US-Debatte um strengere Waffengesetze:Ihr Leiden ist ihr Trumpf

US-Senat Waffengesetze Newtown

Erica Lafferty (links) und Jillian Soto haben Angehörige beim Massenmord in der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown verloren - und werben nun in Washington an der Seite von demokratischen Senatoren für strengere Waffengesetze.

(Foto: Reuters)

Angehörige der Opfer des Massenmords von Newtown haben skeptische US-Senatoren überzeugt, über strengere Kontrollen für Waffenkäufer zumindest zu beraten. Doch dieser Lobby-Erfolg ist keine Garantie, dass die Politiker etwas beschließen werden. Denn vielen ist vor allem eins wichtig: die eigene Wiederwahl.

Von Matthias Kolb

Es bewegt sich etwas in Washington: Eltern und Geschwistern der Opfer des Massenmords von Newtown, Connecticut ist es gelungen, skeptische US-Senatoren dazu zu bringen, über strengere Kontrollen für Waffenkäufer zu beraten. Die Familien wissen, dass dieser Lobby-Erfolg nicht garantiert, dass die auf Wiederwahl fixierten Politiker letztendlich etwas beschließen werden - doch sie lassen nicht locker.

In dieser Woche reisten Angehörige der Toten von Newton nach Washington, um die Senatoren noch einmal von schärferen Waffengesetzen zu überzeugen. "Jeder Tag ist schwer für mich. Es fällt mir schwer, meinen Kindern das Mittagessen zu machen. Es fällt mir schwer, einzuschlafen und es ist hart, aufzuwachen", schilderte Mark Barden Reportern sein Leben seit dem 14. Dezember 2012. An jenem Tag wurde sein Sohn Daniel mit 19 anderen Kindern und sechs Lehrern in der Sandy-Hook-Grundschule erschossen.

Wie viele Angehörige der Opfer von Newtown ist Barden trotz all der Schmerzen überzeugt, dass er alles dafür tun müsse, um ähnliche Horror-Taten in Zukunft zu verhindern, das Leben für Amerikas Schulkinder sicherer zu machen und strengere Waffengesetze durchzusetzen. Ein erster wichtiger Schritt ist nun gelungen: 68 Senatoren stimmten dafür, die Debatte über eine Reform der entsprechenden Regelungen zu beginnen. Neben 52 der insgesamt 55 Demokraten und Unabhängigen votierten auch 16 Republikaner mit "Ja".

Das Weiße Haus hatte den öffentlichen Druck zuletzt ständig aufrechterhalten: Präsident Barack Obama reiste für eine Rede in den Bundesstaat Connecticut, First Lady Michelle erinnerte in Chicago an die vielen jungen Opfer von Waffengewalt, Vizepräsident Joe Biden sprach in der einflussreichen TV-Sendung "Morning Joe" über die "Babys von Newtown" - deren Schicksal habe alles verändert und müsse die Politik endlich zum Umdenken zwingen.

Trotzdem liegt es vor allem an den Angehörigen der Opfer, dass die von einigen Republikanern angedrohte Blockade durch das Instrument des sogenannten Filibuster überwunden wurde. Das Washingtoner Insider-Magazin Politico ist überzeugt, dass es keiner anderen Lobby-Gruppe derzeit gelingt, zu jeder Zeit mit jedem Senator ein persönliches Treffen zu bekommen.

Am Ende eines jeden Gesprächs übergeben die Angehörigen dem Politiker Fotos des niedergeschossenen Angehörigen. Nicole Hockley hinterlässt etwa eine farbige Karte mit drei Bildern ihres toten Sohns. Auf einem ist Dylan in einem Superman-Shirt zu sehen, darunter steht: "Dylan Hockley. 8. März 2006 - 14. Dezember 2012. Ehrt sein Leben. Setzt Euch mit uns für Wandel ein. JETZT IST DIE ZEIT DAFÜR."

Unterschiedliche Probleme für Demokraten und Republikaner

Der Gesetzentwurf, über den nun in der kommenden Woche beraten wird, sieht vor, dass landesweit bei Waffenverkäufen im Rahmen von Messen (gun shows) sowie bei Bestellungen im Internet genau überprüft wird, ob der Käufer vorbestraft ist oder an schweren psychischen Erkrankungen leidet. Strafen für Waffenschmuggel sollen verschärft und die Mittel für die Sicherheit an Schulen erhöht werden. Private Verkäufe zwischen Verwandten, Freunden oder Nachbarn bleiben allerdings erlaubt. Zudem soll es Washington untersagt werden, ein zentrales Waffenregister einzuführen - viele Jäger, Waffenbesitzer und NRA-Mitglieder sehen eine solche Verschärfung als ersten Schritt zu einer flächendeckenden Konfiszierung.

Auch wenn diese Reform die ambitionierteste Neuregelung der US-Waffengesetze seit den neunziger Jahren wäre, bleibt sie weit hinter den Forderungen von Präsident Obama zurück. Ein Bann von kriegswaffenähnlichen Sturmgewehren, wie er zuletzt 1994 für zehn Jahre beschlossen wurde? Keine Chance, auch nur in die Nähe einer Mehrheit zu kommen. Ein Verbot von Magazinen, die mehr als zehn Patronen fassen und so Amokläufer und Verbrecher seltener zum Nachladen zwingen? Aussichtslos, dafür genug Senatoren zu gewinnen - von einer Zustimmung im republikanisch dominierten Repräsentantenhaus ganz zu schweigen.

Insofern sind die strengeren background checks von künftigen Waffenkäufern, die laut Umfragen 90 Prozent der Amerikaner befürworten, das einzige Vorhaben, dass noch eine Chance auf Umsetzung hat. Und es brauchte zwei besondere Senatoren, um selbst für dieses Minimal-Ziel den Weg frei zu machen: Der Demokrat Joe Manchin und der Republikaner Pat Toomey, denen die Waffenlobby NRA bislang Bestnoten in Sachen Waffenfreundlichkeit gegeben hatte.

Manchin vertritt das ländlich geprägte West Virginia, in dem viele Bürger Schusswaffen besitzen. Noch 2010 hatte er für Schlagzeilen gesorgt, als er in einem Wahlspot Patronen in ein Jagdgewehr steckte und auf ein Gesetz ballerte, das den Kohlebergbau einschränken und den Ausstoß von CO2 verringern soll.

Toomey hatte sich bisher als ultrakonservativer Obama-Gegner einen Namen gemacht, der vor allem dafür plädiert, den amerikanischen Schuldenberg abzutragen. Doch um in Pennsylvania wiedergewählt zu werden, braucht er die Stimmen von Wählerinnen aus den Vorstädten von Philadelphia und Pittsburgh, die das Thema Waffengewalt umtreibt und die Umfragen zufolge strengere Hintergrundüberprüfungen wichtig finden.

Die Lage der beiden Herren ähnelt der vieler Senatoren: Wer als Demokrat einen Staat mit einer ausgeprägten Waffenkultur vertritt (Alaska, Arkansas, Louisiana, Montana) und seine Wahlchancen nicht zu sehr mindern will, dem fällt die Zustimmung zu strengen Kontrollen schwer - und achtet peinlichst darauf, das in der Verfassung verankerte Recht auf Waffenbesitz nicht anzutasten. Auf der anderen Seite wissen viele Republikaner wie Toomey, dass auch in einstigen NRA-Hochburgen wie Georgia und Virginia die urban geprägten Vorstädte wachsen - weshalb ein allzu waffenfreundlicher Kurs wichtige Wählerstimmen kosten könnte.

So haben Republikaner wie Richard Burr aus North Carolina nun für eine Debatte gestimmt - und gleichzeitig betont, dass sie den Manchin-Toomey-Vorschlag im Kern ablehnen. Beobachter rechnen zudem damit, dass sowohl die Gegner als auch die Befürworter von strengen Kontrollen versuchen werden, den Entwurf mit entsprechenden Anträgen in ihre jeweilige Richtung zu lenken.

Um die endgültige Version zu beschließen, sind erneut 60 von 100 Stimmen nötig, so dass die Unterstützung von bis zu einem Dutzend konservativer Senatoren nötig ist. Erst dann kann das Repräsentantenhaus seine Beratungen beginnen. Dort haben allerdings bekanntlich die Republikaner die Mehrheit - und jeder Abgeordnete muss sich 2014 den Wählern stellen.

Die Angehörigen aus Newtown werden deshalb noch längere Zeit öffentlich und hinter verschlossenen Türen an ihre toten Verwandten erinnern müssen, um den nötigen Druck aufrechtzuerhalten. In Diskussionen und Veranstaltungen greifen Mark Barden und Nicole Hockley ein Argument auf, dass Obama in seiner "Rede zur Lage der Nation" vorbrachte: Die Opfer der Waffengewalt hätten zumindest eine Abstimmung im Parlament über strengere Regeln verdient. Ob diese jemals stattfinden wird, bleibt weiterhin unsicher.

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