US-Militäreinsatz:"Wir bauen nicht wieder eine Nation auf, wir töten Terroristen"

  • US-Präsident Donald Trump hat seine Afghanistan-Strategie vorgestellt.
  • Das Pentagon erhält größere Freiheiten; statt dem Aufbau des Landes soll der Fokus dem "Kampf gegen den Terror" gelten.
  • Die Truppenzahl wird offenbar aufgestockt, Indien soll statt Pakistan zum neuen Partner in der Region werden.

Von Johannes Kuhn

"Nun ist es sein Krieg", heißt es es nun wieder einmal über den längsten Militärkonflikt der amerikanischen Geschichte. Im 16. Jahr des Afghanistan-Kriegs legt mit Donald Trump bereits der zweite Nachfolger George W. Bushs seine Strategie für den scheinbar endlosen Konflikt am Hindukusch vor.

In einer Rede an die Nation aus Arlington, Virginia erklärte der US-Präsident am Montagabend die künftige Ausrichtung. "Mein erster Instinkt war der Abzug", so Trump. Vor allem zwischen 2011 und 2013 hatte er den Krieg als Zeit- und Geldverschwendung kritisiert. "Aber ich habe bereits mein Leben lang gehört, dass Entscheidungen andere sind, wenn man hinter einem Schreibtisch im Oval Office sitzt", gestand der US-Präsident nun in seiner treu vom Teleprompter abgelesenen Rede ein.

Ein schneller Abzug würde ein Vakuum schaffen, in dem sich wie bereits vor dem 11. September 2001 Terroristen einnisten könnten.

Trump selbst kündigte an, künftig keine Zahlen mehr zur Truppenstärke zu nennen. Aus dem Umfeld des Pentagon berichten US-Medien, dass die Zahl der US-Soldaten um 4000 erhöht werden soll; derzeit sind dort 8400 US-Militärangehörige und 6000 weitere Nato-Soldaten stationiert. Das Verteidigungsministerium erklärte, dass sich auch einige Nato-Verbündete zur Ausweitung ihrer Kontingente bereit erklärt hätten.

"Friedhof der Imperien"

Zudem distanzierte sich Trump deutlich vom afghanischen Nachbarland Pakistan, in dessen Grenzregionen die Taliban und das kooperierende Hakkani-Netzwerk einen de-facto Rückzugsort haben. Er kündigte an, künftig stärker mit dem pakistanischen Erzrivalen Indien zusammenzuarbeiten. Genauere Details blieben offen, die Rhetorik lässt auf strengere Bedingungen für die Auszahlung von Militärhilfen an Pakistan schließen. Derzeit umgarnen auch China und in geringerem Maße Russland die pakistanische Regierung.

Afghanistan, landläufig auch als "Friedhof der Imperien" bekannt, konnte sich in den vergangenen 16 Jahren nie stabilisieren - und dies trotz oder wegen einer milliardenschweren und verlustreichen Militär- und Zivilkampagne des Westens. 150 000 Menschen kamen bislang ums Leben, ohne dass sich ein politisches Gleichgewicht oder eine Zukunftsperspektive eingestellt hätte.

Die Zentralregierung in Kabul gilt als schwach, korrupt und zerstritten, Militär und Sicherheitskräfte sind weiterhin auf Ausrüstung und Ausbildung von außen angewiesen. Regionale Mini-Machtzentren, die nach Stammeszugehörigkeiten geführt werden, verkomplizieren die Lage ebenso wie inzwischen aufgetauchte Einheiten des "Islamischen Staates", die sich aus Resten von al-Qaida, flüchtigen Kämpfern aus den irakisch-syrischen Gebieten und lokalen Mudschahedin zusammensetzen.

2017 hat sich die Lage eher verschlechtert. In jedem zehnten Verwaltungsbezirk Afghanistans haben die Taliban inzwischen politische Kontrolle oder großen Einfluss, drei Millionen Menschen leben inzwischen wieder unter ihrer Herrschaft. Die Rückeroberungen der Taliban-Gebiete durch die Regierungstruppen sind mit hohem Blutzoll verbunden, obwohl die Amerikaner diese wieder vermehrt mit Luftschlägen unterstützen. Derzeit sterben täglich durchschnittlich 31 afghanische Soldaten und neun Zivilisten, so die New York Times (die Zahl der getöteten Taliban ist unklar).

Am 31. Mai kam es in Kabul zu einem schweren Bombenanschlag, bei dem mindestens 150 Menschen starben. Unter den 400 Verletzten befanden sich auch Angehörige der schwer beschädigten deutschen Botschaft, die offenbar das Ziel des Anschlags war.

Zähe Suche nach der "am wenigsten schlimmsten Option"

Trumps Vorgänger Barack Obama hatte 2010 die Truppen zunächst massiv auf 140 000 US-Soldaten aufstocken lassen, um sie später schrittweise auf weniger als 10 000 Soldaten zu senken. Eigentlich hatte der Demokrat die Truppen komplett abziehen wollen, war davon allerdings angesichts des drohenden Machtvakuums abgerückt. Kritiker Obamas merken an, dass die Taliban angesichts der zeitlich begrenzten Truppenaufstockung einfach nur warten mussten, bis die Soldaten wieder abzogen. Eine Zeitvorgabe möchte Trump deshalb nicht machen.

Als geeintes Volk präsentierten sich die Afghanen bislang nur, wenn sie gemeinsam gegen ausländische Angreifer kämpfen. Die amerikanische Politik hat neokonservative Illusionen inzwischen hinter sich gelassen, würde aber parteiübergreifend weiterhin niemals ein militärisches Scheitern zugeben. Deshalb wird auch in Washington die Debatte über den Einsatz längst als Suche nach der "am wenigsten schlimmsten Option" verstanden.

Entsprechend lange hatten Trumps Berater, das Pentagon und die Generäle um eine Strategie gerungen: Die Entscheidung musste mehrmals verschoben werden. In den vergangenen Monaten hatte Erik Prince, einst Gründer des Söldner-Unternehmens Blackwater (heutiger Name: Academi) wiederholt versucht, Anhänger für den Plan einer Teil-Privatisierung des Militäreinsatzes durch eine fünftausendköpfige Söldner-Truppe zu gewinnen. Er versprach, damit die Kosten zu senken, die derzeit ungefähr drei Milliarden US-Dollar pro Monat ausmachen.

Unterstützung dafür hatte er von Trumps inzwischen entlassenem Chefberater Stephen Bannon erhalten, der für einen vollständigen Abzug plädierte. Am Ende aber setzten sich die bei Trump angesehenen Militärvertreter durch, die nun größere Freiheiten für eigene Entscheidungen als unter Obama genießen werden. Auch Teile von Trumps nationalistisch ausgerichteter Basis sehen die militärischen Auslandseinsätze der USA kritisch, das Thema spielt jedoch bei der Bewertung seiner Politik keine Rolle.

Ein Platz für Teile der Taliban?

Dem US-Präsidenten selbst wurde bislang kein größeres Interesse an dem Thema nachgesagt. Allerdings deutete er an, dass "bestimmte Elemente der Taliban" auch an einer Regierung in Afghanistan beteiligt sein könnten, sofern sie eine Militärkampagne an den Verhandlungstisch zwinge. Die Anerkennung der Taliban als politischer Akteur ist nicht nur, aber besonders in den USA, hoch umstritten.

"Unser Einsatz ist aber nicht unbeschränkt, unsere Unterstützung kein Blankoscheck", ließ Trump die afghanische Regierung wissen, um klarzustellen: "Wir bauen nicht wieder eine Nation auf, wir töten Terroristen." Und natürlich "werden wir gewinnen", so das Versprechen.

Wie genau ein solcher Sieg aussehen würde, ist allerdings weiterhin unklar. Im kommenden Jahr könnten unterdessen erstmals US-Soldaten nach Afghanistan entsendet werden, die am 11. September 2001 noch nicht geboren waren.

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