US-Sanktionen:"Kreml-Bericht" der USA treibt russische Oligarchen um

US-Sanktionen: Die Skyline des Moskauer Finanzviertels

Die Skyline des Moskauer Finanzviertels

(Foto: AFP)
  • Der sogenannte "Kreml-Bericht" der US-Regierung, dessen Veröffentlichung für heute erwartet wird, könnte zu einer deutlichen Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen Russland un den USA führen.
  • Der Bericht soll womöglich einen Keil zwischen Russlands Oligarchen und den Kreml treiben.
  • Die russische Staatsspitze hat bereits "Vorsichtsmaßnahmen" angekündigt.

Von Paul Katzenberger, Moskau

Seit Wochen blickt die russische Finanzaristokratie auf den heutigen Montag. Im Laufe des Tages legt die US-Regierung dem Kongress den sogenannten "Kreml-Bericht" vor. Das Papier wird beschreiben, wie das am 2. August 2017 erlassene neue Sanktionsgesetz gegen Russland umgesetzt werden soll. Die russischen Eliten befürchten, dass sie der "Kreml-Bericht" in sehr viel höherem Maße ins Visier nehmen könnte, als es die bisherigen Sanktionen tun, die von den USA seit der Annexion der Krim gegen Russland im Jahr 2014 erlassen wurden.

In der russischen Presse wird schon seit Längerem darüber spekuliert, wer genau von den neuen Maßnahmen betroffen sein könnte. Die Tageszeitung Kommersant wollte etwa erfahren haben, dass der Bericht 50 Personen aus Putins engstem Kreis mit ihren Verwandten auflisten werde, was bis zu 300 Personen betreffen würde. Andere Quellen vermuten, dass noch sehr viel mehr Namen in dem Bericht auftauchen könnten.

Auf die Betroffenen könnten sich die neuen Maßnahmen sehr unangenehm auswirken. Der Bericht würde ihre bisher oft geheim gehaltenen Vermögensverhältnisse aufdecken und ihre Nähe zum Kreml aufzeigen. Außerdem sollen die Verflechtungen der Genannten mit US-Unternehmen detailliert offengelegt und die Auswirkungen möglicher Sanktionen evaluiert werden.

Es wird erwartet, dass nur ein Teil des Berichts veröffentlicht, und der Rest der Geheimhaltung unterliegen wird. Die Kriterien, die das Gesetz vom 2. August enthält, sind sehr allgemein gehalten: Es geht um Vermögen, Geschäftsbeziehungen und Verwandte - Eltern, Ehefrauen, Kinder und Enkel.

Psychologischer Effekt

Theoretisch könnte das bedeuten, dass etwa die Tochter eines hochrangigen Beamten, die in den USA über Grundbesitz verfügt, ihres dortigen Vermögens nicht mehr sicher sein könnte. "Das würde solche Leute hart treffen, denn sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie durchschaut sind, und dass die USA einer bestimmten Sorte Personen ans Leder gehen wollen, die in Putins korruptem inneren Zirkel aktiv sind", sagte Daniel Fried, der die US-Sanktionspolitik im State Department bis 2017 koordinierte und nun für die Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council tätig ist.

Wie Fried dem Kommersant weiter erklärte, gehe er nicht davon aus, dass die im "Kreml-Bericht" Genannten mit unmittelbaren Restriktionen, etwa Reise-Beschränkungen oder Konto-Sperrungen rechnen müssten. "Doch die Gefahr, künftig sanktioniert zu werden, erhöht sich für sie natürlich enorm."

Der russische Politikwissenschaftler und langjährige Kreml-Kritiker Andrej Piontkowskij erwartet, dass der Bericht bei den Genannten zunächst eher einen psychologischen Effekt haben wird. Er könne die breite Unterstützung unterminieren, die Putin in seinem inneren Zirkel seit Jahren genießt: "Es würde dazu führen, dass Putin seine Bedeutung für die Eliten verliert. Denn bislang bestand seine Funktion darin, sie und ihr Vermögen in Russland und im Westen zu schützen. Doch nun wird im Gegenteil die Nähe zu ihm zu einer Bedrohung."

Zwei neue Gruppen

Auch der schwedische Wirtschaftswissenschaftler und Osteuropa-Experte Anders Åslund vom Atlantic Council glaubt, dass auf der Liste nicht nur die bereits sanktionierten Oligarchen, sondern auch neue Namen auftauchen werden.

In einem Gespräch mit dem New Yorker Institute of Modern Russia nannte der Experte zwei neue Gruppierungen, die seiner Meinung nach ins Visier genommen werden sollen.

Möglichkeit eines westlichen Kurswechsels

Zum einen dürften seiner Meinung nach Menschen aufgeführt werden, "die für Putin Geld aufbewahren", wie etwa der Cellist und langjährige Putin-Freund Sergej Roldugin. 2016 enthüllten die "Panama Papers", dass Roldugin über ein Milliardenvermögen verfügt, dessen Herkunft sich nicht erklären lässt.

Zum anderen werden sich Åslunds Meinung nach wohl die Kinder einflussreicher Putin-Freunde auf der Liste wiederfinden, die Vermögen und lukrative Posten erhalten hätten. Zu diesem Kreis zählt zum Beispiel Roman Rotenberg, Sohn des engen Putin-Freundes und Judo-Kampfpartners Boris Rotenberg und Spitzenfunktionär im russischen Eishockey. Åslund geht davon aus, dass das Ziel des "Kreml-Berichts" sei, die russischen Eliten zu spalten.

Das Papier sei ein Affront gegen Moskau, schrieb auch die renommierte Moskauer Außenpolitik-Expertin Lilia Schewzowa in einem Beitrag für Radio Swoboda unter der Überschrift "Der Aussätzige".

Der "Kreml-Bericht" sei Ausdruck eines strategischen Schwenks im Westen, der es nicht mehr weiterhin dulden wolle, dass russische Eliten gleichzeitig "in den Westen integriert und gegen den Westen" eingestellt seien. "Das Gekungel zwischen westlichen und russischen Eliten brachte beiden Seiten Vorteile. Doch inzwischen werden die westlichen Partner für dieses Vergnügen zur Kasse gebeten", schreibt Schewzowa. So sei etwa die Deutsche Bank kurz nach Donald Trumps Amtsantritt von der US-Finanzaufsicht zu einer Strafzahlung von 425 Millionen Dollar verdonnert worden, weil sie russischen Kunden geholfen habe, zehn Milliarden Dollar zu waschen. Westliche Geschäftsleute würden sich daher in Zukunft sehr viel genauer überlegen, ob sie ihren Ruf durch Kontakte mit dubiosen russischen Geschäftsleuten gefährdeten, glaubt Schewzowa. Der Bericht sei Teil einer neuen US-Abschreckungspolitik gegenüber Russland.

Der Kreml nimmt die Möglichkeit eines westlichen Kurswechsels offenbar sehr ernst. Putins Sprecher Dmitrij Peskow teilte mit, die russische Regierung und der Präsident hätten "längst alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen". Außenminister Sergej Lawrow sekundierte, Russlands Außenpolitik werde vom Volk mitgetragen und der Versuch, sie "durch Druck auf die Eliten" zu ändern, werde scheitern. Das kann noch als das übliche Säbelrasseln abgetan werden.

Russischer Geldadel im Dilemma

Doch dass sich Putin 2017 zweimal mit Top-Geschäftsleuten getroffen hat - im September und Dezember, statt nur einmal gegen Ende des Jahres wie üblicherweise - wird von Experten als Hinweis auf die Nervosität der Eliten bewertet.

Denn de facto stand der Geldadel zuletzt vor dem Dilemma, wem gegenüber er Loyalität demonstrieren soll. Fiel er durch allzu große Nähe zur Kreml-Führung auf, stieg die Wahrscheinlichkeit auf die Sanktionsliste zu geraten und so künftige Auslandsgeschäfte zu gefährden. Ging er hingegen offen auf Distanz zur russischen Staatsspitze drohte im Inland Verdruss.

Diese Zwangslage erzeugte in Russland bereits Spannungen: So erklärte die größte russische Privatbank Alfa-Bank, keine Geschäfte mehr mit dem sanktionierten Verteidigungssektor machen zu wollen, um nicht auf der US-Sanktionsliste zu landen. Der Vorwurf des Verrats ließ daraufhin nicht lange auf sich warten.

Russlands Regierung bereitet nach Medienberichten gerade die Gründung einer neuen staatlichen Bank vor, um staatliche Rüstungsunternehmen vor Sanktionen zu schützen. Wie dringend die Maßnahme ist, wird der Kreml heute noch erfahren.

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