US-Senatorin Elizabeth Warren:Amerikas gefährlichste Sozialdemokratin

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US-Senatorin Elizabeth Warren. (Foto: REUTERS)

Sie gilt als Populistin, Anhängerin eines starken Staates und für manchen linken Demokraten als die bessere Hillary Clinton. Elizabeth Warren ist die vielleicht spannendste US-Politikerin der Gegenwart. Sie trifft den Nerv derjenigen Amerikaner, die Obama enttäuscht hat.

Von Johannes Kuhn, San Rafael

Zielstrebig steuern Mittelklasse-Limousinen auf das Universitätsviertel im kalifornischen San Rafael zu, vorbei an frisch geschnittenen Hecken und Bootsanhängern in den Einfahrten. Dort, wo die Sonnenstrahlen lau und die Vorgärten prächtig sind, gilt es, den amerikanischen Traum zu retten.

Elizabeth Warren ist an diesem Frühlingsnachmittag in die Stadt gekommen, jene Senatorin aus Massachusetts, die seit einigen Monaten die Phantasie der Demokraten beflügelt. Kaum jemand in Washington kritisiert die Banken harscher als die Wirtschaftsjuristin, niemand verlangt offener staatliche Eingriffe, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen.

Nun ist es nicht so, dass die Gegend rund um die Bay von San Francisco eine Enklave der Zurückgelassenen wäre. In San Rafael und den umliegenden Gemeinden liegt das Durchschnittseinkommen um ein Drittel höher als im Rest Amerikas. Die Mehrzahl der etwa 300 Zuhörer ist weiß, gut situiert und deutlich über 50. Mancher, der hier den Gehstock schwingt, wurde vermutlich schon unter John F. Kennedy sozialisiert.

Die Vergangenheit als Sehnsuchtsort

Die Vergangenheit, das weiß auch Warren, ist selbst in besseren Kreisen des verunsicherten Amerikas ein wertvolles Gut. "Als ich aufwuchs, hat ein Mindestlohn-Job gereicht, um eine dreiköpfige Familie durchzubringen", ruft sie während ihres 45-minütigen Auftritts dem Auditorium gestikulierend entgegen, und "Ich bin in einem Amerika groß geworden, das in seine Kinder investiert hat." Die 64-Jährige, die ihre Haare blond färbt und nicht nur deshalb weit jünger aussieht, erhält zustimmendes Nicken und Applaus.

Eigentlich stellt Warren hier ihre Autobiografie vor, doch ihre Buch-Tour durch die USA ist natürlich auch eine Kampagne, um sie im ganzen Land bekannt zu machen. Hartnäckig halten sich Gerüchte, sie könne als Kandidatin des linken Flügels in das Präsidentschaftsrennen einsteigen. Sie selbst sagt, sie wünsche sich Hillary Clinton als nächste Präsidentin, doch Buch und Auftritt entsprechen der typischen Vorbereitung einer Präsidentschaftskampagne: Die eigene Biografie erhält eine politische Deutung, die den Zustand des Landes erklärt.

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Warrens Erzählung ist eine von Angst vor dem sozialen Abstieg, die viele Amerikaner kennen. Sie berichtet vom Herzinfarkt ihres Vaters und den anschließenden Behandlungskosten, die ihre Familie beinahe ruiniert hätten. Von der Bedeutung des Mindestlohns für die Mutter in diesen Zeiten; von ihrem eigenen Weg als erste Akademikerin ihrer Familie, ausgebildet an einer wenig renommierten Universität, später als anerkannte Wirtschaftsjuristin lehrend und schließlich als Bankenkritikerin landesweit Beachtung findend.

Dieser Weg, meint Warren, sei seit 1980 versperrt. "Ronald Reagan zog damals die Polizei von der Wall Street ab", sagt sie. "Seitdem wurden die Reichen reicher und die Mächtigen mächtiger." Amerikas Mittelschicht verschwinde und mit ihr das, was das Land zusammengehalten habe. Das Publikum, dem Eindruck nach wie Warren selbst der Existenzsorgen längst ledig, stimmt von Herzen zu.

"Populistin" nennen sie Kritiker wegen ihrer einfachen Botschaften gerne, doch es schwingt darin auch Bewunderung für ihre Gabe mit, Nähe zum Publikum herzustellen.

Die dreifache Großmutter lacht auch den Vorwurf weg, allzu staatsgläubig zu sein. Eigentlich sei das wie mit dem Toaster, erzählt sie. In den Siebzigern habe sie mehrmals beinahe ihr Haus angezündet, weil Toaster damals Brot noch nicht automatisch ausspuckten - ein allgegenwärtiges Problem seinerzeit. Sie sei zwar ein Profi für das Löschen von Vorhängen geworden, aber am Ende habe die Regierung das Toaster-Problem erkannt und nur noch Geräte zugelassen, die sich automatisch abschalteten. "Das hat gewirkt. Warum wurde das für den Bankensektor versäumt?"

Als US-Präsident Barack Obama sie während der Finanzkrise zu seiner Beraterin machte und damit beauftragte, die Rechte von Konsumenten zu stärken, hörten die Banken solche Vergleiche häufiger. Seit Warren 2012 in den Senat gewählt wurde, hat sie auch das Washingtoner Establishment in den Fokus genommen. "Washington funktioniert für diejenigen, die eine Armee von Lobbyisten und Anwälten bezahlen können", ruft sie ihren Zuhörern zu und betont dann langsam jede Silbe: "Das Spiel ist gezinkt. Nur wir können daran etwas ändern!"

Sozialdemokratie als Revolution

Ob das nun Populismus oder die unangenehme Wahrheit ist: Am Ende pilgern die Massen beglückt hinaus zu ihren Mittelklasse-Wagen. "Sie ist so genial", schwärmt eine der wenigen Teenagerinnen unter den Besuchern. Nach den uneingelösten Universalversprechen des Barack Obama bietet Warren eine Sozialdemokratisierung des Landes an und wirkt damit im Jahr 2014 fast revolutionär.

Doch genügt das, um den amerikanischen Mainstream zu erreichen, diejenigen, als deren Verteidigerin sie sich sieht? Warren wird bald 65, sie hat nicht mehr viel Zeit für eine Kandidatur. Wäre sie die Richtige, wenn Hillary Clinton wider Erwarten doch nicht antritt? "Sie erreicht die Mitte der Gesellschaft emotional", analysiert eine Zuschauerin draußen auf dem Parkplatz. "Fast wie Sarah Palin." Verdutzt macht sie eine Pause und kann selbst nicht glauben, was sie gerade gesagt hat.

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