US-Präsidentschaftswahl:Donald Trump treibt Hillary Clinton vor sich her

Democratic nominee Hillary Clinton talks to reporters about the explosion in Chelsea neighborhood of Manhattan, New York, as she arrives at the Westchester County airport in White Plains

Der ohnehin hohe Druck auf Hillary Clinton nimmt weiter zu.

(Foto: REUTERS)

Für die Demokratin kommen die Anschläge in New York und New Jersey extrem ungelegen. Sie kommt nicht aus der Defensive heraus. Ihre sechs Probleme im Überblick.

Analyse von Matthias Kolb, New York

Als die Menschen in New York am Montagmorgen per Smartphone-Nachricht über die Jagd nach dem Verdächtigen Ahmad Khan Rahami informiert werden, kämpfen Donald Trump und Hillary Clinton um die Deutungshoheit. Der Republikaner ruft beim konservativen Sender Fox News an und tönt: "Ich habe immer geahnt, dass so etwas passiert." Er will mit Härte gegen den IS vorgehen ("in die Steinzeit bomben") und potenzielle Terroristen in den USA per racial profiling identifizieren - die Behörden sollen nach verdächtigem Aussehen und Religion suchen.

Clinton macht Trump bei einer Pressekonferenz schwere Vorwürfe: Er helfe mit seiner krassen Rhetorik dem Islamischen Staat und erschwere den Anti-Terror-Kampf, da der Eindruck entstünde, die USA stünden im "Krieg mit dem Islam". Wie US-Präsident Obama beruhigt Clinton die Bürger und fordert diese auf, den Alltag fortzusetzen - und ihr als erfahrener Politikerin zu vertrauen.

Eine simple Formel wie "Nach Anschlägen steigt Trumps Popularität" gibt es nicht: Seine Reaktion auf den Anschlag auf den Gay-Club in Orlando führte zu einem Knick in den Umfragen - doch er hat sich wieder herangekämpft. In den Umfragen wird Clinton etwas mehr Expertise in der Terrorbekämpfung zugewiesen, aber die regelmäßigen Nachrichten über Anschläge sorgen für Unsicherheit. Dass es dem Republikaner Trump gelingt, momentan Clinton vor sich herzutreiben, hat dabei mehrere Gründe.

1. Das Narrativ der "schwachen Hillary" ist noch da. Der September ist bisher ein Desaster für Kandidatin Clinton. Auf ihren "Die Hälfte der Trump-Fans sind bedauerlich"-Spruch folgte der Schwächeanfall bei der 9/11-Gedenkfeier - und damit eine lange Diskussion um ihre Fitness. Während sie sich von der Lungenentzündung erholte, gehörte Trump tagelang die Bühne allein. Ständig wiederholte er: "Sie ist zu schwach für das Amt, ich bin stark." Bei Wahlkampf-Events ebenso wie beim bizarren Auftritt bei TV-Arzt Dr. Oz.

Nun ist die Demokratin wieder fit, aber sie kommt nicht aus der Defensive. Da Trump in vielen Umfragen aufholt, spricht die Dynamik für ihn - und die ersten Reaktionen auf die Explosion in New York waren typisch. Während Clinton die "augenscheinlichen Terrorattacken" verurteilte und per Statement auf ihren "umfassenden Anti-IS-Plan" hinwies, rief Trump unter Beifall seiner Fans: "Niemand weiß genau, was da los ist. Aber wir leben in einer Zeit - wir greifen besser mal hart durch, Leute. (...) Wir werden hart, klug und wachsam sein." Clinton kann wohl erst bei der TV-Debatte in einer Woche wieder Akzente setzen - der ohnehin hohe Druck auf sie nimmt weiter zu.

2. Die Amerikaner sorgen sich, aber die Demokraten finden nicht den richtigen Ton. San Bernardino, Orlando, Dallas - diese Städte stehen für die schockierendsten Anschläge im vergangenen Jahr mit vielen Toten. Parallel zum Wahlkampf hören die US-Bürger ständig vom Terror, denn die IS-Attentate von Paris, Brüssel oder Istanbul sind sofort Thema in den Medien, genau wie der Münchner Amoklauf, die Axt-Attacke in einem Regionalzug bei Würzburg oder der Rucksackbomber von Ansbach. All das verunsichert: 56 Prozent der Wähler bezeichnen die Lage der USA "als dunkel und gefährlich".

Meldungen über die Bombe in Chelsea oder die Messer-Attacke in Minnesota (nur aufgrund glücklicher Zufälle ohne Tote unter den Opfern) verstärken die Wahrnehmung einer Dauer-Gefahr, doch weder Clinton noch Obama finden die richtigen Worte. Sie kritisieren - zu Recht - die spalterische Rhetorik (Einreiseverbot! racial profiling!) von Donald Trump, doch zeigen wenig Verständnis für die Bürger. Eine Botschaft wie "Wir nehmen eure Sorgen ernst" senden sie nicht aus. Bei vielen kommt Trumps "Sie haben uns den Krieg erklärt" besser an als das Zögern vieler Demokraten, das Wort Terror auszusprechen. Der US-Präsident wirkt oft belehrend und Clinton klingt schon länger so, als sei jeder, der Trump nicht verdammt, "nicht zu retten".

3. Der Erfolg von Obamas Anti-Terror-Politik wird angezweifelt. Stets hat der Präsident seine Zurückhaltung in Nahost und vor allem in Syrien damit erklärt, dass er die USA nicht in neue Kriege verwickeln wolle und das homeland so sicher bleibe. Dieses Argument wird mit jeden Anschlag (egal ob mit Todesopfern in Orlando oder einigen Verletzten in Minnesota) schwächer und die Kritik der Republikaner wirkt überzeugender: Obama war zu schwach im Anti-Terror-Kampf und hat den IS-Dschihadisten zu viel Raum gegeben. Für Clinton ist die Lage doppelt schwierig: Als Ex-Ministerin ist sie mitverantwortlich für Obamas Außenpolitik. Aber da sie ihn und seine Popularität braucht, kann sich die 68-Jährige nicht zu deutlich distanzieren.

4. Trump nutzt die Terror-Angst gnadenlos aus. Früher hielten sich die Kandidaten nach Anschlägen zurück: Sie versuchten, sich staatsmännisch zu geben und riefen zur Einheit der Nation auf. Bereits nach San Bernardino und Orlando (mehr in dieser SZ-Analyse) verhielt sich Trump wie so oft ganz anders: Er gab damit an, alles prophezeit zu haben und warnte die Bürger, dass alles noch viel schlimmer kommen werde. Trumps "Ich wusste, dass so etwas passieren wird"-Aussage dient ebenso wie seine Tweets dazu, die US-Bürger zu verunsichern und den politischen Gegner schlechtzumachen.

Er weiß: Je mehr Amerikaner denken, dass die Lage unkontrollierbar ist, umso besser sind seine Chancen. Genauso bilanzierte jüngst die New York Times das Ergebnis ihrer Umfrage: Im Vergleich zu Clinton sehen viele Wähler Trump zwar als deutlich riskantere Wahl an, aber sie trauen ihm eher zu, die Dinge umzukrempeln und den Polit-Betrieb zu verändern.

5. Trump mag Chaos, Clinton liebt Pläne. Auch wenn ihn sein neues Wahlkampf-Team (das insgesamt dritte) stärker diszipliniert hat, ist der Immobilien-Mogul noch immer überzeugt, dass er sich nicht sonderlich vorbereiten muss und am besten ankommt, wenn er einfach er selbst ist. Trump mag es chaotisch, er improvisiert gern und zeigt so, dass er ein Außenseiter ist - und schlicht anders als alle anderen Politiker. Hillary Clinton hingegen arbeitet am liebsten ein Programm ab. Wenn Trump ihren Rhythmus unterbricht, dann ist das ein Vorteil für ihn und lenkt von lästigen Debatten wie seiner Steuererklärung ab (er weigert sich, sie publik zu machen).

6. Vorurteile bleiben da: Die Obama-Koalition wackelt. Dieser Punkt hat nichts mit dem Terror in New York und New Jersey zu tun, doch er ist extrem wichtig. Clinton wird weiterhin als wenig vertrauenswürdig und unehrlich wahrgenommen (in Umfragen sagen dies etwa 60 Prozent). Dass sie zuletzt vor allem vor einem Präsidenten Trump warnte (Subtext: "Ich bin weniger schlimm als er") und wenig über sich und ihre Ziele sprach, hat nicht geholfen: Bei Millennials, den unter 35-Jährigen, sowie Latinos erreicht sie nicht jene Werte, die Obama 2012 die Wiederwahl sicherten.

Der Präsident und First Lady Michelle sollen nun bei Hispanics und Schwarzen das erreichen, wovon die populären Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren die Studenten überzeugen sollen: Stimmt für Clinton. Sie selbst sprach am Montag in Philadelphia darüber, wie sie jungen Amerikanern helfen wolle und beschrieb in einem Gastbeitrag auf Mic.com, was sie von Millennials gelernt hat.

Ein Satz aus diesem Text könnte Hillary Clintons Mantra bis zur Wahl am 8. November werden: "Und trotz all dieser Herausforderungen habt ihr nie aufgegeben. Ihr habt nicht mal daran gedacht."

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