US-Justiz:Trumps Kandidat für den Supreme Court - Die erzkonservative Zukunft beginnt

Protest vor dem Supreme Court in Washington

So gespalten wie die Demonstranten vor dem Supreme Court in Washington (im Bild: Abtreibungsgegner) sind, so uneins ist momentan das Richtergremium selbst.

(Foto: AFP)

Der US-Präsident könnte am Dienstag einen reaktionären Hardliner für das höchste Gericht nominieren. Möglicherweise nur sein erster Schritt, den Supreme Court auf Jahrzehnte zu formen.

Von Johanna Bruckner, New York

Als im vergangenen Februar Antonin Scalia starb, Richter am Supreme Court und republikanische Ikone, dauerte es vom Bekanntwerden seines Todes bis zum ersten strategischen Schachzug gerade einmal 60 Minuten. Dann kündigte Mitch McConnell, republikanischer Mehrheitsführer im Senat, an: Der Sitz von Scalia werde offen bleiben, bis ein neuer Präsident im Amt sei. Er meinte damit: ein Präsident aus der Grand Old Party, aus der Partei der Republikaner. Es war eine Ankündigung, die die Demokraten nur als Drohung verstehen konnten. Und die die Republikaner wahr machten.

Seit zehn Tagen sitzt nun Donald Trump im Weißen Haus - und er hat angekündigt, am Dienstagabend (Ortszeit Washington) seinen Kandidaten für den vakanten Richterposten zu verkünden. Es wird eine Entscheidung sein, deren Tragweite noch größer ist als die des präsidialen Plans, eine Grenzmauer zu Mexiko bauen zu lassen. Denn der Supreme Court - in etwa vergleichbar mit dem deutschen Verfassungsgericht - bestimmt mit, in welche Richtung sich die USA gesellschaftlich entwickeln und trifft in Zeiten des politischen Stillstands wichtige Entscheidungen. Fünf Gründe, warum die Besetzung des Richterpostens am Supreme Court ein Justiz-Krimi ist.

1) Die Vorgeschichte

Scalias Sitz soll frei bleiben, bis ein neuer Präsident im Amt ist. Dieser Poker der Republikaner lässt sich nachvollziehen, weil die obersten Richter in den USA auf Lebenszeit bestellt werden und wichtige Entscheidungen etwa zum Abtreibungsrecht treffen. Es geht also um viel. Trump hat versprochen, einen "Pro Life"-Richter zu ernennen, was ihm die Unterstützung vieler evangelikaler Christen sicherte. 65 Prozent der Wähler nannten den neuen Richter-Sitz als wichtigen Faktor - und was hatte McConnell zu verlieren? Er wusste, dass Obama oder möglicherweise Clinton mit großer Wahrscheinlichkeit einen liberalen Juristen ernennen würden.

Theoretisch gibt es die Möglichkeit, einen Richter am Supreme Court abzuberufen, wenn er sich eines Amtsvergehen schuldig gemacht hat. Doch seit der Gründung des Gerichts 1789 ist das noch nie passiert. Nicht jeder Präsident hat also zwangsläufig das Privileg, den Supreme Court nach seinen Überzeugungen zu formen.

Barack Obama hatte diese Möglichkeit in acht Jahren dreimal: Zweimal bekam er mit Sonia Sotomayor und Elena Kagan seine Wunschkandidatinnen vor dem Senat durch. Beim dritten Mal, nach dem Tod von Scalia, verweigerten die republikanischen Senatoren schon die vor der Abstimmung im Plenum übliche Anhörung. Dabei hatte Obama mit Merrick Garland einen hochrespektierten Richter nominiert, über den sich in der Vergangenheit auch Republikaner positiv geäußert hatten.

Aber es ging eben ums Prinzip, und um die Mobilisierung der Wähler. Noch heute sprechen deshalb führende Demokraten davon, dass Ex-Präsident Obama Scalias Sitz "gestohlen" worden sei. Wenn es nun darum gehen wird, über Trumps Kandidaten zu entscheiden, könnten sie auf Rache sinnen. Auch wenn das so offen niemand sagt in Washington.

2) Trumps Kandidaten

Im Wahlkampf hatte Donald Trump eine Liste mit 21 Namen öffentlich gemacht - darunter ist vermutlich der nächste Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Bisher hat der Präsident nur so viel verraten: Sein Kandidat werde "wahrlich großartig" sein.

Drei Männern werden derzeit die besten Chancen eingeräumt. William Pryor Jr., Richter in Atlanta, ist ein Hardliner: Der 54-Jährige ist ein Protegé des designierten Justizministers Jeff Sessions - und unter Liberalen ähnlich umstritten wie sein Mentor. In der Vergangenheit hatte sich Pryor dafür ausgesprochen, gleichgeschlechtlichen Sex weiter unter Strafe zu stellen: Erlaube man schwulen Männern, gegen das Verbot vorzugehen, müsse man diese Position zwangsläufig auch auf Prostitution, Ehebruch, Nekrophilie, Sodomie, Besitz von Kinderpornografie und sogar Inzest und Pädophilie ausweiten. An anderer Stelle bezeichnete er das Gesetz, das Frauen ein Recht auf Abtreibung einräumt, als "schlimmste Abscheulichkeit in der Geschichte unseres Verfassungsrechts".

Der dritte Favorit könnte bei Trump mit seiner Geschichte punkten

Wie Pryor ist auch Neil Gorsuch, Richter in Denver, ein sogenannter originalist: Der 49-Jährige möchte die Verfassung so auslegen, wie sie die Founding Fathers vor mehr als 200 Jahren verstanden wissen wollten. Interpretationsspielraum, um auf gesellschaftliche Veränderungen (etwa die veränderte Rolle der Frau), einzugehen, ist da kaum. Dennoch: Im Vergleich zu Pryor wirken Gorsuch und auch der dritte Favorit, Thomas Hardiman, 51, aus Pittsburgh, fast wie gemäßigte Konservative. Hardiman könnte bei Trump mit seiner persönlichen Geschichte punkten: Der Richter ist der Erste in seiner Familie, der ein College besuchte. Um sich die Law School zu finanzieren, fuhr Hardiman Taxi. Solche Aufsteigergeschichten gefallen dem Präsidenten.

Eines ist aber klar: Diese Personalie wird dafür sorgen, dass erneut in Dutzenden Städten gegen Trumps Regierung protestiert werden wird. Bei den diversen Women's Marches war der Ruf "My body, my choice" ständig zu hören - viele Amerikanerinnen wollen ihr Recht auf Abtreibung verteidigen.

3) "Ermüdungs"-Trick bei der Abstimmung

Weil die Republikaner im Senat die Mehrheit bilden, haben die demokratischen Senatoren ein einziges Mittel zur Verfügung, um einen Trump-Kandidaten zu boykottieren: die sogenannte "Filibuster-Rede" oder auch "Ermüdungsrede". Dabei versucht die Minderheit im Senat, durch Wortbeiträge eine Abstimmung möglichst lange hinauszuzögern. Momentan stellen die Republikaner 52 von 100 Senatoren: Es scheint momentan ebenso unwahrscheinlich, dass Trump acht Demokraten auf seine Seite ziehen kann wie das Szenario, dass die Oppositionspartei drei Republikaner für sich gewinnt.

Die Republikaner können einen Filibuster eben nur brechen, wenn sie 60 Stimmen zusammenbekommen. Stand heute. Die Konservativen könnten erwägen, die Filibuster-Regel bei der Abstimmung über einen Richter am Supreme Court dahingehend zu ändern, dass eine einfache Mehrheit reicht, um einen Filibuster zu brechen.

Die Demokraten hatten das in Obamas Amtszeit auf niedrigerer Ebene durchgesetzt: So konnte Obama gegen den Widerstand der Republikaner mehr als 300 Richter für Bundesbezirksgerichte und Bundesberufungsgerichte bestellen. Möglicherweise ist jetzt payback time - die "Alliance of Justice", eine den Demokraten nahestehende Organisation, die sich als Korrektiv der Bundesjustiz sieht, hat schon mal eine millionenschwere Kampagne lanciert. Allerdings dürften mächtige Republikaner wie McConnell hier zögern: Was dem konservativen Präsident Trump heute hilft, könnte in vier oder acht Jahren einem Demokraten nutzen, seine oder ihre Kandidaten durchzudrücken.

4) Fortschritt versus Reaktionismus

Gesundheitsvorsorge, Rechte von Lesben und Schwulen, Förderung von Minderheiten und das Recht auf Abtreibung - in Obamas zwei Amtszeiten hat der Supreme Court Grundsatzentscheidungen zu brennenden gesellschaftlichen Themen getroffen. An seinem letzten Tag als US-Präsident bedankte sich eine der prominentesten TV-Moderatorinnen des Landes. Obama habe ihr Leben verändert, sagte Ellen DeGeneres. "Ich bin heute eine rechtmäßig verheiratete Frau." Sie hatte ihre Lebensgefährtin geheiratet, direkt nachdem der Supreme Court Gesetze auf Bundesstaatenebene für nichtig erklärt hatte, die gleichgeschlechtliche Ehen verbieten.

5) Die Zukunft des Supreme Court könnte den Republikanern gehören

Momentan herrscht ein Patt auf der Richterbank: Es gibt vier Richter, die von der Demokratischen Partei nominiert wurden, und vier, die die Republikaner gestellt haben. Der vakante Posten wird die Machtverhältnisse also zunächst nicht verändern: Ein erzkonservativer Jurist (Scalia) wird durch einen anderen erkonservativen Richter ersetzt. Ein Vorteil für die Grand Old Party: Der neue Mann (oder Frau) dürfte viele Jahre Recht sprechen.

Die wichtigste Figur bleibt daher vorerst Anthony Kennedy, der zwar vom republikanischen Präsidenten Ronald Reagan bestellt wurde, in der Vergangenheit aber liberale Entscheidungen befürwortet hat - allen voran zur Homo-Ehe. Seine Stimme wird deshalb als sogenannte swing vote bezeichnet.

Momentan können die Demokraten noch auf ihn hoffen - doch Anthony Kennedy ist bereits 80. Zwei weitere demokratische Richter, die beide vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton berufen wurden, sind in einem ähnlichen Alter: Stephen Breyer ist 78 und Ruth Bader Ginsburg sogar schon 83. Möglicherweise bekommt Donald Trump in seiner Amtszeit also noch weitere Gelegenheiten, einen Richterposten am Supreme Court zu besetzen - das höchste amerikanische Gericht würde dann immer konservativer. Politische Beobachter befürchten, dass es auf Jahrzehnte vorbei sein könnte mit fortschrittlichen Entscheidungen.

Wenn es allein um den Willen ginge, dies zu verhindern, würde Ruth Bader Ginsburg wohl gerne über 100 werden. Sie war bei ihrer Nominierung 1993 erst die zweite Richterin am Supreme Court (mittlerweile sind es vier) und hat in einer Zeit studiert, als Frauen in der Justiz noch die Ausnahme waren. An ihrem ersten Tag in der Law School sei sie gemeinsam mit den anderen acht Studentinnen vom Rektor zum Dinner eingeladen worden, erzählte Bader Ginsburg einmal. Dort habe sie der Rektor gefragt, warum sie einen Platz besetze, der einem Mann gehören könnte.

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