US-Militär:USA nennen erstmals Zahl ziviler Opfer von Kampfdrohnen

Afghanistan USA Drohne

Eine US-Kampfdrohne vom Typ Predator in Afghanistan

(Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Zwischen "64 und 116" unschuldige Menschen seien getötet worden. Passt das zum Anspruch, präzise Schläge gegen Terroristen auszuführen? Das ist zweifelhaft - genau wie die völkerrechtliche Legitimität.

Von Markus C. Schulte von Drach

Ob die gezielte Tötung von Menschen durch Drohnen militärisch sinnvoll und völkerrechtlich legitim ist, wird heftig diskutiert. Dass bei den Einsätzen auch immer wieder unbeteiligte Menschen getötet werden, heizt die Debatte weiter an.

Nun hat die US-Regierung eingeräumt, dass bei etwa 500 Drohnenangriffen seit 2009 in Pakistan, Libyen, Somalia und im Jemen bis zu 116 unschuldige Zivilisten getötet wurden. Dabei sind in den neuen Zahlen keine Drohnenopfer in Afghanistan, Syrien und dem Irak enthalten.

Bereits im April hatte Präsident Barack Obama eingeräumt, dass Zivilisten bei Drohnenangriffen umgekommen sind - und sein Bedauern darüber geäußert. Manche Kritik, so hatte er auf der Pressekonferenz auf dem internationalen Nukleargipfel in Washington gesagt, sei "legitim".

Die unbemannten Flugkörper sind bereits seit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon im Jahr 2001 im Einsatz. Drei Tage nach dem 11. September bevollmächtigte der US-Kongress den Präsidenten, gegen Nationen, Organisationen oder Personen vorzugehen, die Terroranschläge vornehmen wollen oder solche unterstützen. Im Visier waren anfänglich Al-Qaida-Terroristen, dann auch "assoziierte Kräfte", also bewaffnete, organisierte Gruppen, die al-Qaida unterstützten.

Inzwischen werden die Drohnen auch gegen den sogenannten Islamischen Staat, die Taliban und die al-Shabaab in Somalia eingesetzt. Da sich der bewaffnete Konflikt mit den Terroristen geographisch nicht eingrenzen lässt, nehmen sich die USA das Recht heraus, Drohnen in Ländern einzusetzen, mit denen sie keinen Krieg führen - auch wenn dies völkerrechtlich umstritten ist. Dort, wo die Regierungen den Drohneneinsätzen nicht zugestimmt haben, handelt es sich um Verletzungen des Souveränitätsrechts und der territorialen Integrität der Staaten.

Deutlich mehr Drohnenangriffe unter Obamas Führung

Im sogenannten asymmetrischen Konflikt mit den Terroristen sind die Drohnen bei den Amerikanern trotzdem ein äußerst beliebtes Kampfmittel geworden. Barack Obama übernahm das Drohnenprogramm von seinem Vorgänger George W. Bush, erhöhte die Kontrolle durch das Weiße Haus - und weitete es aus. Um das Leben eigener Soldaten zu schonen, wurde die Zahl der gezielten Tötungen durch Drohnen oder von "hunter-killer-teams" aus militärischen Spezialkräften und CIA-Mitarbeitern deutlich erhöht.

2013 verteidigte Friedensnobelpreisträger Obama in einer Rede die Drohneneinsätze als "tödliche gezielte Aktionen gegen al-Qaida und deren assoziierte Kräfte". Doch auch wenn die US-Regierung über erfolgreiche Tötungen von bestimmten Terroristen berichtete - der Tod von Zivilisten wurde nur ungern thematisiert.

Im April 2016 versicherte Obama, die Einsatzbestimmungen seien so streng wie noch nie. Es würde vor jedem Angriff lange beobachtet und geprüft, Wohngebiete sollten keine Zielorte sein, in der Nähe dürften sich keine Frauen und Kinder aufhalten. "Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass die Zahl von zivilen Opfern bei jedem Drohneneinsatz deutlich geringer ist als die in einem konventionellen Krieg", sagte er an der University of Chicago Law School.

Wie seit einiger Zeit bekannt ist, finden Drohnenangriffe aber häufig nach einer "Wahrscheinlichkeitseinschätzung" statt, die auf dem Verhaltensmuster von beobachteten Personen oder Gruppen beruhen. Und auch die Identifizierung von Zielen anhand von Telefon- und Computersignalen ist offenbar schwieriger, als die Militärs einräumen, wie Dokumente eines Whistleblowers letztes Jahr belegen konnten.

Die Zahl der Tötungen durch Drohnen spricht außerdem dagegen, dass nur Führungsfiguren von al-Qaida, den Taliban oder dem IS ins Visier genommen werden. Wie das Washingtoner Forschungszentrum New America Foundation berichtet, starben bei Drohnenangriffen inzwischen Tausende Menschen.

Vor einigen Jahren hatte schon der Council of Foreign Relations geschätzt, dass bei Drohneneinsätzen außerhalb Afghanistans und des Irak mehr als 3600 Menschen getötet wurden. Unlängst berichtete das Magazin Foreign Policy von einem Vergleich der Opferzahlen von Drohnenangriffen und Luftschlägen mit bemannten US-Flugzeugen: In den vergangenen Jahren waren letztere demnach deutlich präziser - und Drohnen haben zu mehr zivilen Opfern pro Bombe geführt.

Natürlich kann es sich bei diesen vielen Opfern nicht nur um Anführer von Terrorgruppen handeln. Das bestätigten im vergangenen November vier ehemalige US-Drohnenpiloten selbst in einem offenen Brief an Obama, den die Zeit veröffentlicht hat: "Im Laufe der Zeit ist uns klar geworden, dass der Umstand, dass wir unschuldige Zivilisten töten, Hassgefühle nur befeuert, die den Terror und Gruppen wie den Islamischen Staat (IS) antreiben [...] Jeder Einzelne von uns entwickelte eine posttraumatische Belastungsstörung, als die Schuld zu groß wurde, die mit unserer Rolle beim Ermöglichen dieses systematischen Zerstörens unschuldigen Lebens einherging".

Seit Jahren werden die Drohneneinsätze auch in den USA von Menschenrechtsgruppen wie American Civil Liberties Union, Human Rights Watch und Amnesty International, aber auch von protestantischen Gruppen und den katholischen Bischöfen der USA heftig kritisiert. Die Skepsis gegenüber den Informationen, auf denen die Einsätze beruhen, ist gewachsen.

"Extralegale Hinrichtungen"

Selbst Deutschlands damaliger Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) bezeichnete die Tötung durch Drohnen 2012 als "strategischen Fehler", 2013 erklärte er sie zu "extralegalen Hinrichtungen". Mit anderen Worten: Es sind staatliche Todesstrafen ohne Richter, Anwälte, Öffentlichkeit und die Möglichkeit zur Berufung.

Trotz der klaren Aussage de Maizières lässt Deutschland allerdings zu, dass die Kommunikation zwischen den Drohnen und ihren "Piloten" in den USA über den US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein verläuft. Im vergangenen Jahr hatte deshalb ein somalischer Hirte das Bundesverteidigungsministerium verklagt, weil sein Vater bei einem Drohnenangriff auf einen Terroristen getötet worden war. Allerdings scheiterte er vor dem zuständigen Gericht in Köln.

Operationszentrum für Drohnen in der Holloman Air Force Base, New Mexico

Drohnen-Operationszentrum der US Air Force in New Mexico.

(Foto: REUTERS)

Große Bedenken gegenüber dem Einsatz der Drohnen haben Ethiker und Philosophen aber auch wegen der "Leichtigkeit gezielten Tötens", wie der Amerikaner Michael Walzer im Magazin Dissent schreibt. Drohnen könnten als einfaches und risikolos einsetzbares Kampfmittel die Hemmschwelle für militärische Einsätze senken.

Dabei ist der militärische Sinn umstritten. So ist es allen betroffenen Terrororganisationen bislang immer schnell gelungen, Ersatz für getötete Anführer zu finden. Es sieht nicht so aus, als ob sich die Zahl der Angriffe durch al-Qaida, Taliban, IS oder die al-Shabaab in Somalia aufgrund solcher Aktionen spürbar verringert hätte.

Auch die Briten setzen inzwischen auf Drohnenangriffe, um gezielt Terroristen zu töten. Im August bestätigte Großbritanniens Premier David Cameron, dass ein britischer IS-Kämpfer durch einen solchen Angriff in Syrien getötet wurde. Reyaad Khan hatte nach Einschätzung der Briten Selbstmordanschläge in Großbritannien geplant. Deshalb sei es ein Akt der Selbstverteidigung gewesen, so Cameron.

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