US-Republikaner:Trump weiß genau, was er sagt

Umwarb der Republikaner Waffenbesitzer oder deutete er Schüsse auf Hillary Clinton an? Trumps Worte lassen sich vielfältig auslegen. Auch deshalb sagt er ständig "Viele Leute sagen" und "Ich weiß nicht".

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Am Wochenende blieb Donald Trump ruhig und gab keine Interviews. Am Montag hielt er eine Rede über Wirtschaftspolitik und folgte weitgehend dem Teleprompter. Am Dienstag, bei Wahlkampfauftritten in North Carolina, spricht der Republikaner-Kandidat jedoch wieder frei drauf los und warnt sein Publikum vor einer Präsidentschaft von Hillary Clinton.

Wenn er im Weißen Haus sitze, würden die Stromkosten sinken, verspricht Trump und verbreitet im gleichen Atemzug die Lüge (mehr hier), dass die Demokratin das in der Verfassung garantierte Recht auf Waffenbesitz "im Prinzip abschaffen" wolle. Sie werde Juristen für den Obersten Gerichtshof nominieren, die das entsprechende Second Amendment verändern wollten.

Es folgt jene Aussage, über die nun in US-Medien und sozialen Netzwerken erhitzt debattiert wird: "Wenn sie ihre Richter auswählen kann, dann könnt ihr nichts mehr tun, Leute. Außer vielleicht die Unterstützer des Rechts auf Waffenbesitzes, vielleicht können die. Ich weiß es nicht."

Diese Sätze (und weil Clinton nur nach einem Sieg dem Senat Richter vorschlagen könnte) interpretieren Demokraten und Clintons Wahlkampfmanager als "gefährlichen Aufruf", nach der Wahl am 8. November Gewalt anzuwenden. Viele Journalisten fragen, ob Trump, der erklärte Feind der "Political Correctness", nicht erneut Grenzen des Anstands überschritten hat. Der Geschäftsmann hält das für einen Angriff der "unehrlichen Medien": Er habe nur die Waffenbesitzer und Mitglieder der National Rifle Association (NRA) aufgerufen, für ihn zu stimmen.

Entschuldigung oder Klarstellung? Nicht mit Donald Trump

Dass diese Aussage sofort weltweit Schlagzeilen macht, liegt aber auch an der Vorgeschichte. Der Republikaner hat zuvor davon gesprochen, dass bei der Wahl im November "sicher betrogen" werde, Hillary Clinton "der Teufel" sei - und seine Karriere als Polit-Einsteiger 2011 begann eben damit, die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaft von Barack Obama anzuzweifeln (mehr zu Trumps Rolle in der "Birther"-Bewegung).

Gewiss: Weil der US-Präsidentschaftswahlkampf viele Monate dauert, wählen die Kandidaten nicht immer die besten Formulierungen. Mitten in der "Hat Trump zu Schüssen aufgerufen?"-Debatte werden zwei Zitate aus dem Jahr 2008 hervorgekramt. Obama hatte mit "Wenn sie ein Messer mitbringen, bringen wir eine Pistole mit" versprochen, dass die Demokraten so viel Spenden sammeln würden wie die Republikaner.

Und auf die Frage, wieso sie ihre Kandidatur nicht beende, sagte Obamas Rivalin Clinton im Mai 2008: "Wir erinnern uns alle, dass Robert Kennedy 1968 im Juni ermordet wurde." Beide Aussagen waren unsensibel - oder schlicht dumm. Doch anders als Trump entschuldigen sich die Demokraten (wie auch viele Republikaner in ähnlichen Fällen) für das Missverständnis. Einen Satz wie "Natürlich rufe ich nicht zu Gewalt auf, wir streiten nur über Ideen", sagt der Republikaner in seinem Fox News-Interview nicht.

Trump hat Geraune als politisches Stilmittel perfektioniert

Die Reaktion des Immobilienmoguls ist immer gleich: Auf seine Sprüche folgt ein Aufschrei, viele Schlagzeilen und dann streitet er alles ab. Die jüngste Kontroverse ist typisch für die Kommunikationsstrategie des Republikaners, der Verschwörungstheorien gezielt einsetzt und das Raunen zur Kunstform gemacht hat. Trump verwendet laufend Formulierungen wie "Viele Leute sagen, dass ...", um ihm genehme Theorien zu verbreiten. Am Montag behauptete Trump fälschlicherweise, dass die Todesstrafe für einen iranischen Atomwissenschaftler mit Clintons E-Mails (mehr hier) zu tun habe.

Eine seiner dreistesten Behauptungen (Ted Cruz' Vater Rafael habe etwas mit dem Mord an John F. Kennedy zu tun) leitete Trump per Anruf im Frühstücksfernsehen ein. Er verwies auf einen Artikel in der Klatschpresse und orakelte "Niemand spricht darüber, warum nur?" Laufend tut der Geschäftsmann so, als denke er nur laut nach und übernehme diese Theorien nicht - doch der Medienprofi, der jeden Morgen Artikel über sich sichtet, kennt die Wirkung seiner Worte genau.

Als er Ende Mai Verschwörungstheorien aus den Neunziger Jahren, wonach Hillary und Bill Clinton unliebsame Gefolgsleute hätten ermorden lassen, hervorholte, leitete er das mit den Worten "Ich habe gehört, dass" ein. Gern betont Trump, er selbst wisse nicht genug, doch wenn noch immer Leute darüber redeten, müsse doch etwas dran sein. Die Formel "Ich weiß es nicht" dient sowohl als Lückenfüller in seiner Rede als auch zur Distanzierung.

Zum Schluss lohnt noch mal ein Blick auf eine etwas längere Passage der Rede in North Carolina: "Wenn sie (Hillary Clinton; Anm. d. Red) ihre Richter auswählen kann, dann könnt ihr nichts mehr tun, Leute. Außer vielleicht die Unterstützer des Rechts auf Waffenbesitzes, vielleicht können die. Ich weiß es nicht. Aber ... aber ich werde euch etwas sagen. Das wird ein schrecklicher Tag. Wenn Hillary ihre Richter schickt ... jetzt haben wir ein Patt. Ihr wisst ja, was passiert ist. Wegen Scalia haben wir ein Patt, das sollte nicht passieren. Richter Scalia sollte noch mindestens zehn Jahre leben, aber es ist passiert. Das war schrecklich."

Man muss die US-Politik schon genau verfolgen, um alle Anspielungen in diesem Wortsalat zu verstehen (im Februar verstarb der konservative Jurist Antonin Scalia; seitdem hat der Supreme Court nur acht Richter, weil die Republikaner im Senat Obamas Kandidaten blockieren) - und selbst professionelle Beobachter haben mitunter Probleme mit Trump. "Es ist sehr schwer, seine Reden auf Fakten zu überprüfen, weil er die Sätze einfach abbricht und Argumente nicht ausführt", sagte Bill Adair, Gründer der Politifact-Website, im Frühjahr im SZ-Gespräch.

Da sich Donald Trumps Kommunikationsstrategie seit Verkündigung seiner Kandidatur im Juni 2015 kaum verändert hat, liegen zwei Schlüsse nahe. Erstens stört es den Geschäftsmann offenbar nicht im Geringsten, wenn sich seine Aussagen auf vielfältige Art - je nach politischer Überzeugung und Standpunkt - interpretieren lassen. Noch wichtiger scheint der zweite Punkt. Auch wenn seine Auftritte nicht immer so wirken: Der 70-Jährige weiß genau, was er sagen und worauf er anspielen will.

Linktipp: Das komplette Transkript der kontrovers diskutierten Rede lässt sich auf der Website von Time.com nachlesen. NPR hat gesammelt, welche Verschwörungstheorien Trump schon verbreitet hat. Dieses CNN-Video analysiert die Trump-Rhetorik und das "Many people are saying"-Phänomen sehr gut.

Eines der bösesten Twitter-Memes #ManyPeopleAreSaying ist dieser hier.

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