US-Senat:Republikaner blockieren Abrüstungsvertrag

Der einflussreiche Senator Jon Kyl boykottiert ein neues Atomwaffen-Abkommen mit Russland - obwohl selbst altgediente Außenpolitiker seiner Partei für den Vertrag werben.

C. Wernicke

Die Ratifizierung eines zwischen Russland und den USA ausgehandelten Abkommens zum Abbau von strategischen Atomsprengköpfen und Interkontinentalraketen droht vorerst am Widerstand konservativer Kongresspolitiker zu scheitern. Überraschend erklärte der republikanische Senator Jon Kyl am Dienstagabend, er könne dem Vertragswerk in diesem Jahr nicht mehr zustimmen. Als Verhandlungsführer der Opposition fällt Kyl eine innenpolitische Schlüsselrolle zu. Eine Blockade des START-Vertrags im Senat wäre ein schwerer Rückschlag für die Sicherheitspolitik von Präsident Barack Obama.

RUSSIA-US-DISARMAMENT-TREATY

Eine russische Interkontinentalrakete vom Typ Topol-M bei einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau. Die Zahl der für Nuklearwaffen tauglichen Trägersysteme soll mit dem neuen START-Vertrag reduziert werden.

(Foto: AFP)

Laut der US-Verfassung muss der Senat völkerrechtlichen Verträgen mit Zwei-Drittel-Mehrheit (67 von 100 Stimmen) zustimmen. Andernfalls treten Abkommen oder internationale Konventionen, welche die Regierung ausgehandelt hat, nicht in Kraft. Konkret sieht das vorliegende Vertragswerk vor, auf beiden Seiten die Zahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe für Langstreckenwaffen von derzeit 2200 auf künftig 1550 zu senken; zudem soll die Zahl der Trägersysteme auf maximal je 800 begrenzt werden. Dazu zählen auf U-Booten und auf Land stationierte Interkontinentalraketen sowie schwere Bomber.

Obamas "größte außenpolitische Priorität"

Innenpolitisch erschwert wird die Lage dadurch, dass Obamas Demokraten bei den jüngsten Kongresswahlen sechs Senatssitze verloren haben. Damit sind neben der Zustimmung von dann noch 53 Demokraten immerhin 14 republikanische Ja-Voten nötig. Diese Machtverschiebung tritt aber erst im Januar in Kraft. Obama hatte gehofft, den Vertrag noch vor Jahresende durch den Senat boxen zu können, wozu er nach heutigem Stand nur die Hilfe von acht Republikanern gebraucht hätte. Erst bei seiner jüngsten Begegnung mit seinem russischen Kollegen Dmitrij Medwedjew am Rande eines asiatischen Gipfeltreffens in Japan am vergangenen Wochenende hatte Obama versichert, die zügige Verabschiedung des START-Vertrags sei seine "größte außenpolitische Priorität".

Dieses Ansinnen scheint nun Senator Jon Kyl zu blockieren. Aufgrund "komplexer und ungelöster Fragen" hält Kyl es für falsch, den Vertrag noch vor Jahresende zur Abstimmung zu bringen. Kyls Vorbehalte beziehen sich vor allem auf die von den Republikanern verlangte Zusicherung der Regierung, die mit der Entwicklung von Raketen und Sprengköpfen beauftragten Forschungslabore (und damit die Atomwaffen selbst) weiter kontinuierlich zu modernisieren.

Die Opposition misstraut Obamas Zusage, zur Modernisierung des Nuklearwaffen-Komplexes in den nächsten zehn Jahren mindestens 80 Milliarden Dollar bereitzustellen. Laut US-Medien hatte Obama dieses Angebot erst vorige Woche in Telefonaten mit Senator Kyl um zunächst zwölf, dann sogar um 16 Milliarden Dollar aufgestockt. Zudem war am Freitag General Kevin Chilton, der Chef der nuklearen US-Streitkräfte, persönlich in Kyls Heimatstaat Arizona gereist, um den Senator als Wortführer der republikanischen Fraktion zum Einlenken zu bewegen.

"Schatten über dem Nato-Gipfel"

Altgediente republikanische Sicherheitspolitiker wie die ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger und George Shultz hatten zuletzt massiv für eine Ratifizierung des Abkommens geworben, ebenso der als moderat geltende Senator Richard Lugar, der republikanische Fraktionssprecher im Auswärtigen Ausschuss des Senats. Mehrere rechtskonservative Senatoren hatten jedoch bedeutet, sie vertrauten bei ihrer Entscheidung letztlich der Empfehlung von Kyl. Dasselbe gilt offenbar für einige der Tea-Party nahestehende Politiker, die von 2011 an dem Senat angehören werden.

Auch sagten John McCain und Lindsey Graham, die in Militär- und Sicherheitsfragen überaus einflussreichen Senatoren, ihre Bereitschaft zu einem Ja hänge von Kyls Plazet ab. Neben einer garantierten Modernisierung des Atomarsenals forderten die beiden Falken der Fraktion, der START-Vertrag und dessen Präambel dürften keinesfalls den Bau eines Raketenabwehrsystems behindern.

Unmittelbar vor Kyls Ankündigung vom Dienstag hatten US-Diplomaten eingeräumt, die weitere Verzögerung der START-Ratifizierung könne die Beziehungen mit Russland belasten und auch "einen Schatten über den Nato-Gipfel" werfen, zu dem Obama am Freitag in Lissabon eintrifft. Der START-Vertrag gilt als wichtigstes Ergebnis aller US-Bemühungen um einen Neuanfang mit Moskau - und als Voraussetzung dafür, dass Obama noch andere blockierte Abkommen, etwa zum Stopp von Atomtests, dem Senat zur Ratifizierung vorlegt.

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