US-Präsidentschaftswahlkampf:Wie Donald Trump Polit-Weisheiten über den Haufen wirft

Donald Trump campaigns in Aiken, South Carolina, USA

Donald Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Aiken, South Carolina

(Foto: dpa)

Die meisten Republikaner-Wähler sind "ein wenig konservativ". Also hat ein Hardliner-Kandidat keine Chance, sagt Experte Henry Olsen. Doch dank Trump ist alles anders.

Von Matthias Kolb, Washington

Dass die Republikaner gerne streiten, ist auch außerhalb der USA bekannt. Das gängige Narrativ ist einfach: Dem Establishment (verkörpert durch Ex-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, John Boehner oder Jeb Bush) stehen die Außenseiter gegenüber, die für die reine konservative Lehre kämpfen (Ted Cruz und andere Tea-Party-Kandidaten). Weil die Außenseiter Kompromisse verabscheuen, treibt die Grand Old Party immer weiter nach rechts - und in Washington werden noch weniger Gesetze verabschiedet.

Henry Olsen hält dieses duale Modell für "eingängig, einfach und falsch". Er analysiert seit Jahrzehnten für konservative Gruppen Umfragedaten und Wahlergebnisse. Beim American Enterprise Institute präsentiert er nun die These seines Buchs "Four Faces of the Republican Party", die das Verhalten der Republikaner-Wähler schlüssig erklärt.

Nur einer passt nicht recht in die Theorie der "vier Gesichter": Donald Trump, der nach seiner umstrittenen "Einreiseverbot für Muslime"-Forderung in den Umfragen weiterhin zulegt und vor allem im Ausland als "hässliche Fratze" der Republikaner angesehen wird.

Der Vortrag des in Washington sehr angesehenen Olsen ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Dauer-Erfolg des Milliardärs die konservativen Eliten verunsichert und dazu führt, die von Experten im Minutentakt wiederholten Polit-Weisheiten zu hinterfragen. Olsen und sein Ko-Autor Dante Scala identifizieren "vier Gesichter" der Republikaner.

  • Moderate bzw. liberale Wähler: Sie sind nicht zwingend Mitglieder der republikanischen Partei. Auch das Recht auf Abtreibung stellen diese gemäßigt Konservativen, die etwa 25 bis 30 Prozent der GOP-Wähler ausmachen, nicht in Frage: Sie wollen Schulden abbauen und sich sicher fühlen. Viele Moderate leben in Florida sowie im Nordosten der USA. Sie unterstützten 2012 Jon Huntsman - und nun werben Bush, Ohios Gouverneur John Kasich und Chris Christie um sie.
  • "Ein wenig" konservative Wähler: Die somewhat conservatives schwärmen für freie Marktwirtschaft und wenig Bürokratie, doch zugleich soll das US-Militär stark sein - und der künftige Präsident soll vom ersten Tag an regieren können. Laut Olsen wird diese Gruppe von vielen Journalisten nicht beachtet. Sie akzeptieren, dass jemand wie John Boehner, Ex-Chef der Republikaner im Repräsentantenhaus, auch Kompromisse schließen muss. Weil die "etwas Konservativen" laut Olsen bis zu 40 Prozent der konservativen Unterstützer stellen und überall wohnen, sagt der Experte: "Sie entscheiden, wer der Kandidat wird."
  • Sehr konservative, strenggläubige Wähler: Diese wiedergeborenen Christen (Evangelicals) erwarten, dass Kandidaten über ihren Glauben sprechen und Abtreibung ablehnen. Diese Gruppe macht zwischen 20 und 25 Prozent der GOP-Wähler aus und ist besonders stark in den Südstaaten vertreten. Hochschul-Bildung ist laut Olsen für diese Gruppe eher selten. In den Jahren zuvor waren Mike Huckabee und Rick Santorum die Lieblinge; nun sind es Ted Cruz und Ben Carson.
  • Sehr konservative säkulare Wähler: Für die kleinste Gruppe (fünf bis zehn Prozent) kommt es drauf an, den Einfluss des Staates zurückzudrängen. Momentan ist "illegale Einwanderung" das wichtigste Thema dieser Wähler, die viel Sympathie für die Anliegen der Tea Party haben.

So weit, so schlüssig. Henry Olsen betont eine Tatsache, die für das Verständnis des Vorwahlkampfs sehr hilfreich ist: In Iowa (1. Februar) sind konservative Christen zahlreich, in New Hampshire (9. Februar) hingegen die Moderaten. In South Carolina (20. Februar) sind die "ein bisschen" Konservativen entscheidend, während die Säkularen in Nevada (23. Februar) stark sind.

Dies sollte in einem normalen Jahr dazu führen, dass in jedem Staat ein anderer Republikaner gewinnt. Doch Ende 2015 ist nichts normal: In drei der vier Bundesstaaten führt Donald Trump in den Umfragen (Details bei RealClearPolitics) - und in Iowa liegt er an Platz 2 hinter Ted Cruz. Und in den - weniger aussagekräftigen - USA-weiten Umfragen ist das Ergebnis noch klarer.

Obwohl Olsen ein geübter Redner ist, so merkt man doch, dass sein Modell von Trump ziemlich durchgeschüttelt wird. Dessen Popularität ist allumfassend: "Er punktet in allen Gruppen. Besonders stark ist er bei den Moderaten, etwas schwächer bei den Evangelikalen." Olsens Kategorien basieren auf ideologischen Überzeugungen, doch trotz seiner radikalen Forderungen setzt Trump stark auf klassenkämpferische Argumente und thematisiert die Ängste der Bevölkerung (gleiches gilt für Populisten wie Marine Le Pen). "Trump versichert jenen Amerikanern, die sich als Verlierer fühlen, dass er für sie kämpfen wird", sagt Olsen.

Schlüsselfrage: Gehen die Trump-Fans auch wirklich zur Wahl?

Der Experte betont, dass die Trump-Unterstützer noch immer in der Minderheit seien. Es gebe einen guten Indikator: Je niedriger der Bildungsabschluss, umso wahrscheinlicher ist eine positive Meinung. Im Saal des elitären Thinktanks wird der Satz "Die Leute mit hohen Bildungsabschlüssen hassen ihn am meisten" mit Lachen quittiert. Daten zeigen, dass Trump von vielen US-Amerikanern unterstützt wird, die sonst nicht an die Urnen gehen. Die alles entscheidende Frage kann auch Olsen nicht beantworten: "Werden die Trump-Fans auch zu Trump-Wählern?"

Er ist überzeugt, dass ein erfolgreicher Kandidat sich erst die Unterstützung einer der vier Gruppen sichern muss, um dann eine größere Koalition zu schmieden. Es brauche eine "Botschaft", die für die Moderaten und "ein wenig" Konservativen akzeptabel sei. Weil die Größenverhältnisse unter den konservativen Wähler recht stabil sind (Olsen verglich Daten von 2004, 2008 und 2012), verwundert es nicht, dass Bewerber wie John McCain und Mitt Romney nominiert wurden - und nicht die Hardliner Huckabee oder Santorum. Momentan traut Olsen nur einem Kandidaten zu, bei allen vier Gruppen Unterstützung zu finden: Marco Rubio, der junge Senator aus Florida.

Trump, der Latinos, Muslime, Journalisten, Frauen und viele andere Gruppen beleidigt hat, ist bei vielen Konservativen so unbeliebt, dass sich letztlich viele Konservative für "das kleinere Übel" entscheiden würden, prognostiziert Henry Olsen. Das würde bedeuten: Sie stimmen für jeden außer Trump. Ob dieser Fall eintritt, wird sich irgendwann im Frühjahr 2016 entscheiden.

Eine andere Frage wird an diesem Abend beim konservativen American Enterprise Institute nicht thematisiert: Welchen Einfluss hat Trump auf die Chancen der Republikaner bei der Präsidentschaftswahl im November 2016? Bisher gehen viele davon aus, dass der Milliardär eine ohnehin schwere Aufgabe noch schwieriger gemacht hat, weil seine Ausfälle den Demokraten viel Material für deren Kampagne liefert - und Trumps Aussagen vielen liberalen Amerikanern Angst macht. Ein Blogger der eher liberalen Brookings Institution bringt es auf den Punkt: "Trump sorgt bei den Republikanern für Kopfschmerzen, doch bei den Demokraten bläst er alle Sorgen weg."

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