US-Interessen in der arabischen Welt:Weltmacht im Dilemma

Die Umstürze in der arabischen Welt könnten die US-Interessen in der Region gefährden - trotz aller Freude über die Befreiung der Völker.

Reymer Klüver

Am Mittwoch hat sich Amerikas Außenministerin auf Kairos Straßen begeben - virtuell zumindest. Via Facebook, Twitter und Email stellte sich Hillary Clinton Fragen aus Ägypten zum Kurs der US-Regierung. Mehr als 6500 Menschen schickten elektronische Botschaften nach Washington. Die Fragen waren direkt, und aus ihnen sprachen die tiefen Zweifel der Menschen über die wahren Absichten Amerikas: "Unterstützt Amerika wirklich die Demokratie?", fragte Mohammed, ein junger Ägypter, per Video. Ein anderer Mann, der sich Mahmud nannte, schickte Aufnahmen vom Tahrir-Platz und fragte dazu: "Die Haltung der USA während der ägyptischen Revolution war es zunächst, das Regime zu stützen. Warum?"

Die Fragen zeigen, welch enorme Anstrengungen die USA noch unternehmen müssen, um die Herzen der Menschen auf den arabischen Straßen zu gewinnen. Zu lange haben US-Regierungen im Zweifel stets die Despoten unterstützt. Und die Reden der Präsidenten von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten waren oft bloße Rhetorik.

Gerade in Ägypten haben sie sich das gemerkt. Schon George W. Bush hatte Hosni Mubarak zu Reformen gedrängt, als die USA nach den Anschlägen von 9/11 erkannt hatten, wie sehr Unfreiheit und Unzufriedenheit junge Männer in die Radikalität und die Arme der Islamisten trieben. Doch dann schaute Bush schulterzuckend zu, als Mubarak Dissidenten wegschloss. Barack Obama warb für die arabische Demokratie in einer Rede an der Universität von Kairo, als er kaum sechs Monate im Amt war. Auch er hatte erkannt, dass die Unterstützung der USA für die Regime den Anti-Amerikanismus in der Region nur potenziert. Doch die friedlichen Freiheitskämpfer vom Tahrir-Platz hatten nicht gerade den Eindruck, dass Obama von vornherein auf ihrer Seite stand.

Zum anderen zeigen die Frage aber auch, wie viel von Amerika im Nahen Osten erwartet wird. Und tatsächlich ist der Einfluss Washingtons trotz aller Unkenrufe über die schwindende Muskelkraft der Weltmacht in der Region noch immer enorm. Der Entschluss Obamas, Ägyptens Präsidenten fallen zu lassen, dürfte den Sturz Mubaraks stark beschleunigt haben. In Bahrein hat ein persönliches Telefonat mit dem König zur vorläufigen Entspannung der Situation beigetragen. Im Jemen lässt sich der autokratische Präsident Ali Abdullah Saleh widerwillig auf Reformen ein, weil ihn die USA dazu drängen. Nur in den Wirren in Libyen scheint auch der Einfluss Washingtons sehr begrenzt zu sein.

Der Umbruch in der arabischen Welt stellt die US-Regierung vor drei große Fragen: Wie kann die Weltmacht ihre strategischen Interessen wahren und den Aufstieg theokratischer Regimes verhindern? Wie können die USA eine Machtverschiebung in der Region zugunsten Irans abwenden? Wie können sie diese strategischen Interessen mit dem grundsätzlichen Werben Obamas für die Demokratisierung der islamischen Welt in Einklang bringen? Die "seismische Verschiebung", wie der angesehene Kommentator Fareed Zakaria in der Washington Post den politischen Aufbruch von Tunis bis Sanaa nannte, dürfte der bisher größte Test für Obamas außenpolitisches Geschick sein. Es steht viel auf dem Spiel.

Demokratie oder Einfluss

Ägypten ist eine der bedeutendsten Konstanten im Kalkül Amerikas in Region. Bisher war das Land ein Garant des Friedens mit Israel, verlässlicher Gegner Irans und Freund im Kampf gegen islamistische Bestrebungen jeglicher Art. Wenn dieser Partner wegbrechen sollte, hätte das verheerende Folgen. Bahrein ist ebenfalls kein unbedeutendes Steinchen im strategischen Mosaik. Vom dortigen US-Flottenstützpunkt aus regieren die USA den Golf und halten Iran in Schach. Im Jemen müssen sie unbedingt vermeiden, dass al-Qaida das Land zu einer Terrorbasis im Süden der arabischen Halbinsel machen kann.

Und dann sind da noch Israel und Saudi-Arabien, neben Ägypten zweifellos die wichtigsten Freunde in der Region. Sie sind vom außenpolitischen Balanceakt Obamas in den vergangenen Wochen nicht gerade beeindruckt. Beide Regierungen halten das Eintreten des US-Präsidenten für die arabische Demokratiebewegung erkennbar für naiv. Um die Saudis und andere arabische Monarchen zu beruhigen, hat Washington in den vergangenen Tagen hochrangige Diplomaten in die Region geschickt. Saudis und Israelis fürchten, dass die Tyrannenstürze am Ende nur den Einfluss Irans auf das Geschehen in der Region stärken werden. Tatsächlich profitiert Teheran schon jetzt von der Krise: Die gestiegenen Ölpreise helfen, den Druck der Sanktionen zu lindern. Die Passage der beiden iranischen Kriegsschiffe durch den Suez-Kanal ins Mittelmeer ist ein provozierendes Zeichen für das bereits gestiegene Selbstbewusstsein Teherans.

Tatsächlich steht Washington vor einem Dilemma. Die US-Regierung propagiert den demokratischen Wandel, doch der Einfluss Amerikas in der Region wird schwinden, wenn die Diktatoren gehen. Egal wer sich in Tunesien, Ägypten, Bahrein oder Jemen am Ende durchsetzen wird: Jedes neue Regime wird dem anti-amerikanischen Reflex der Massen stärker Folge leisten müssen und weniger willfährig auf die Wünsche Washingtons eingehen. Und jede neue Regierung wird sich Avancen Irans gegenüber offener zeigen. Das ist eine der strategischen Lehren aus dem Eingreifen der USA in der Region: In Bagdad und Kabul haben sie Gegner Irans von der Macht vertrieben. Das hat den Einfluss der Teheraner Theokraten nur gestärkt.

Doch zugleich ist die Krise ein Test für Obamas Demokratie-Agenda. Deren Mantra ist es, dass Amerikas Interessen langfristig nicht gestützt werden, wenn Washington gemeinsame Sache mit Despoten macht, weil das nur die Ressentiments gegen die USA überall in der Welt steigern würde. Gerade Amerikas Linke drängt Obama, sich eindeutiger auf die Seite der Demokratiebewegungen zu schlagen und sie als Chance, nicht aber als Gefahr zu begreifen.

Angesichts der vertrackten Lage und der sich widersprechenden Anforderungen agiert Obama mit erkennbarer Vorsicht und dem Reflex, zunächst dem Establishment im State Department zu folgen. Und das hat bisher noch bei allen Krisen zum Abwarten geraten. In Tunesien hinkten die USA der Entwicklung hinter her. In Ägypten schwankte Obama sichtlich, ehe er sich gegen Mubarak stellte. In Bahrein ließ er sich Zeit, ehe er den König kontaktierte. Und in Libyen hält sich das Weiße Haus zurück (wohl auch aus Sorge, Amerikaner in Tripolis könnten zu Geiseln werden) In ihrem virtuellen Dialog mit den Demonstranten von Kairo verteidigte Clinton diesen vorsichtigen Kurs der Weltmacht. "Wir unterstützen die Demokratie", antwortete sie dem jungen Mahmud, "und wir haben gehofft, dass geschieht, was geschehen ist."

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