US-Kriegsverweigerer:Kanada schiebt Amerikaner ab

Bislang haben US-Soldaten, die den Dienst im Irak verweigern, in Kanada eine neue Heimat gefunden. Jetzt schickt die Regierung eingewanderte Amerikaner zurück.

Bernadette Calonego

Jon van Arsdell ist erschüttert, wie sehr sich die Zeiten in Kanada geändert haben. Während des Vietnamkriegs kam er 1968 im Alter von 23 Jahren als Kriegsverweigerer aus dem US-Staat Ohio nach Vancouver. Er wurde mit offenen Armen empfangen und erhielt gleich eine Stelle als Musiklehrer.

US-Kriegsverweigerer: Jeremy Hinzman (links) lebt seit viereinhalb Jahren in Kanada. Nun soll er das Land verlassen.

Jeremy Hinzman (links) lebt seit viereinhalb Jahren in Kanada. Nun soll er das Land verlassen.

(Foto: Foto: ap)

Aber heute erlebt er, wie amerikanische Soldaten, die Kanada um Asyl ersuchten, weil sie nicht am Krieg im Irak teilnehmen wollen, in die USA abgeschoben werden. "In manchen Momenten bin ich richtig hoffnungslos", sagt der 62jährige studierte Zoologe.

Im Juli wurde der Amerikaner Robin Long als erster Verweigerer von den kanadischen Behörden an die USA überstellt. Jetzt droht dem zweifachen Vater Jeremy Hinzman dasselbe Schicksal, nachdem das höchste kanadische Gericht entschieden hat, seinen Fall nicht anzuhören. "Ein Kriegsverweigerer wird heutzutage nicht mehr so verstanden wie früher", sagt Jon van Arsdell. "Die Kanadier sind selbstzufriedener geworden."

Harter Kurs gegen Fahnenflüchtlinge

In den sechziger Jahren hatte der damalige liberale Premier Pierre Trudeau, ein Gegner des Vietnamkriegs, US-Kriegsverweigerern das Bleiberecht geboten, und etwa 50000 junge Männer kamen. Van Arsdell fand hier eine Frau und Arbeit als Biologe und Fischer, baute ein schönes Haus und erhielt den kanadischen Pass.

Aber heute fährt die konservative Regierung einen harten Kurs gegen Fahnenflüchtige aus den USA. Etwa fünfzig US-Soldaten haben bisher in Kanada um Asyl ersucht, darunter auch eine Frau. Nach Schätzungen der "War Resisters Support Campaign" (Unterstützungskampagne für Kriegsverweigerer) in Toronto halten sich 150 bis 200 weitere US-Soldaten in Kanada mit einem Touristenvisum auf.

Die Sprecherin der Kampagne, Michelle Robidoux, sagt, es sei die konservative Regierung von Premier Stephen Harper, der früher den Irakkrieg offen befürwortet habe, die für die Deportation sei: "In der Unterstützung von Kriegsverweigerern durch die Bevölkerung hat sich nichts geändert."

Laut einer Umfrage vom Juni sprachen sich fast zwei Drittel der Befragten dafür aus, die Fahnenflüchtigen aus den USA in Kanada bleiben zu lassen. Die Harper-Regierung ignorierte auch die Tatsache, dass eine Mehrheit des kanadischen Parlaments im Juni einen unverbindlichen Vorstoß der linken Abgeordneten Olivia Chow unterstützte, die den Kriegsverweigerern in Kanada Asyl gewähren möchte.

Verbrechen gegen die Menschheit

Der Immigrationsanwalt Rudolf Kischer aus Vancouver sagt, es gebe einen Unterschied zur Zeit des Vietnamkriegs. Früher hätten sich junge Amerikaner dem Einberufungsbefehl in die Wehrpflichtigenarmee entzogen. Heute gehe es um Angehörige der US-Armee, die argumentierten, der Krieg im Irak sei ungerechtfertigt und stelle ein Verbrechen gegen die Menschheit dar. Die kanadischen Gerichte akzeptierten bisher diese Argumentation nicht.

Robin Long, sagt Michelle Robidoux, sitze jetzt im US-Staat Colorado im Gefängnis und werde vor einem US-Militärgericht erscheinen müssen. Ihm drohe eine Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis. Jeremy Hinzman, dessen Abschiebung auf den 23. September angesetzt ist, lebt seit viereinhalb Jahren mit seiner Familie in Kanada, sein zweites Kind wurde hier geboren.

In den sechziger Jahren war das Potential solcher junger Männer willkommen: Viele ehemalige Vietnam-Verweigerer haben Kultur und Gesellschaft Kanadas bereichert. Zu ihnen gehört der einstige Moderator der beliebtesten Rundfunksendung in Toronto, Andie Barrie, oder Rex Weyler, einer der Gründer der Umweltorganisation Greenpeace, und der einflussreiche Filmkritiker Jay Scott.

Jon van Arsdell ist Kriegsgegner geblieben: Am Tag des Interviews demonstrierte er entlang der Hauptstraße seines Wohnortes mit Gesinnungsgenossen gegen den Krieg in Afghanistan.

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