Urteil des BGH:Kundus-Opfer erhalten keine Entschädigung

Grundsatzurteil: Der Staat haftet nicht für den tödlichen Luftangriff, den ein deutscher Oberst in Afghanistan befahl.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ist ein Grundsatzurteil, das für alle künftigen Auslandseinsätze deutscher Soldaten von großer Bedeutung ist. Der Bundesgerichtshof hat Schadenersatzklagen wegen des fatalen Luftangriffs bei Kundus im September 2009 abgewiesen und damit zugleich grundsätzlich festgelegt: Zivile Opfer völkerrechtswidriger Militäraktionen im Ausland, für die Deutschland verantwortlich ist, haben keinerlei Entschädigungsanspruch gegen den deutschen Staat. (Az: III ZR 140/15)

Ein Vater, der damals zwei Söhne verloren hatte, sowie eine Frau, deren Ehemann zu Tode gekommen war, hatten auf 90 000 Euro Schadenersatz geklagt. Den Luftangriff nahe dem damaligen Bundeswehr-Stützpunkt im afghanischen Kundus hatte der deutsche Oberst Georg Klein befohlen. Zwei Tanklaster, entführt von Taliban-Kämpfern, saßen damals in einer Sandbank fest. Zahlreiche Menschen befanden sich dort, das zeigten Infrarotaufnahmen, auf denen freilich nur Wärmepunkte zu sehen waren. Ein afghanischer Informant versicherte dem Oberst im Feldlager Kundus, es handle sich ausschließlich um Taliban-Kämpfer, nicht um Zivilisten - womit nach den Regeln des Völkerrechts ein Angriff erlaubt gewesen wäre. Die Piloten der angeforderten US-Kampfflugzeuge rieten zwar zu einem warnenden Überflug, um die Leute vor einem Bombenabwurf zu vertreiben. Doch Klein ordnete die sofortige Bombardierung an. Seine Einschätzung erwies sich als falsch. Bei dem Angriff wurden mindestens 80, möglicherweise auch mehr als hundert Zivilisten getötet. Der BGH attestierte dem Kommandeur nun, er habe alle Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Die Anwesenheit von Zivilisten sei für ihn nicht erkennbar gewesen.

Ansprüche gegen den Staat gibt es bei Einsätzen deutscher Soldaten im Ausland nicht

Doch auch über diesen Einzelfall hinaus hat der BGH solche Ansprüche ganz generell ausgeschlossen. Im Mittelpunkt standen dabei die deutsche Regeln der "Amtshaftung". Die entsprechenden Vorschriften sind ursprünglich nicht auf Militäraktionen gemünzt, sondern ganz allgemein auf die Verletzung von "Amtspflichten" - von der fehlerhaften Baugenehmigung bis zur Sicherheit auf dem Schulgelände. 2006 hatte der BGH es offengelassen, ob es auch eine "Amtshaftung" deutscher Soldaten geben kann; damals ging es um einen Nato-Angriff auf die Brücke bei Varvarin im damaligen Jugoslawien.

Dieses Mal befand der BGH, die Vorschrift sei nur auf den normalen Amtsbetrieb zugeschnitten, der nicht mit einer Gefechtssituation vergleichbar sei. "Es wäre eine weltweit einmalige Situation, dass ein Amtshaftungsanspruch für Soldateneinsätze besteht", sagte der Senatsvorsitzende Ulrich Herrmann. Dadurch könnte die Bündnisfähigkeit Deutschlands beeinträchtigt werden. Allein der Gesetzgeber, nicht aber ein Gericht könne über die Einführung solcher Ansprüche entscheiden. Die Causa Kundus ist noch nicht zu Ende. Karim Popal, der Anwalt der Kläger, kündigte eine Verfassungsbeschwerde an. Zudem prüft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen Klein.

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