US-Präsidentschaftswahl:Sesshaft in tiefster Provinz

Jagen, fischen, weiße Weiten: Sarah Palin schmückt sich gern mit den Attributen der großen Freiheit, die Alaska noch immer anhaften. Dabei hat sie zu Hause nicht nur Freunde.

Reymer Klüver

Dan Kennedy fährt einen herrlich rostzerfressenen, knallblauen Chevy und liebt Sarah Palin. Nun, er verehrt sie, genau genommen. Seine Stimme hat sie schon jetzt. Eine Stunde nimmt der Buchhalter sich Zeit, um all die Punkte anzusteuern, an denen die junge Frau, die in gut hundert Tagen vielleicht Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten sein wird, wie er es sieht, Zeichen ihrer Tatkraft gesetzt hat.

Sarah Palin, AFP

Der Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, Sarah Palin, wird Amtsmissbrauch vorgeworfen.

(Foto: Foto: AFP)

In Wasilla, ihrer beider Heimatort, einem langgestreckten Kleinstädtchen von gut 6000 Einwohnern an dem Highway von Anchorage nach Fairbanks tief im Inneren Alaskas. "Sarah", sagt er, fast alle hier nennen ihre Gouverneurin beim Vornamen, "Sarah hat das Potential von Wasilla erkannt."

Bis vor zwei Wochen hatte von Wasilla noch kaum ein Amerikaner je gehört-genauso wenig wie von der Frau, die sechs Jahre lang zwischen 1996 und 2002 als Republikanerin Bürgermeisterin dieser Kleinstadt war und danach zur Gouverneurin Alaskas aufgestiegen ist, des mit Abstand größten aller US-Bundesstaaten mit allerdings fast der kleinsten Einwohnerzahl (nur gut 600.000 Menschen leben hier).

Versorgungsposten für Goldgräber

Tatsächlich aber ist Wasilla, einst gegründet als Versorgungsposten für Goldgräber, seit Palins Amtszeit die am schnellsten wachsende Gemeinde des Bundesstaats. Boomtown in Amerikas fernem Nordwesten, umgeben von nichts als Natur: den unwirtlichen Geröllfeldern kahler, grauer Berge und niedrigen Polarwäldern mit ihren krüppligen Kiefern und fahlen Birken. Im arktischen Herbsthauch färben sich deren Blätter dieser Tage bereits gelb.

Dan, der auch bei Temperaturen um die zehn Grad noch weiße Shorts trägt und eine Sonnenbrille in seinen dichten Haarschopf gesteckt hat, obgleich es leicht nieselt, führt das neue Wasilla mit Besitzerstolz vor: die Fred-Meyer-Mall, das neue Target-Kaufhaus, den Walmart entlang der frisch ausgebauten Durchgangsstraße.

Den Idita-Park, eine kleine Grünanlage mit Bänken und Rasenfläche, die es ohne die Steuereinnahmen durch die Neuansiedlungen während Palins Amtszeit nicht geben würde. Ebenso wenig die Halfpipe für Skateboardfahrer dahinter und das rosafarbene Theater, das sie im Nachbarort Palmer abgebrochen und hier wieder aufgebaut haben.

Schließlich die große, 15 Millionen Dollar teure Mehrzweckhalle draußen im Wald, mit überdachtem Fußballplatz und Eishockeyfeld und demnächst einer Großküche, für die erst neulich die Gouverneurin persönlich einen Zuschuss von zusätzlich 600.000 Dollar aus Mitteln des Bundesstaats genehmigt hat.

Ohne Zweifel hat Sarah Palin den Ort geprägt. Und Dan ist, weiß Gott nicht, der Einzige, der sie hier preist. Doch offenbart der Besuch in Alaska umgekehrt auch, welch prägende Rolle diese unscheinbare Kleinstadt im Leben der Frau gespielt haben muss, die demnächst als Stellvertreterin eines älteren Herrn nur einen Herzschlag von der Führung der mächtigsten Nation der Welt entfernt sein könnte.

Eine sehr amerikanische Ansammlung von Einkaufszentren und Einfamilienhäusern ist Wasilla, mit dem vierspurigen Asphaltband mittendurch, mit Lowe's Baumarkt und Pizza Hut, mit Blockbuster-Videoladen, einem Rekrutierungszentrum der Armee und Bier-Spelunken, die so einfallsreiche Namen wie Mug Shot Bar tragen, Blattschuss-Bar, und die Plakate an die Holzfassade genagelt haben mit einem handkolorierten Sternenbanner und dem Spruch: "Go, Sarah".

Und sehr rasch wird dann klar, welch klaftertiefe Risse die Wirklichkeit in das Bild vom einfachen, aber unabhängigen Leben in Alaska fräst, wo "Männer Männer sind und Frauen das Iditarod gewinnen", das brutalste Schlittenrennen der Welt, wie Sarah Palin erst vor ein paar Tagen sagte.

Gerne zeichnet sie von sich das Bild der patenten Hockey-Mom, die, wenn sie nicht gerade ihre Kids am Eisring anfeuert oder den Staat Alaska zu regieren hat, eigenhändig Elche zerlegt. Und vom Ehemann Todd, der am liebsten auf dem Snowmobile durch die eisig-weiße Winterwüste jagt. Das hier ist biedere Provinz, wie sie in vielen Kleinstädten Amerikas nicht anders zu finden ist.

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Sesshaft in tiefster Provinz

Stephen Haycox ist Kulturhistoriker, Professor an der Universität von Anchorage, deren niegelnagelneuer Bibliotheksbau erkennen lässt, dass es dem Bundesstaat Alaska an Geld gerade nicht wirklich mangeln kann. Vor fast vier Jahrzehnten kam der heute 68-Jährige hierher, und seither bemüht er sich herauszufinden, "welchen Platz Alaska in der amerikanischen Kultur ausfüllt", wie er sagt. "Es ist ein faszinierendes Land." Ein Land, das, wenn man dem feinsinnigen Mann folgt, mit und von einer Lebenslüge lebt-das aber nicht schlecht.

"In Alaska wird die Rhetorik von Unabhängigkeit, von Auf-sich-selbst-Gestelltsein und krassem Individualismus schon sehr gepflegt", doziert er und fügt lächelnd hinzu: "Ich fische, also bin ich." Nur mit der Wirklichkeit hat das nicht viel zu tun. "Der Großteil der Leute hier sind Angestellte. Sie pendeln zur Arbeit, kaufen in Einkaufszentren ein, leben in zentralgeheizten Häusern-so wie die Menschen im Rest der USA."

Haycox geht das ökonomische Einmaleins Alaskas durch: Die Ölindustrie sorgt für ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Bundesstaats. Fischerei, ein wenig Landwirtschaft, lokales Handwerk und Dienstleistungen machen ein weiteres Drittel aus. Und für das restliche Drittel sorgt allein die Regierung in Washington mit Ausgaben für Militär, Küstenwache und die Verwaltung der immensen Landmassen, die in Alaska noch immer im Staatsbesitz sind.

Das letzte Pionierland

Und Haycox vergisst nicht, auf die Ironie dieses Umstands hinzuweisen: Alaska feiert sich selbst gern als Amerikas "last frontier", als Amerikas letztes Pionierland. Auf allen Autoschildern steht der Spruch. Doch in Wahrheit wird die vermeintlich einzig verbleibende Heimstatt echter Individualisten zu einem Gutteil von Steuergeldern aus Washington gepampert.

Fast alle hier sagen, dass sie in Alaska leben, "um zu jagen, zu fischen und frei zu sein", merkt Haycox an. Tatsächlich aber ziehen die Menschen aus dem Rest der USA in den grauen Norden der Jobs und der besseren Bezahlung wegen-und ziehen nach einer Weile auch wieder fort: "Die meisten leben hier mit dem Rückflugticket in der Tasche."

Die Gouverneurin gehört gewiss nicht dazu. Sie zählt zu den Sesshaften und ist nach den Worten des Professors in einem Teil Alaskas groß geworden, "wo die Menschen das Ideal vom krassen Individualismus besonders pflegen und es mit sehr konservativen Werten verbinden". Das ist die Welt von Wasilla.

Viel Gutes ist zu hören über Sarah Palin dieser Tage. Und ihre Parteifreunde in Alaska mühen sich rechtschaffen, diese Stimmen den Reportern, die nun in Scharen aus ganz Amerika in Alaska einfallen, auch zu Gehör zu bringen. Leute wie Dan zu Beispiel, den Buchhalter, der das im Kleinen macht, was die Wahlkampftruppe des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain im Großen versucht: die unbekannte Politikerin aus der Provinz als menschlich überzeugende Reformerin darzustellen.

Doch wer sucht, stößt in einem Land, wo fast jeder jeden kennt, auch auf andere Zeugen. Viele Gerüchte sind zu hören. Schmutzige Wäsche wird gewaschen, von wilden Parties und von missratenen Kindern ist die Rede, die so aus dem Ruder laufen, dass als Ausweg nur der Dienst in der Armee bleibt.

Liebenswürdig, aber nicht geheuer

Doch es gibt auch ernst zu nehmende Stimmen. Reverend Howard Bess zum Beispiel, einen, zugegeben, liberalen Baptistenprediger aus dem benachbarten Städtchen Palmer. Dem Pastor ist Sarah Palin, die er eine "durchaus liebenswürdige Person" nennt, nicht geheuer - ihres öffentlich bekundeten Bekenntnisses wegen.

Sie gehört der Wasilla Bible Church an, einer evangelikalen Kirchengemeinde, deren Mitglieder das Ende der Zeiten nahe glauben und Abtreibung und gleichgeschlechtliche Beziehungen als Werk des Teufels brandmarken. Für den alten Pastor ist Palin als Angehörige dieser Kirchengemeinde eine "religiöse Fundamentalistin".

Die Bibelkirchler von Wasilla, so der Reverend, halten jeden für böse, der ihre Auffassungen in Zweifel zieht: "Mit ihm verhandeln sie nicht. Mit ihm diskutieren sie nicht. Sie wollen ihn nur weghaben." Palin sei ohne Zweifel eine gläubige Christin. "Aber wenn sie Präsidentin der Vereinigten Staaten werden sollte mit all den militärischen Machtmitteln zu ihrer Verfügung, dann flößt mir dieses Denken Furcht ein."

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Sesshaft in tiefster Provinz

Der Reverend ist nicht der Einzige, der Palin kennt - und vor ihr warnt. Michael Carey etwa, weißhaariger Kolumnist der Anchorage Daily News und eine journalistische Institution in Alaska, ist die Gouverneurin ebenfalls nicht geheuer: "Sie hat Schwierigkeiten, ihr persönliches von ihrem politischen Leben zu trennen." Das hat ihr den ersten Skandal ihrer noch jungen Karriere gebracht-Troopergate.

Sie feuerte den Polizeichef Alaskas, angeblich, weil er sich ihrem Ansinnen widersetzte, den geschiedenen Mann ihrer Schwester aus dem Polizeidienst zu entfernen. Und erst vor ein paar Tagen gab es weitere Aufregung: Sie kassiert für sich, ihren Mann und ihre Kinder Tagesgeld aus den (gut gefüllten) Schatullen des Bundesstaats, wenn sie zu Hause in Wasilla übernachtet. Und das macht sie oft.

"Sie ist sehr nachtragend"

"Das spricht nicht für sie", sagt der alte Journalist. Überhaupt, fragt Carey, "wie viel weiß sie vom Leben in unserem Land?" Sie sei genau das gewesen, was sie sage, eine Hockey-Mom, eine Hausfrau in einer Kleinstadt, beschäftigt mit der Erziehung ihrer Kinder. "Und das soll eine Qualifikation dafür sein, Führer der freien Welt zu werden? Das ist lächerlich."

Und dann ist noch ein leicht bedrückendes Phänomen zu beobachten, im angeblich letzten Pionierland Amerikas: Man trifft auf bemerkenswert viele Menschen, die nicht nur Gutes über ihre Gouverneurin zu sagen haben, es aber nicht wagen, das laut zu tun, sondern nur unter dem Schutz der Anonymität.

Sei es die alte Dame mit Kopftuch und rosafarbener Hose auf dem Farmers Market von Wasilla, die sagt: "Nicht diese Stadt bewirbt sich um die Vizepräsidentschaft, es ist nur die Gouverneurin." Ihren Namen mag sie nicht nennen. Sie geht hastig weiter. Oder die Innenausstatterin Jeffrey-Lisa Charvet aus dem Nachbarort Palmer, der Freunde davon abgeraten haben, sich auf ein Gespräch mit Reportern einzulassen.

Schließlich brauche sie als Selbständige Aufträge. Und die kommen in Alaska nun einmal zu einem Gutteil von der öffentlichen Hand: "Wenn man ihr querkommt, ist man aus dem Spiel. Sie ist sehr nachtragend."

Oder die feinsinnige Frau, die in Anchorage ein Amt mit hohem Ansehen bekleidet, die sich aber nur frühmorgens auf ein Treffen im Café del Mundo in der Midtown von Anchorage einlässt, gegen das Versprechen, ihre Identität unter keinen Umständen preiszugeben. In Alaska geht die Furcht um, sich den Unmut der regierenden Republikaner zuzuziehen. "Sie wollen politische Gegner bestrafen", sagt sie. Und die Gouverneurin, so lässt sie durchblicken, ist darin eine Meisterin.

Hundeschlittenfahrer zum Freund

Welch ein anderes Bild zeichnet da Martin Buser, ein aus der Schweiz stammender Schlittenhundefahrer, der in Alaska so etwas wie ein Rockstar ist, ein wahrer Held im Staat der freien und harten Männer. Der 50-Jährige mit frostgegerbtem Gesicht und dem Brustkorb eines Bären dürfte dem einigermaßen nahekommen, wie sich viele in Alaskaeinen ganzen Kerl vorstellen. Seit Jahrzehnten schon fährt er das Iditarod mit, das Schlittenhunderennen.

Er lebt ein paar Meilen außerhalb von Wasilla, mitten in den Wäldern. "Von hier aus", sagt er und guckt in den bleischweren Herbsthimmel Alaskas Richtung Westen, dorthin wo nach gut tausend Meilen das Rennen am Beringmeer endet, "von hier aus kann ich losgehen, und keine Straße kreuzt meinen Weg. Das ist schon einzigartig."

Er kennt die Palins gut. Mit Todd verbindet ihn eine, wie er es sagt, "freundschaftliche Konkurrenz": Er hat vier Mal das Iditarod gewonnen, das Hunderennen. Der Mann der Gouverneurin vier Mal den Irondog, die Version des Härtetests für Schneemobilisten. Und an Sarah schätzt er ihre Geradlinigkeit und Aufrichtigkeit.

Von der Arbeit mit Hunden verstehe er sich auf Körpersprache, sagt der Schlittenfahrer: "Du triffst sie, und du merkst sofort, sie erzählt keinen Scheißdreck, keine Lügengeschichten." Er hat schon vor zwei Jahren, als Palin Gouverneurin werden wollte, Wahlwerbung für sie gemacht. Er würde es sofort wieder tun: "Diejenigen, die sie kennen, würden sie lieber heute als morgen zur Vizepräsidentin machen."

Dem kann Dan nur zustimmen, der kurzhosige, gut gelaunte Buchhalter. Auch er kennt Palin persönlich, seit 14 Jahren schon. Sie kam oft mit einem Kaffee in der Hand auf dem Weg zum Rathaus bei ihm vorbei, damals als sie Bürgermeisterin von Wasilla war und er Vorsitzender der örtlichen Handelskammer. "Sarah kann einfach zuhören."

Das ist für ihn wichtig. Nicht die politische Nähe, auch wenn er ebenfalls ohne Zweifel ein Konservativer ist. Entscheidend für ihn ist anderes. "Ihre wirkliche Stärke", sagt der Mann in den kurzen Hosen, "ist ihre menschliche Wärme und eine Freundlichkeit, die von Herzen kommt. Und die wird unser Land noch kennenlernen." Dies-und ihre Schwächen vielleicht dazu.

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