Urteil im Korruptionsprozess gegen Ex-Bundespräsident:"Der Angeklagte Wulff ist freigesprochen"

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Christian Wulff verlässt den Gerichtssaal als vom Korruptionsvorwurf freigesprochener Mann. Ausführlich beleuchtet der Richter die Freundschaft zwischen dem Ex-Bundespräsidenten und dem mitangeklagten David Groenewold. Auch der Filmproduzent wird in der Hauptsache entlastet - und wegen einer falschen eidesstattlichen Versicherung verwarnt.

Von Annette Ramelsberger und Marc Widmann, Hannover

Schon vor dem Richterspruch trat ein sichtlich gelöster Christian Wulff in den Gerichtssaal. Er schüttelte noch einmal allen Wachleuten ausführlich die Hand, scherzte mit seinen Verteidigern und lächelte so gut gelaunt in den Saal, dass nicht zu übersehen war: Es sollte ein Tag der Erlösung werden für Christian Wulff, den Bundespräsidenten außer Dienst.

Ruhig war es geworden in den vergangenen Wochen, die Zuschauer blieben aus im Wulff-Prozess. An diesem Tag aber staute sich die Schlange der Besucher schon um neun Uhr morgens bis weit vor das Gerichtsgebäude in Hannover - eineinhalb Stunden, bevor das Urteil gegen Christian Wulff gesprochen werden soll.

Als Bundespräsident war Christian Wulff im Februar 2012 zurückgetreten, als die Staatsanwaltschaft darum bat, seine Immunität aufzuheben und mit den Ermittlungen gegen ihn begann. Nun sollte das Urteil gegen den langjährigen CDU-Politiker, ziemlich genau zwei Jahre später, fallen.

Richter sagt Wulff Entschädigung zu

Im Publikum saß seine Tochter Annalena, auch sie hörte um 10.45 Uhr die Worte des Richters: "Der Angeklagte Wulff wird freigesprochen. Ihm steht für die erlittenen Durchsuchungsmaßnahmen eine Entschädigung zu."

Eine gute Stunde lang begründete der Vorsitzende Richter Frank Rosenow das Urteil. Er referierte noch einmal die Anklage der Staatsanwaltschaft, wonach sich Wulff der Vorteilsannahme schuldig gemacht habe, als er sich von dem Filmunternehmer David Groenewold zum Oktoberfest einladen ließ und sich "als Gegenleistung" wohlwollend für dessen Filmprojekt "John Rabe" eingesetzt habe. Dann nahm Rosenow die Anklage Stück für Stück auseinander.

Für das Gericht gebe es keinen Zweifel, dass Wulff und Groenewold seit vielen Jahren eine "enge private Freundschaft" pflegten. Sie hätten sich nach Wulffs Terminen in Berlin privat getroffen, wo Groenewold lebte. Im Gegenzug habe der Unternehmer bei Wulffs in Niedersachsen übernachtet. Als Wulff sich von seiner Frau trennte, organisierte Groenewold ihm ein Handy, damit er unerkannt mit seiner neuen Freundin telefonieren konnte. "In Restaurants", so der Richter, "zahlte mal der eine, mal der andere".

Am 27. und 28. September 2008 reiste Wulff mit seiner Frau Bettina und dem gemeinsamen Sohn nach München. Sie übernachteten im Hotel Bayerischer Hof, einen Teil der Kosten für die Suite zahlte Groenewold. Was die Staatsanwaltschaft als Vorteilsgewährung einstufte, bewertet das Gericht anders. "Großmannssucht oder Gedankenlosigkeit könnten auch eine Rolle gespielt haben", dass Groenewold die Kosten übernahm, so der Richter, schließlich zeige dieser "eine generelle Neigung, andere von Kosten freizuhalten".

Der Unternehmer beglich nicht nur einen Teil von Wulffs Hotelkosten, er ließ auch den Babysitter der Wulffs auf seine eigene Zimmerrechnung schreiben. Vor Gericht sagte Wulff dazu, er habe das Geld für die Kinderfrau umgehend in Bar erstattet. Diese Aussage "war im Kern nicht zu widerlegen", befand das Gericht.

Das Fazit des Richters: "Bei dieser Ausgangslage hätte es schon sehr handfester Indizien für eine Verurteilung bedurft, diese haben wir hier indes nicht, im Gegenteil." Die Indizenkette sei nach seiner Auffassung "keinesfalls ausreichend".

Rosenow warf der Staatsanwaltschaft vor, nur die belastenden Indizien gegen Wulff gesammelt zu haben. "Allerdings gehören zu einer Gesamtschau auch die entlastenden Momente."

Gleich zweimal fragte der Richter: "Ist es wirklich vorstellbar, dass sich ein Ministerpräsident für Peanuts kaufen lässt?" Und dann auch noch in einer dilettantischen Weise derart viele Spuren hinterlasse? Nein, das hält der Richter offenbar für undenkbar.

An die Medien richtete er die Bitte, das Urteil nicht zu klassifizieren. "Es gibt nur schuldig und nicht schuldig" sagte Rosenow, "das ist wie bei der Schwangerschaft: ein bisschen schwanger geht nicht".

Dem früheren Präsidenten stehe zudem "für die erlittenen Durchsuchungen" eine Entschädigung zu, sagte Rosenow. Der Richter hatte während des dreimonatigen Prozesses mehrfach zu erkennen gegeben, dass er nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt sei.

Wulff zeigte sich nach dem Urteil "sehr erleichtert" und bedankte sich bei allen Menschen, die ihn in den vergangenen zwei Jahren beigestanden haben. "Ich werde mich jetzt der Zukunft zuwenden und mich den Themen widmen, die mir schon immer am Herzen liegen", sagte er vor dem Gerichtsgebäude. Was genau er nun beruflich machen will, dazu sagte Wulff nichts. Ein Bericht, nach dem er in einer Wirtschaftskanzlei arbeiten wolle, wird dementiert.

"Wir haben immer an einen Freispruch geglaubt.": Wulff Tochter Anna-Lena nach dem Urteil. (Foto: REUTERS)

Wulff machte sich nach seinem kurzen Statement schnell auf den Weg, weg vom Gericht. "Ich gehe jetzt mit meiner Tochter meinen Sohn vom Kindergarten abholen. Die beiden werden einen erleichterteren Vater erleben als in den beiden letzten Jahren." Wulffs erwachsene Tochter Annalena war während der Verhandlung im Saal, sie sagte danach: "Wir haben immer an einen Freispruch geglaubt."

Filmproduzent David Groenewold, Wulffs Freund und Mitangeklagter, erhielt eine Verwarnung wegen einer falschen eidesstaatlichen Versicherung, wurde aber in den Kernpunkten der Anklage freigesprochen. Er war sichtlich berührt. Beim Hinausgehen aus dem Gerichtsgebäude sagte er Süddeutsche.de: "Ich halte es mit Oscar Wilde. Der sagte: Wenn ich eine Sache über das Leben weiß, dann: Es geht weiter."

Schatten im Gesicht

Nun kann die Staatsanwaltschaft innerhalb einer Woche Revision einlegen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Jürgen Lendeckel, sagte: "Wir müssen erst mal die Begründung des Gerichts bewerten. Dann entscheiden wir, was wir tun." Er sprach aber von einer "ausführlichen und seriösen Begründung" des Urteils - was eine Revision schwierig macht. Wulffs Anwalt Bernd Müssig erklärte, das Urteil sei "in Stahl gegossen". Die Staatsanwaltschaft könne in Revision gehen, aber "Blindheit und Borniertheit sind keine Revisionsgründe".

Der Gerichtszeichner, der den Prozess viele Tage beobachtet hat, spiegelt den Freispruch schon in den Stunden vor der Urteilsverkündung auf seine Weise wider. Auf seinem Aquarell hat Wulff noch den Schatten im Gesicht, aber hinter ihm wird es hell. "Er ist ja durch ein Schattental gegangen, diesen Schatten trägt er im Gesicht", sagt Stefan Höller, der morgens schon sein Bild des Tages vorbereitet.

Wulff sei nicht einfach zu zeichnen, weil seine Gesichtszüge so normal seien. "Aber er wollte ja aus der Normalität ausbrechen, er kam ganz nach oben. Das Autokennzeichen des Bundespräsidenten ist ja die 0-1. Und dann ging er auf 0."

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