US-Reformideen gegen NSA-Ausspähung: Mehr Freiheit, weniger Patriotismus

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Der Republikaner Jim Sensenbrenner will die Arbeit des US-Geheimdiensts NSA stärker kontrollieren und die Möglichkeiten der Agenten begrenzen.

(Foto: AFP)

Die NSA-Affäre hat bei wichtigen Politikern in Washington ein Umdenken ausgelöst. Selbst jene Parlamentarier, die mit dem "Patriot Act" das große Ausspähen möglich machten, fordern nun eine Reform der Geheimdienstgesetze. Eine Schlüsselfigur ist Jim Sensenbrenner - er kommt nun nach Europa, um seine Pläne vorzustellen.

Von Matthias Kolb

Jim Sensenbrenner weiß, wie man sich in Washington durchsetzt. Seit 1979 vertritt der Republikaner seinen Wahlkreis in Wisconsin im Repräsentantenhaus. In Verhandlungen sei Sensenbrenner "wie ein Pitbull", stöhnen Demokraten. Kurz nach 9/11 initiierte er mit dem demokratischen Senator Patrick Leahy den "Patriot Act", der den Geheimdiensten nach den Terroranschlägen nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zugestand. Doch nach Edward Snowdens Enthüllungen über die NSA steht für die beiden nun fest: Genug ist genug.

Bei ihrem Versuch, die Tätigkeiten der Agenten stärker zu überwachen, arbeiten der 70-jährige Sensenbrenner aus Wisconsin und der 73-jährige Leahy aus Vermont erneut eng zusammen. Bei ihren Auftritten betonen sie stets ihre Rolle als Ko-Autoren des "Patriot Act", um nicht als weltfremde Idealisten zu gelten, denen Amerikas Sicherheit nichts bedeutet.

In einem Gastbeitrag für Politico schrieben sie Ende Oktober: "Bei vielen Programmen der Geheimdienste stellen sich nicht nur viele Fragen über ihre Rechtsmäßigkeit. Diese Programme haben auch einen Preis, weil die Persönlichkeitsrechte der Bürger, unsere Geschäftsinteressen und unser internationales Ansehen beeinträchtigt wurden. Es ist Zeit für einen neuen Ansatz."

Dieser neue Ansatz trägt den sperrigen Namen "Gesetz zur Vereinigung und Stärkung Amerikas durch die Verwirklichung von Rechten und die Beendigung von Lauschangriffen, Schleppnetz-Fahndung und Online-Überwachung" (Uniting and Strengthening America by Fulfilling Rights and Ending Eavesdropping, Dragnet Collection, and Online Monitoring Act) - abgekürzt wird daraus der griffige "USA Freedom Act".

Es geht also darum, die Schlupflöcher des Patriot Act zu schließen - Freiheit und Patriotismus sollen wieder in die rechte Balance kommen. Schon am 9. Juni, also nur drei Tage nach der Enthüllung des PRISM-Programms durch Edward Snowden, hatte Sensenbrenner in einem Gastbeitrag für den Guardian gefordert, den "permanenten Missbrauch des Patriot Act" zu beenden. Hier, beim Schutz der individuellen Rechte, finden konservative, libertär angehauchte Republikaner und ultraliberale Demokraten eine gemeinsame Basis. Und mittlerweile werden in der außen- und sicherheitspolitischen Gemeinde vom Weißen Haus über diverse Denkfabriken bis zum Kongress mit Zerknirschung vorsichtige Schuldeingeständnisse geäußert.

An diesem Montagnachmittag wird Jim Sensenbrenner in der 9. Sitzung der "Sonderuntersuchung zu den illegalen Geheimdienstaktivitäten" des EU-Parlaments zu Gast sein und den Brüsseler Abgeordneten jenen Gesetzesvorschlag erläutern, den er und Leahy Ende Oktober eingebracht haben.

Dass sich Sensenbrenner auf den Weg in die belgische Hauptstadt macht, ist eine Aufwertung der beharrlichen Aufklärungsarbeit der EU-Abgeordneten. Allerdings gibt es in seinem Reformgesetz keine Passagen, welche die Spionageaktivitäten der NSA im Ausland begrenzen würde, wenn kein US-Bürger betroffen ist.

Europäer dürfen weiter bespitzelt werden

Der Plan von Leahy und Sensenbrenner sieht vielmehr vor, dass die Regierung nicht länger eine "Blankovollmacht" erhält, welche Maßnahmen die Dienste beim Datensammeln und Abhören ergreifen, um die Sicherheit Amerikas zu gewährleisten. Die NSA dürfte künftig nicht mehr die Telefondaten aller Amerikaner per geheimer Vorratsdatenspeicherung sammeln und deren Kommunikation mit Ausländern nur noch auswerten, wenn ein Richter dies erlaubt.

Künftig soll bei den Anhörungen vor dem Geheimgericht, das die Wünsche der Dienste überprüft, ein spezieller Anwalt anwesend sein, der erläutert, was diese Aktionen für die Privatsphäre der Bürger bedeuten würde - und dabei die Frage der Verhältnismäßigkeit stellen. Dass die Telekommunikationsfirmen künftig mitteilen sollen, wie viele Anträge auf Überwachung die Behörden gestellt haben, findet auch große Zustimmung von den Bürgerrechtlern der American Civil Liberties Union.

Mehr Kontrolle und Transparenz, weniger Geheimniskrämerei - das wäre die Konsequenz des "Freedom Act". Ein grundsätzliches Ende der Spähaktivitäten kommt für Sensenbrenner und Leahy jedoch nicht in Frage: Wenn es einen "begründeten Verdacht" gibt, soll es NSA, CIA und Co. natürlich gestattet sein, "in gezielter Art und Weise Informationen zu sammeln."

Rechtslage für Nicht-Amerikaner bliebe gleich

Wie hoch die Chancen für ein "Ja" in beiden Kammern sind, lässt sich schwer abschätzen. Im Repräsentantenhaus sind viele Konservative (gerade Sympathisanten der Tea Party) sauer auf die Datensammler der NSA. Im Juli fehlten nur acht Stimmen, um die Kompetenzen der NSA deutlich zu beschneiden. Damals brachte mit Justin Amash ein Neuling den Gesetzesentwurf ein - Sensenbrenner und Leahy können mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung noch effektiver um Stimmen werben.

Zeitgleich zu Leahy und Sensenbrenner hat sich eine andere Reformgruppe im Senat gebildet. Die Demokraten Ron Wyden, Mark Udall und Richard Blumenthal planen gemeinsam mit dem Republikaner Rand Paul ein Gesetz, das ebenfalls die Kompetenzen der NSA begrenzen soll. Gerade Ron Wyden, Senator aus Oregon, setzt sich seit langem für mehr Bürgerrechtsschutz ein und wird nicht ruhen, bis die Widerstände der "Status-Quo-Fraktion" ausgeräumt sind und die US-Bürger besser vor den Spähprogrammen geschützt sind. Wenn sich beide Gruppen verbinden, würde dies ihre Durchsetzungskraft deutlich erhöhen.

Und wie steht es um die Möglichkeit, dass Nicht-Amerikaner besser vor der Überwachung und dem Absaugen von Daten geschützt werden? Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung fragte ein holländischer Diplomat Sensenbrenner jüngst, ob denn nicht die Bevölkerung verbündeter Staaten das gleiche Recht auf Privatsphäre habe wie die amerikanische. Darüber habe er noch nicht nachgedacht, sagte der Republikaner und ergänzte: "Aber wir sind für gute Ideen immer offen."

Linktipps:

Die Washington Post führte Mitte Oktober ein Interview mit Jim Sensenbrenner über die Inhalte seines NSA-Reformgesetzes.

Wie in der außen- und sicherheitspolitischen Gemeinde Washingtons über den NSA-Skandal und dessen internationale Folgen gedacht, schildert Stefan Kornelius in diesem Text.

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