US-Präsident vor Brandenburger Tor:Reagans Appell zur Unzeit

"Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!" Als der US-Präsident vor 30 Jahren diese Worte spricht, erfahren sie kaum Aufmerksamkeit. Die Berliner protestieren gegen den Besuch.

Von Barbara Galaktionow

9 Bilder

Ronald Reagan in Berlin, 1987

Quelle: José Giribás/SZ Photo

1 / 9

Die einen begrüßen den "amerikanischen Freund" mit Jubel und Fähnchen, die anderen protestieren scharf und randalieren gegen den Besuch des "Kalten Kriegers": Als US-Präsident Ronald Reagan vor 30 Jahren West-Berlin besucht, ist er bei einem Teil der Deutschen ähnlich unbeliebt wie heute Donald Trump (hier mehr zu der Frage, was dran ist am Reagan-Trump-Vergleich). In seiner Rede am 12. Juni 1987 richtet Reagan an den sowjetischen Generalsekretär zwei Sätze, die später als prophetisch gedeutet werden. Damals finden sie ein eher geringes Echo - oder werden sogar als provokant angesehen: "Mr. Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!"

Reagans Rede

Quelle: José Giribás/SZ Photo

2 / 9

Der US-Präsident steht dabei vor der symbolträchtigen Kulisse des Brandenburger Tores - das klassizistische Bauwerk liegt zwar auf der Ostseite der Stadt, ist aber auch vom Westen aus gut sichtbar. Hinter Reagan ist aus Angst vor Scharfschützen aus dem Osten eine Wand aus Panzerglas montiert, offiziell ist die Rede von arabischen Extremisten. Wochenlang hat die alliierte Schutzmacht USA mit den Berliner Behörden über den Ort des Auftritts verhandelt. Zugleich feilen auch die Redenschreiber des Präsidenten an dessen Vortrag. Vor allem über den an Michail Gorbatschow gerichteten Appell wird bis zuletzt debattiert. Doch Reagan entscheidet: Er bleibt drin.

Kohl und Reagan

Quelle: José Giribás/SZ Photo

3 / 9

Der damalige Kanzler Helmut Kohl kommt in seiner Rede ebenfalls auf die Teilung Berlins zu sprechen, die im Jahr des 750-jährigen Bestehens der Stadt besonders schmerzhaft sei. "Wir haben uns damit in der Vergangenheit nicht abgefunden - wir werden dies auch heute und morgen nicht tun", sagt Kohl. Die allgemeine Stimmung trifft das aber nicht unbedingt. Viele Deutsche und wohl auch weite Teile der Politik haben sich damals mit dem Status quo abgefunden. Angesichts der durchaus als real empfundenen Bedrohung durch einen Atomkrieg sind sie schon dankbar für die Entspannungssignale, die mit Gorbatschow von der Sowjetunion ausgehen. Gerade für jüngere Berliner ist die Teilung der Stadt und des Landes schlicht Normalität. Eine Öffnung der Mauer, wie sie nur zweieinhalb Jahre später folgen wird, scheint pure Fiktion.

Journalisten

Quelle: José Giribás/SZ Photo

4 / 9

Die Aufforderung Reagans findet gerade in westdeutschen Medien nur mittelmäßigen Widerhall. Die Wahrheit sei, die Rede habe "unmittelbar nur geringe Wirkung" entfaltet, räumt Jahre später in einem Artikel für die Welt selbst der damalige US-Gesandte in Berlin und stellvertretende Sektorenkommandant der Amerikaner, John C. Kornblum, ein. Erst nach dem Mauerfall wird sie zum Vorboten des kommenden Wandels erklärt. Im Ostblock allerdings zeigt man sich empört. Der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse spricht von Hetzreden. Die Prawda wirft Reagan vor, "heuchlerisch" zu sein. Und die sowjetische Nachrichtenagentur Tass bringt den eindringlichen Appell des US-Präsidenten auf die trockene Formel, dieser habe dazu aufgerufen, "die Grenzsicherungsanlagen der DDR zu zerstören".

Reagans Rede

Quelle: José Giribás/SZ Photo

5 / 9

Erich Honecker, der Staatsratsvorsitzende der DDR, soll hingegen angeblich beleidigt gewesen sein, weil er - der ja maßgeblich für den Mauerbau mit verantwortlich war - von Reagan gar nicht erwähnt wurde. Auch im Ostteil Berlins versuchen am 12. Juni einige Hundert Menschen, die Rede Reagans zu verfolgen. Doch hören können sie wohl nichts, die Volkspolizei hält sie auf Distanz.

Besuch von Ronald Reagan in Berlin - Zuhörer, 1987

Quelle: José Giribás/SZ Photo

6 / 9

Ein bisschen Volksfeststimmung herrscht damals hingegen in West-Berlin, auf der weiträumig abgesperrten Straße des 17. Juni. Mit Erbsensuppe, Bier und Fassbrause wird das im Vorfeld sorgfältig ausgewählte und von Zeitungen und Veranstaltern mit Fähnchen ausgestattete Publikum der Präsidentenrede bei Laune gehalten. US-Vertreter zeigen sich dennoch "sichtbar enttäuscht" über die Reaktion der Zuhörer, wie die britische Times schreibt. Zwar hätten die Menschen bei der Aufforderung zum Niederreißen der Mauer zustimmend gerufen, doch insgesamt hätten viele von Reagans "provokativsten Aussagen nur vereinzelten Applaus gefunden". In der SZ heißt es, dass "seine Worte als große Rede jedenfalls nicht bei den Berlinern angekommen sind". Auch die Zahl der Zuschauer fällt für die Veranstalter enttäuschend aus: knapp 20 000 kommen vors Brandenburger Tor, man hatte sich doppelt so viele erhofft.

Anti-Reagan-Demonstration, 1987

Quelle: SZ Photo/Timeline Images

7 / 9

Wesentlich besser "besucht" sind die Anti-Reagan-Demonstrationen. Allein am Vortag protestieren mehr als 25 000 Menschen auf dem Kurfürstendamm gegen den Besuch des US-Präsidenten. Am Ende fliegen Steine aufs KaDeWe, Barrikaden werden errichtet, Müllcontainer gehen in Flammen auf. Die linken Demonstranten sehen in Reagan einen Hardliner, der mit einem massiven Aufrüstungsprogramm und seinen markigen Worten von der Sowjetunion als "Reich des Bösen" ("evil empire") den Ost-West-Konflikt unnötig befeuere.

Reagans Rede

Quelle: José Giribás/SZ Photo

8 / 9

Am 12. Juni greift die Polizei zu radikalen Mitteln, um zu verhindern, dass derlei Randale den Präsidentenbesuch stört. Der Bezirk Kreuzberg, bekannt als Wohnort von Linken und Autonomen, wird hermetisch abgeriegelt. Kontrollpunkte werden errichtet und sogar der U-Bahn-Verkehr gestoppt. Etwa 1000 Polizeibeamte aus dem Bundesgebiet verstärken die Berliner Kollegen, mit Genehmigung der Alliierten.

Nancy Reagan und Hannelore Kohl beim Besuch in Berlin, 1987

Quelle: Jose Giribas/SZ Photo

9 / 9

Abgeschirmt von Unzufriedenheit und Protest beklatschen Nancy Reagan (links) und Hannelore Kohl (rechts) vor dem Brandenburger Tor die Worte des US-Präsidenten. Wie bedrohlich die Reden und Taten ihres Mannes manchen in Deutschland schienen, konnte die damalige First Lady wohl nicht nachvollziehen. In späteren Jahren betont sie stets den unerschütterlichen Optimismus Reagans. Den nahm der US-Präsident auch für seinen Gorbatschow-Appell für sich in Anspruch: Er habe nicht gewusst, wann die Mauer fallen würde, sagt er nach seiner Amtszeit. Nur, dass es irgendwann geschehen werde.

© SZ.de/mcs/fued
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: