Urteil:Wer mächtig ist, und wer nicht

Das Bundesarbeitsgericht lässt genau prüfen, ob auch kleine Gewerkschaften künftig Tarifverhandlungen führen und Tarifverträge schließen dürfen - in Konkurrenz zum großen Deutschen Gewerkschaftsbund.

Von Detlef Esslinger

Die DGB-Gewerkschaften können sich weiterhin Hoffnung machen, bei vielen Tarifverhandlungen konkurrenzlos zu bleiben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob am Dienstag in Erfurt einen Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg auf. Dieses hatte vor zwei Jahren dem "Deutschen Handlungsgehilfen-Verband" (DHV) das Recht zugestanden, Tarifverträge zu schließen. Die Hamburger Richter sollen sich nun erneut mit der Sache befassen, entschied der Erste Senat des BAG.

Im Arbeitsrecht gibt es seit Jahrzehnten mehrere Kriterien, um festzustellen, ob eine Gewerkschaft überhaupt mächtig genug ist, um Tarifverhandlungen zu führen. Damit soll nicht großen Gewerkschaften wie Verdi oder der IG Metall ein Monopol garantiert werden. Sondern es geht darum zu verhindern, dass Arbeitgeber heimlich Pseudo-Gewerkschaften gründen oder finanzieren, mit denen sie sodann bei Verhandlungen leichtes Spiel hätten. Gerichte prüfen zum Beispiel, ob eine Gewerkschaft überhaupt eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern hat (die sie zu einem Streik aufrufen könnte), oder ob sie über eine leistungsfähige Organisation aus Hauptamtlichen, vor allem Juristen und Tarifexperten, verfügt, die bereits zudem regelmäßig Tarifverträge ausgehandelt haben.

Das Landesarbeitsgericht hatte drei Gründe gefunden, den DHV für eine Gewerkschaft zu halten

Der DHV gehört dem Christlichen Gewerkschaftsbund an. In ihm sind nach eigenen Angaben 14 Gewerkschaften mit insgesamt 280 000 Mitgliedern vereint. Der DHV gibt an, 73 000 Mitglieder zu haben, der Schwerpunkt liege bei Handel, Banken und Versicherungen. Vor dem Landesarbeitsgericht war er aus drei Gründen erfolgreich: Die Richter dort fanden, eine Organisation, die seit 1950 etwa 24 000 Tarifverträge abschloss, habe damit ihre Potenz nachgewiesen. Zweitens habe das seit drei Jahren geltende Gesetz zur Tarifeinheit Streiks kleinerer Gewerkschaften erschwert - daher könne man ihnen jetzt auch nicht mehr die Mächtigkeit mit dem Argument absprechen, zu wenig Mitglieder zu haben, um in einem Konflikt wirkungsvoll mit Streik drohen zu können. Drittens hätten Arbeitgeber geringere Möglichkeiten als früher, einseitig die Löhne zu bestimmen, seit es den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt.

Das Bundesarbeitsgericht lehnte diese Argumentation ab. Die Hamburger Richter seien "zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des DHV im Hinblick auf das Mindestlohn- und das Tarifeinheitsgesetz abgesenkt sind", heißt es in der Pressemitteilung zu dem Beschluss, allerdings ohne weitere Begründung. Und die 24 000 Tarifverträge seit 1950 ließen die Erfurter Richter ebenfalls nicht gelten: Der DHV habe Verträge "teilweise außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs" geschlossen. Für sie bleibt entscheidend, wie viele Mitglieder in welchen Branchen eine Gewerkschaft tatsächlich hat - das soll das Landesarbeitsgericht nun gründlich ermitteln.

Verdi freut sich über den Beschluss, ein Anwalt hingegen sagt: "Sehr schade."

Geklagt hatten in dem Verfahren unter anderem die IG Metall und Verdi, außerdem die Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen. Die stellvertretende Verdi-Chefin Andrea Kocsis sagte am Dienstagabend, für sie "waren und sind die Angaben" des DHV zur Mitgliederzahl "in keiner Weise nachvollziehbar". Sie freute sich, dass dies nun geklärt werden soll. Der Münchner Anwalt Wolfgang Lipinski von der arbeitgebernahen Kanzlei Beiten Burkhardt hingegen sagte, das BAG halte leider an seinen "überzogenen" Anforderungen zur Mitgliederstärke fest. "Sehr schade", sagte er. Die Gesetze zu Mindestlohn und Tarifeinheit garantierten funktionierende Tarifverhandlungen.

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