US-Fernsehserie "24":Folter als Teil einer nationalen Mythologie

Noch vor Ablauf der Stunde wird eine Atombombe explodieren oder Giftgas Tausende töten. Falls nicht Jack Bauer die Pläne vereitelt. Die Dramatik der TV-Serie "24" ist unwiderstehlich. Doch sie zielt genau in die Grauzonen, die die Bush-Regierung nach dem 9/11 geschaffen hat - und wird von Rekruten im Irak eifrig kopiert.

Jörg Häntzschel

Die erste Folge der amerikanischen Fernsehserie ,,24'' wurde am 6. November 2001 ausgestrahlt, kaum zwei Monate nach dem 11. September. Selten traf Fiktion derart ins Schwarze: Terrororganisationen haben das Land infiltriert, Attacke folgt auf Attacke. Dass die ganz große Katastrophe im jeweils letzten Moment noch abgewendet werden kann, ist Jack Bauer (Kiefer Sutherland) zu verdanken, dem Chef der Antiterrorismus-Einheit CTU. ,,24'', dessen sechste Staffel gerade läuft, wurde mit Preisen überschüttet, gewinnt Zuschauer hinzu und wurde in die meisten Länder der Erde verkauft, im deutschen Fernsehen läuft sie auf RTL II. Eine deutsche Version, ,,GSG 9'', ist eben angelaufen.

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Umso überraschter waren die Produzenten der Serie, als sie kürzlich Besuch von einer ungewöhnlichen Delegation bekamen: von Armeevertretern und Menschenrechtsaktivisten. Beide Lager kritisierten den Gebrauch von Folter in fast jeder Episode.

Sie waren weniger aus Sorge um die jugendlichen Zuschauer gekommen, vielmehr war der Armeeführung aufgefallen, dass viele unerfahrene Rekruten im Irak die Methoden aus ,,24'' als Vorbilder für die Verhöre an Gefangenen verwendeten. Ermahnten die Vorgesetzten sie, die Genfer Konvention einzuhalten, die alle diese Methoden ächtet, antworteten sie ,,Aber Jack Bauer!'' Der Name des Helden steht in diesem Fall für das moralische Credo der Show: Folter funktioniert, und deshalb muss man sie anwenden, wenn so unschuldige Menschen gerettet werden können.

Die Serie zielt also genau in jene ethische, juristische und politische Grauzone, die die Bush-Regierung geschaffen hat. Erst im September verteidigte Bush die ,,verschärften Verhörtechniken'', wie sie die CIA anwendet, als notwendig im Kampf gegen den Terrorismus. Dick Cheney billigte ausdrücklich das ,,waterboarding'', das dem Gefangenen das Gefühl gibt, zu ertrinken. Niemand, heißt es, habe die Prozedur länger ausgehalten als der Superterrorist Chalid Scheich Mohammed, dafür hatten es die neulich von der Regierung stolz präsentierten Geständnisse aber auch in sich.

Bond war gestern

Während die Regierung hinter einem Gestrüpp von Heuchelei, Leugnungen und Rechtfertigungen diskutiert, wie das Urteil des Supreme Court, die Genfer Konvention müsse für alle amerikanischen Gefangenen gelten, möglichst weit auszulegen sei, liefert ,,24'' dem Bush-Regime die fiktiven Präzedenzfälle, mit der sie die Wählerschaft an den Tabubruch gewöhnen kann.

Folter als Teil einer nationalen Mythologie

So etwa lautete das Fazit einer Diskussion zur Folter in ,,24'' an der juristischen Fakultät der New York University. Außer Jane Mayer vom New Yorker, die mit einem Artikel die Debatte losgetreten hatte, saßen der ehemalige Armee-Mann Tony Lagouranis und Jill Savitt von Human Rights Watch auf dem Podium. Am spannendsten waren jedoch die Beiträge des Cultural-Studies-Professors Richard Slotkin, der darlegte, wie geschickt ,,24'' die amerikanische Populärmythologie benützt.

Das Erfolgsgeheimnis der Serie ist ihr erzählerisches Prinzip. Jede Staffel erzählt in 24 Folgen die 24 Stunden eines Arbeitstages von Jack Bauer in Echtzeit, wie die regelmäßig eingeblendete Uhr beweist. Der dramatische Effekt ist unwiderstehlich, denn er ist an ein Ultimatum gekoppelt: Noch vor Ablauf der Stunde wird eine Atombombe explodieren, Giftgas Tausende töten, ein Staudamm gesprengt - wenn nicht Jack Bauer rechtzeitig die Pläne vereitelt. Bekannt ist das Prinzip der tickenden Bombe in schlichterer Form aus den James-Bond-Filmen. Doch während es dort genügt, dass 007 sich zum Zünder durchkämpft, lassen sich die Plots in ,,24'' nur stoppen, indem man ihre Urheber zum Reden bringt. Fanatisiert wie sie sind, tun sie das erst, wenn sie ,,gebrochen'' sind. Sie so weit zu bringen, ist der Job von Bauer und seinen Folterknechten, die - meist ungerührt - mit Messer, Zange, Schlagbohrer und Schleifmaschine zu Werke gehen.

Folterer im Film, das waren bisher fast immer fremde Schurken; nie waren es gute Amerikaner. ,,The Siege'', ,,Ausnahmezustand'' aus dem Jahr 1998, der von einem islamistischen Terroranschlag auf New York erzählt, kommt dem Tabubruch schon nahe, doch wir sehen Bruce Willis als US-General die Folter nur planen, die Ausführung wird nicht gezeigt. Seit 2001 jedoch gilt Foltern im Fernsehen als patriotisch, auch in Serien wie ,,Lost'' oder ,,Law and Order''. Um diesen moralischen Umschwung zu legitimieren, zieht ,,24'' alle Register, durch die irrwitzig knappe Zeit, die Bauer bleibt, die biblischen Ausmaße der bevorstehenden Katastrophe, vor allem aber die idealisierte Natur der Terrorplots.

2002 forderte der Harvard-Jurist Alan Dershowitz für den Fall der ,,tickenden Bombe'' die gesetzliche Genehmigung der Folter. Auch die praktische Seite vernachlässigte er nicht. Eine ,,sterile Nadel unter dem Fingernagel'' sei ein probates Mittel, erklärte er auf CNN. ,,Das würde die Genfer Konvention verletzen, aber etliche andere Länder verletzen sie auch.''

Doch dieses Szenario ist sehr unwahrscheinlich. In der Realität kommt der Anschlag entweder unerwartet oder er ist mit der Gefangennahme der Täter vereitelt. Tritt der seltene Fall aber doch ein, wird Folter den Anschlag kaum stoppen helfen. ,,Schon unter normalen Umständen sind mit Folter erpresste Informationen wertlos; die tickende Bombe wird das Folteropfer aber erst recht zu Falschaussagen animieren, um Zeit zu schinden'', erklärte Lagouranis, der im Irak selbst Verhöre durchführte. Die Serie aber suggeriert, dass man ein zukünftiges Ereignis auf dieselbe Weise aufklären könne wie ein vergangenes.

Folter als Teil einer nationalen Mythologie

Geschickt spielt die Serie mit der Frustration eines Volkes im Krieg gegen den Terror. Nicht nur die Erfahrung vom 11. September, auch die Nachrichten aus dem Irak liefern den grotesken Plots den Anschein von Glaubwürdigkeit. Umgekehrt lässt das fiktive Armageddon in amerikanischen Städten die irakischen Bomben fast harmlos erscheinen. Ebenso geschickt befriedigt ,,24'' das Publikum mit der Phantasie einer Vergeltung für den 11. September, die die Feldzüge in Irak und Afghanistan bislang schuldig blieben. Amerika, die unfähige Supermacht, ist endlich wieder ein Gewinner.

Doch ,,24'' wäre nicht so erfolgreich, so Richard Slotkin, wenn die Serie nicht auf klassische Muster der Nationalmythologie mit dem stets schwelenden Konflikt von Ordnung und Gesetzlosigkeit zurückgriffe. Die gute, aber wehrlose Mutter aus dem Western und die skrupellosen Indianer, die ihre Kinder abschlachten, sind ein Beispiel. Amerikas Weg verläuft zwischen zwei Prinzipien. Immer steht die Zukunft der Nation auf dem Spiel, immer ist der Konflikt nur lösbar durch die entschlossene Tat, nie durch Verhandeln; und stets ist die Ordnung nur wiederherzustellen, indem sie verletzt wird.

Wie John Wayne in ,,Der Mann, der Liberty Valance erschoss'' oder Clint Eastwood in ,,Dirty Harry'': Nicht der Cop, der den Regeln folgt, fasst den Mörder, sondern der, der bereit ist, sie zu brechen. Nur ein Held, der sich selbst über das Gesetz stellt, kann die Gesetzlosen besiegen. Genau diese Figur ist Jack Bauer. Dass er einsam ist wie alle amerikanischen Helden, dass er nie Teil der Gesellschaft sein kann, die er verteidigt, macht ihn nur attraktiver. ,,Er ist der Präsident, den wir haben sollten, der kick-ass-Präsident'', sagte Slotkin. George W. Bush formte seine öffentliche Persona genau nach diesem Bild.

Nur eine Episode?

Auf die Kritik des Militärs und der Menschenrechtler hatten die Macher von ,,24'' nur eine Antwort: ,,Es ist Fernsehen, das darf man nicht mit der Realität verwechseln.'' Joel Surnow, der Produzent und Koautor macht allerdings keinen Hehl daraus, dass er Folter für legitim hält. Sich selbst bezeichnet Surnow, der mit dem ultrakonservativen Polemiker Rush Limbaugh befreundet ist, als ,,rechten Spinner''. Kiefer Sutherland hingegen hält den Irak-Krieg für ,,unentschuldbar'', Abu Ghraib für ,,absolut kriminell'' und sagte zur Folter: ,,Um Informationen zu bekommen, taugt sie nicht, dazu muss man genau das Gegenteil tun. In der Serie ist sie ein dramatisches Mittel, um darzustellen, wie verzweifelt die Situation ist.''

In Wahrheit aber erhebt ,,24'' die Folter zum einzig wirksamen Mittel gegen den Terrorismus, verklärt das Foltern zum Ausdruck einer existentiellen Haltung, die - zumindest in Amerika - viele unterschreiben würden: Wir schlagen zurück! Nach Jahren eines komplexen Oszillierens von Pop und Politik, Irak und Hollywood, ist Folter, so Slotkin, ,,Teil unserer nationalen Mythologie''. Und es ist keineswegs sicher, dass sie es nur für eine kurze Episode bleibt, selbst, wenn die Folterszenen, die den ,,24''-Machern bereits ,,schal'' erscheinen, demnächst wieder verschwinden, selbst wenn eine neue Regierung die Genfer Konvention hochhält. ,,Wer weiß: vielleicht sehen wir erst den Anfang. Vielleicht wird man irgendwann sagen: Hätten wir nur mehr gefoltert!''

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