US-Präsident hält "Rede zur Lage der Nation":Obama schwört Amerikaner auf soziale Gerechtigkeit ein

Chancengleichheit für ein starkes Amerika: US-Präsident Obama fordert die Reichen auf, ebenso viel Steuern zu zahlen wie die Arbeiter. Auch die Wall Street müsse sich künftig an Regeln halten. In seiner Rede zur Lage der Nation zeigt sich Obama als Staatsmann und teilt auch gegen die Republikaner aus.

Matthias Kolb, Washington

D'Juan Hopewell hat den Glauben an Barack Obama noch nicht verloren. "Egal ob Romney oder Gingrich, er wird locker gewinnen", meint der junge Mann, der in der amerikanischen Hauptstadt als Politberater arbeitet und sich darauf spezialisiert hat, um die Gunst der schwarzen Wähler zu kämpfen. Während er spricht, blickt D'Juan stets auf den Flachbildfernseher, der an diesem Abend im Washingtoner Klub "Local 16" aufgestellt wurde.

Organisationen wie "Network for Progress" oder "Obama 2012-DC" haben dazu eingeladen, die State of the Union Address gemeinsam zu schauen. Wie D'Juan sind die meisten Gäste Polit-Junkies und kommentieren das Auftreten der Abgeordneten, Minister und Richter, welche die Kameras beim Einzug in den Senat zeigen.

"Ich mag Timothy Geithner einfach nicht", lästert ein Anzugträger über den Finanzminister, während seine Freundin das blaue Kleid von Michelle Obama lobt. Beide sind sich einig: "Endlich geht es mal nicht um die Schlammschlacht der Republikaner."

Bevor Obama den Saal betritt, steht eine Frau mit kurzen Haaren und rotem Kostüm im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Es ist Gabrielle Giffords, die demokratische Angeordnete, die 2011 ein Attentat nur knapp überlebt und ihr Mandat im Repräsentantenhaus niedergelegt hat. Gabby wird von den Abgeordneten ebenso beklatscht wie von den Besuchern im "Local 16".

Und auch der US-Präsident umarmt die 41-Jährige, bevor er vor beiden Kammern des Kongresses ans Mikrofon tritt, um den Bürgern zu erklären, wohin er das Land im nächsten Jahr führen will - und mit welchen Argumenten er sich um eine zweite Amtszeit bewirbt.

Chancengleichheit im Zentrum der Rede

Obama erinnert zunächst daran, dass erstmals seit neun Jahren kein US-Soldat mehr im Irak stationiert ist und erstmals seit 20 Jahren Osama bin Laden die Amerikaner nicht mehr bedrohe. Diese Einführung sorgte für Standing Ovations - im Kongress wie im Klub auf der U Street. Diese Erfolge seien jedoch nur möglich, weil die Armee im Gegensatz zu anderen amerikanischen Institutionen ihre Aufgabe erfülle, meint Obama.

Dies blieb nicht der erste Seitenhieb in Richtung der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus: Immer wieder versucht der 50-Jährige deutlich zu machen, dass er nicht an der Blockadesituation schuld sei. Mit deutlichen Worten prangert Obama die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten an. In Sätzen wie "Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind keine rein demokratischen oder republikanischen Werte, sondern amerikanische Werte", schwingt das Pathos der "Yes We Can"-Tage wieder mit.

Wie sich bereits in den vergangenen Wochen angedeutet hatte, stellt der US-Präsident die Chancengleichheit ins Zentrum seiner Rede. Die Amerikaner hätten im November die Wahl, so Obama: "Wir können uns entweder für ein Land entscheiden, in dem es einer sinkenden Zahl von Menschen richtig gut geht, während eine wachsende Zahl von Amerikanern kaum über die Runden kommt."

Obama beschwört Zusammenarbeit

Oder die Bürger entschieden sich dafür, eine Wirtschaft wiederherzustellen, "in der jeder eine faire Chance bekommt, jeder seinen Teil beiträgt, und jeder sich an die selben Regeln hält." Dies gelte auch für die Banker an die Wall Street, denen Obama unter dem Applaus der demokratischen Abgeordneten zuruft: "Einen weiteren Bail-Out wird es nicht geben."

US-Präsident hält "Rede zur Lage der Nation": Eine faire Chance für alle: US-Präsident Barack Obama positioniert sich in seiner "Rede zur Lage der Nation" als Beschützer der Mittelschicht und fordert die Reichen heraus.

Eine faire Chance für alle: US-Präsident Barack Obama positioniert sich in seiner "Rede zur Lage der Nation" als Beschützer der Mittelschicht und fordert die Reichen heraus.

(Foto: AFP)

Ohne seinen möglichen Herausforderer Mitt Romney, der als Multimillionär nur 15 Prozent Steuern zahlt, direkt beim Namen zu nennen, spricht sich Obama für höhere Steuern für Großverdiener aus. Wer eine Million Dollar oder mehr im Jahr verdiene, solle einen Mindeststeuersatz von 30 Prozent entrichten. Er könne sich nicht vorstellen, dass es ein Amerikaner als gerecht empfinde, wenn eine Sekretärin mehr Steuern zahlen müsse als ihr reicher Chef, sagt Obama und gibt damit den Ton für den anstehenden Wahlkampf vor.

In vielem erinnert die diesjährige Ansprache an jene Rede, die Obama im Dezember in Osawatomie in Kansas gehalten hatte (hier ist sie im Wortlaut nachzulesen). Schon damals hatte er von einem "Alles-oder-nichts-Moment" gesprochen: Es gehe darum, ob arbeitende Menschen in der Lage seien, genug zu verdienen, um eine Familie zu gründen, ein Haus zu besitzen und sich eine Rente zu sichern. Die Ausbildung der Amerikaner müsse ebenso verbessert werden wie die Programme, mit denen Arbeitslose wieder einen Job finden sollen.

Obama kündigt zudem weitere Erleichterungen für Hausbesitzer an und forderte den Kongress auf, per Gesetz zu verhindern, dass sich die Zinsen für Studienkredite verdoppeln. "Yeah, sign this", schallt es von den Tresen herüber: Viele der Washingtoner Obama-Fans stottern noch immer die Raten für ihre Ausbildung ab und kennen die Sorgen der Studenten.

Für Entsetzen und Buhrufe unter seinen jungen Anhängern sorgt die Ankündigung Obamas, dass die Fläche vergrößert werden solle, in denen Ölbohrungen in küstennahen Gewässern geprüft werden.

Um die Vorwürfe seiner republikanischen Kontrahenten Newt Gingrich und Mitt Romney zu kontern, verspricht der 44. US-Präsident, China im Falle von Wettbewerbsverzerrungen verklagen zu wollen. Nach Finanzkrise und Rezession seien die USA wieder auf dem Weg nach oben, erklärt Obama und verwies auf die Schaffung mehrerer Millionen neuer Arbeitsplätze in den vergangenen zwei Jahren.

Mit Blick auf die Außenpolitik erläuterte Obama, der Ruf der USA in der Welt habe sich zuletzt verbessert. Amerika sei weiterhin "die unverzichtbare Nation" im Weltgeschehen - und er wolle dafür sorgen, dass dies so bleibe. In der Frage des iranischen Atomprogramms blieben alle "Optionen auf dem Tisch", auch wenn er eine friedliche Lösung bevorzuge.

Angriff von Romney

"Es ging darum, eine Mission zu erfüllen"

US-Präsident hält "Rede zur Lage der Nation": Mit Applaus wurde Gabrielle Giffords von den Abgeordneten willkommen geheißen - 2011 überlebte sie ein Attentat nur knapp.

Mit Applaus wurde Gabrielle Giffords von den Abgeordneten willkommen geheißen - 2011 überlebte sie ein Attentat nur knapp.

(Foto: AFP)

Zum Ende der Rede kehrt der US-Präsident zum Gedanken vom Anfang zurück und ruft die Republikaner zur Zusammenarbeit auf: Die Politiker hätten einen Eid geschworen und sollten sich am Militär ein Beispiel nehmen. Die Tötung Osama bin Ladens sei nur möglich gewesen, weil jeder im Team seine Aufgabe erfüllt habe, ruft Obama. Er sei stolz darauf, die Fahne der Navy Seals als Geschenk erhalten zu haben.

Damals im Situation Room habe er neben Robert Gates und Hillary Clinton gesessen, mit denen er gut zusammenarbeitete - dabei sei Gates bereits unter George W. Bush Verteidigungsminister gewesen und habe die jetzige Außenministerin selbst Präsidentin werden wollen. Doch daran habe keiner am 1. Mai gedacht: "Es ging darum, eine Mission zu erfüllen." Wenn die Republikaner daran interessiert seien, das riesige Defizit abzutragen und Amerika noch stärker zu machen, werde er sich dem nicht verschließen.

Kaum hat Obama die letzten Worte "Thank you, God bless you, and may God bless the United States of America" gesprochen, ist die Übertragung auf MSNBC beendet, strömen die Besucher dem Ausgang zufrieden entgegen. Für ein paar Stunden werde ganz DC über die Rede und nicht über die Republikaner reden, freut sich die Anwältin Tara.

Allerdings hatte sich die Gegenseite längst gewappnet: Noch vor Beginn der Rede stellte Mitt Romney, der zuletzt schwächelnde Ex-Gouverneur von Massachusetts, ein Video mit dem Titel "The Real State of the Union" auf seine Website. Darin wirft er Obama vor, nur schöne Phrasen zu fabrizieren, aber keine Jobs schaffen zu können. Amerika, so beschreibt es der mögliche Herausforderer, sei ein schwaches, heruntergewirtschaftetes Land.

Erst im November wird sich zeigen, für welche Zukunftsversion sich die Amerikaner entscheiden. Doch es scheint, als seien viele Argumente bereits gefallen, die in den kommenden Monaten wieder und wieder zu hören sein werden.

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