Newt Gingrich zu Protesten in Afghanistan:"Hamid Karsai schuldet uns eine Entschuldigung"

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Auch wenn US-Soldaten durch ihre Koran-Verbrennung ein ganzes Volks demütigen - der US-Republikaner Newt Gingrich sieht den wahren Skandal ganz woanders. In den USA ist die Stimmung wegen des Wahlkampfs so aufgeheizt, dass selbst Besänftigungsversuche böse Reaktionen hervorrufen - außerhalb des Landes dürften diese verheerend wirken.

Christian Wernicke, Washington

Newt Gingrich wird nachgesagt, er besitze politisches gut feeling - also ein verlässliches Bauchgefühl dafür, was seine Landsleute denken und fühlen. Auf dieses Talent baut der beleibte Republikaner, der sich gerade um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei bewirbt. Gingrichs Kampagne schwächelte zuletzt - weshalb er dieser Tage besonders starke Sprüche klopft.

Poltert gegen Afghanistans Präsidenten Karsai und erhofft sich davon Auftrieb im US-Wahlkampf: der republikanische Präsidentschaftskandidat Newt Gingrich. (Foto: AP)

Auch zu Afghanistan. Am Hindukusch nämlich, wo Muslime in blutigen Protesten gegen Amerikas Truppen rebellieren, hat Gingrich jetzt "einen Skandal" entdeckt. Nur meint der konservative Politiker nicht etwa das Sakrileg, dass achtlose US-Soldaten offenbar mehrere Exemplare des Korans auf den brennenden Müll warfen. Gingrich empört, dass Amerikas Staatsoberhaupt dafür nun gegenüber dem afghanischen Volk per Brief um Vergebung bat.

"Es ist ein Skandal, dass Präsident Obama sich bei Afghanistans Präsident Karsai ausgerechnet an dem Tag entschuldigt, da zwei amerikanische Soldaten von einem afghanischen Soldaten ermordet und vier weitere verwundet wurden", polterte der Mann, den viele seiner Anhänger als vermeintlichen Partei-Intellektuellen verehren. "Es ist Hamid Karsai, der dem amerikanischen Volk eine Entschuldigung schuldet, nicht umgekehrt!" Während eines Wahlkampfauftritts in der Provinz drohte Gingrich sogar: "Wir sollten 'Goodbye' und 'Good luck' sagen, wir brauchen dort nicht unser Leben zu riskieren und unser Geld zu verschwenden für jemanden, den das nicht schert."

Gingrich, ansonsten ein außenpolitischer Falke, baut offensichtlich darauf, dass die Fernsehbilder wütender Muslime vor US-Stützpunkten beim amerikanischen Wahlvolk zusätzlich das Verlangen schüren werden, endlich die eigenen Truppen heimzuholen. Das ist ein Verlangen, das bisher vorrangig unter Demokraten gärt, in der Partei von Barack Obama also. Der Präsident muss hoffen, dass sich die Lage am Hindukusch bald beruhigt. Sein "tiefstes Bedauern" und die Zusage, "die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen", soll helfen, weitere Racheakte (und Todesopfer) in Kabul, Herat oder Kandahar zu vermeiden.

Aber auch an der Heimatfront beschwichtigt das Weiße Haus: Selbst George W. Bush, betont Obama-Sprecher Jay Carney, habe sich 2008 im Namen Amerikas entschuldigt, nachdem ein GI einen Koran als Zielscheibe missbraucht hatte. Der Demokrat weiß, dass ihm die Republikaner jede Verbeugung als Schwäche anlasten. Mitt Romney, Obamas wahrscheinlichster Herausforderer, veröffentlichte voriges Jahr ein Buch mit seinem Credo unter dem Titel "No Apology".

"Schnell wachsende Mordgefahr"

Schadensbegrenzung - das ist alles, wonach Washington in dieser Krise strebt. Spekulationen, dass die Gewalt gegen US-Soldaten den Abzug vom Hindukusch beschleunigen könnte, weist das Pentagon zurück. Bisher ist geplant, bis Jahresende die Zahl der Soldaten auf 68.000 zu senken. Die Generäle wollen erst 2014 weitere Reduzierungen, das Weiße Haus hingegen würde gern schon 2013 weitere Bataillone heimholen.

Dass erneut zwei GIs durch die Hand eines afghanischen Soldaten starben, das muss dem Pentagon Sorge machen. Die Ausbildung von afghanischer Armee und Polizei ist der Kern der US-Mission - und die Voraussetzung für den geplanten Abzug 2014. Bisher hat die US-Armee die Gewalt zwischen den vermeintlichen Waffenbrüdern gern als "Einzelfälle" abgetan. Aber im Januar enthüllte die New York Times die vertrauliche Studie eines Heereskommandos, die vor einer "schnell wachsenden Mordgefahr" warnte.

Tödliche Auseinandersetzungen zwischen afghanischen und amerikanischen Soldaten seien "eindeutig nicht selten", sondern hätten "ein Ausmaß angenommen, das zwischen 'Alliierten' beispiellos ist in der modernen Militärgeschichte". Der Geheimreport zeichnet ein Bild tiefsten Misstrauens und latenten Hasses zwischen den Soldaten zweier fremder Kulturen.

Die Koranverbrennungen dürften diese Abneigung schüren. Und die Spannungen zwischen Kabul und Washington verschärfen. Präsident Karsai ist nicht mehr nur der willfährige Bündnisgenosse.

© SZ vom 25.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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