "Wir waren so jung, so verliebt und so verschuldet." Die Botschaft sollte sein: "Mein Mann hat es geschafft. Jetzt wird er sich auch um euch kümmern." Während Michelle die früheren Schulden ihres Mannes als romantisches Detail in seine Lebenserzählung einwebte, sprach Paul Ryan mehr als 1000 Kilometer entfernt über die aktuellen Schulden Obamas, die ihn seinen Platz im Weißen Haus kosten könnten.

Präsident Barack Obama hat in den ersten vier Jahren seiner Präsidentschaft mächtig Schulden gemacht. (Foto: REUTERS)

Obamas eigenes Finanzministerium hatte verkünden müssen, dass der Schuldenstand der Vereinigten Staaten 16 Billionen Dollar übersteigt und damit zum ersten Mal seit der Nachkriegszeit das Bruttoinlandsprodukt. Der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Ryan nutzte die Chance zum Angriff auf einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa: "Von allen gebrochenen Versprechen Barack Obamas sind die Schulden möglicherweise das Schlimmste." Es gehe um die Zukunft der Kinder und Enkel.

Der neue Rekordschuldenstand überschattet den Parteitag der Demokraten in Charlotte. Dabei hat Obama - wie andere Präsidenten - den Großteil der Verbindlichkeiten von seinen Vorgängern geerbt. Im Wahlkampf muss er trotzdem dafür geradestehen. Romney und Ryan lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, Obama als unsoliden Finanzplaner zu attackieren. Bei den Wählern können sie damit punkten: Defizit und Staatsschulden beschäftigen immer mehr Amerikaner. Einer Umfrage des Pew-Meinungsforschungsinstituts zufolge ist das Thema nach der generellen Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit das drittwichtigste für die Befragten - und damit entscheidender als Abtreibung, Kriminalität oder Umwelt.

Vordergründig tobt ein ideologischer Kampf darum, wie die Wirtschaftsleistung erhöht und Staatsschulden vermieden oder gar abgebaut werden könnten: Demokraten sprechen von einem Staat, der aktiv mit Investitionen, Hilfs- und Bildungsprogrammen gestaltet. Republikaner behaupten dagegen, sie könnten das Land vom Wildwuchs staatlicher Bürokratie und Ausgaben (mit Ausnahme der Militärkosten) befreien und in ein kapitalistisches Paradies verwandeln. Doch wenn es um Staatsschulden und das Defizit geht, kommen Faktoren hinzu, die mit Ideologie und Parteizugehörigkeit wenig zu tun haben - und die oft außerhalb der Macht des Präsidenten liegen.

Steigerung von fast 50 Prozent in nur einer Amtszeit

Es ist wahr: Das Defizit der Vereinigten Staaten betrug bei Obamas Amtsantritt 2009 10,6 Billionen Dollar. In jedem Obama-Jahr kam eine Billion hinzu. Nun sind es sogar 16 Billionen Dollar - eine Steigerung von fast 50 Prozent und das in nur einer Amtszeit. Die teuerste von Obamas eigenen Initiativen ist sein Konjunkturpaket gegen die Wirtschaftskrise. Bis 2019 trägt das Paket laut dem Haushaltsbüro des Kongresses fast 800 Milliarden Dollar zum Defizit bei - dem Fehlbetrag im Haushalt, der mit neuen Schulden gestopft werden muss. Hinzu kommt, dass durch die Wirtschaftskrise die Staatseinnahmen eingebrochen sind.

Doch die beiden größten Ausgabentreiber erbte er von seinem republikanischen Vorgänger George W. Bush. Die Kriege im Irak und in Afghanistan kosteten fast eineinhalb Billionen Dollar, dazu kam der 700 Milliarden Dollar teure Bail-out, mit dem der Staat 2008 nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers die Geldhäuser rettete. Während die Ausgaben stiegen, schmälerten Bushs "tax cuts", Steuererleichterungen für Reiche, die Einnahmen des Staates. Sie erhöhten das Defizit um fast zwei Billionen Dollar. Die New York Times hat ausgerechnet, dass Obamas neue Politik-Programme nur weniger als ein Drittel der von Bush kosten. ( Dabei hat die Zeitung die Ausgaben während einer möglichen zweiten Amtszeit Obamas geschätzt.)

Demokraten-Parteitag
:Michelle Obama im Sturm der Liebe

Ach, ist das rührend: Michelle Obama gibt sich beim Parteitag der Demokraten in Charlotte ganz verliebt in den Präsidenten. Das Kleid, das Bühnendesign, die ergriffenen Zuschauer - der Auftakt der großen Obama-Show ist ganz auf Harmonie ausgerichtet.

In absoluten Zahlen machte Obama praktisch genau so viele Schulden wie George W. Bush, nämlich mehr als vier Billionen - und das, obwohl der Demokrat erst eine Amtszeit hinter sich hat. (Allerdings sind Obamas Schulden wegen der Inflation weniger wert.) Dagegen war unter Bush der relative Anstieg massiver: Der Schuldenberg nahm in seiner Amtszeit verschiedenen Berechnungen zufolge um mehr als 80 Prozent zu, unter Obama um weniger als die Hälfte. (Allerdings gibt es Streit über die richtigen Kalkulationsmethoden, bei denen Inflation, Beginn und Ende des Berechnungszeitraums und Geld, das sich staatliche Stellen gegenseitig leihen, eine Rolle spielen.)

Wahlprogramme der US-Parteien
:Darüber streiten Obama und Romney

Der US-Wahlkampf eine Personality-Show? Zählen nur Köpfe? Keine Inhalte? Mit ihren Parteiprogrammen versuchen US-Präsident Obama und sein Herausforderer Romney diese Vorurteile zu entkräften. Ein Vergleich im Detail zeigt: Die Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten sind so groß wie selten.

Dabei hatte Bush junior so gute Startbedingungen. Unter seinem demokratischen Vorgänger Bill Clinton hatte der amerikanische Staat zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen Überschuss erwirtschaftet. Innerhalb eines Jahres nach seinem Amtsantritt hatte Bush aus dem Plus ein Minus gemacht. (Vor allem Freunde der Demokraten verbreiten gerne diese grafische Darstellung, die Bush nicht gut aussehen lässt. Und welche Programme wie zur Schuldenlast beigetragen haben, zeigt diese Grafik.)

Das bedeutet aber nicht, dass der Demokrat Clinton ein wirtschaftliches Genie ist. Zwar sanken unter ihm die Staatsausgaben, außerdem endete die konservative Strategie namens "Die Bestie verhungern lassen". So versuchten die Präsidenten Ronald Reagan und George H.W. Bush in den Achtzigern, den Staat zu zwingen, seine Ausgaben zurückzufahren: Sie ließen die Menschen einfach immer weniger Steuern zahlen. Doch der gewünschte Effekt blieb aus, die Ausgaben hoch. Und die Schulden stiegen weiter an. Mittlerweile glauben selbst ehemalige Berater von Bush senior nicht mehr an die Strategie - ganz im Gegensatz zu Paul Ryan und anderen aktiven Republikanern.

Vor allem aber erwischte Clinton einen historischen Moment. Die Neunziger waren ein Boom-Jahrzehnt. 1990 verdienten die meisten Amerikaner fast die Hälfte mehr als im Jahr 2000 - das bedeutete mehr Steuereinnahmen. Gleichzeitig wurde aber während Clintons Amtszeit der Grundstein für weiteres Unheil gelegt: Die Dotcom-Blase, in der substanzlose Internet-Unternehmen an die Börse gingen und am Ende Milliarden Dollar vernichtet wurden, blähte sich unter Clinton auf. Seine Finanzminister Robert Rubin und Lawrence Summers trieben die Liberalisierung der Finanzmärkte voran, die sich als mitverantwortlich für den Bankencrash 2008 erweisen sollte. Von 2008 an zahlten zunächst Bush, dann Obama dafür.

Wer ist der "biggest spender"

Doch ob Obama nun schuld an den Schulden ist oder nicht: Die "16 Billionen Dollar" sind nur ein Schlagwort im Wahlkampf. Linke und rechte Blogger streiten, welcher republikanische bzw. demokratische Präsident denn nun der biggest spender, der größte Verschwender, gewesen ist. Romney behauptet gerne, dass Obama mehr Schulden angehäuft habe als alle Präsidenten vor ihm gemeinsam ( was mehr oder weniger stimmt). Den Kniff hat er sich von Obamas Anti-Bush-Kampagne 2008 abgeschaut.

Sollte Obama trotzdem im November gewinnen, wird ihn der hohe Schuldenstand weiter beschäftigen. Die Zahl, die das Finanzministerium nun veröffentlicht hat, kommt der Schuldengrenze von 16,39 Billionen Dollar gefährlich nahe. Der Streit um dieses Limit hatte die USA im vergangenen Jahr sogar das makellose AAA-Rating der Agentur Standard&Poor's gekostet. 2013 müssen Demokraten und Republikaner wahrscheinlich wieder über eine Anhebung des Limits verhandeln. Ob Obama dabei sein wird, hängt vom Wahlausgang ab. Paul Ryan wird dann auf jeden Fall mit am Tisch sitzen. Als Oppositionspolitiker oder als Vizepräsident.

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