Untersuchungsbericht zum Fall al-Bakr:Fall al-Bakr: "In ganz erheblichem Umfang Fehler gemacht"

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Am 12. Oktober erhängte sich Dschaber al-Bakr, der mit der Dschihadistenmiliz IS in Verbindung gestanden haben soll, in der JVA Leipzig. (Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Warum konnte der Terrorverdächtige al-Bakr zunächst entkommen? Wie kam es zu seinem Selbstmord in der JVA Leipzig? Eine Kommission listet die Mängel und Irrtümer der Behörden auf.

Von Bernd Kastner, München

Zunächst haben die Behörden gut gearbeitet, später aber gravierende Fehler gemacht: So lässt sich der Bericht der unabhängigen Expertenkommission zusammenfassen, die den Fall Dschaber al-Bakr untersucht hat. Folge der Fehler war, dass der terrorverdächtige Islamist, der einen Anschlag geplant haben soll, im Oktober in Chemnitz zunächst der Polizei entwischte und sich später in der Untersuchungshaft in Leipzig erhängte.

In ihrem 184-seitigen Bericht an die sächsische Staatsregierung mahnt die Kommission unter Leitung des früheren Bundesverfassungsrichters Herbert Landau eine bessere Kooperation der verschiedenen Sicherheitsbehörden und eine "Kultur der Verantwortlichkeit" an: Jedes Amt müsse über seine eigene Zuständigkeit hinausdenken.

Lobend erwähnen die renommierten Fachleute, dass sich das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in diesem Fall bewährt habe: Die Informationen seien "effektiv ausgetauscht" worden, was zur Identifizierung des 22-jährigen Syrers geführt habe. Die Verfassungsschützer von Bund und Sachsen hätten "gute Arbeit geleistet".

Dann aber seien eine Reihe von Fehlern gemacht worden, beginnend damit, dass Bundeskriminalamt (BKA) und Generalbundesanwalt (GBA) den Fall nicht übernommen haben. Das BKA hätte die sächsische Polizei unterstützen müssen. Ein Hinweis aus Sachsen, dass man personelle Probleme habe, "wurde bedauerlicherweise nicht berücksichtigt", schreibt die Kommission über das Agieren des BKA.

Der GBA wiederum hätte den Fall an sich ziehen müssen, was bei Sitzungen im GTAZ auch zweimal angeregt worden sei. Eine "offensivere, beherztere Unterstützung" durch die Bundesbehörden wäre nötig gewesen, resümiert die Kommission.

Einsatz nicht gut strukturiert

Dass al-Bakr beim ersten Zugriffsversuch entwischte, führen die Experten auf "zwei grundlegende Fehlentscheidungen" zurück. Das sächsische Landeskriminalamt (LKA) habe den Einsatz geleitet anstatt der personell besser ausgestatteten Polizeidirektion Chemnitz. Zudem sei der Polizeiführer im LKA "fälschlicherweise" davon ausgegangen, dass es sich nur um eine Festnahme handle. Tatsächlich aber habe ein Terroranschlag konkret gedroht. Aufgrund dieser Fehler habe es während des Einsatzes in Chemnitz "durchgängig keinen funktionsfähigen Führungsstab" gegeben.

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Dazu kam, dass der Austausch zwischen Bundesverfassungsschutz, Mobilem Einsatzkommando und Spezialeinsatzkommando "nicht gut strukturiert" gewesen sei. Wegen "erheblicher Kommunikationsdefizite" sei man vom verabredeten Vorgehen abgewichen, deshalb sei der Zugriff in Chemnitz missglückt. "Die sächsische Polizei hat in ganz erheblichem Umfang Fehler gemacht", fasste Landau bei einer Pressekonferenz in Dresden zusammen.

Zu lange habe es auch gedauert, bis der Fahndungsaufruf ins Arabische übersetzt wurde: 28 Stunden. Als dies geschehen war, erfuhren die drei Syrer, bei denen al-Bakr Unterschlupf gefunden hatte, von der Fahndung - und setzten ihn fest.

Als der Syrer ins Gefängnis gebracht wurde, hätten Gerichte und Staatsanwaltschaften die Vollzugsmitarbeiter nicht ausreichend über ihn informiert. Ihre Verunsicherung sei groß gewesen, sie hätten mehr auf die vom Gefangenen womöglich ausgehende Gefahr geachtet als auf seine Suizidalität.

Lehren aus dem Fall al-Bakr

Ausdrücklich in Schutz nimmt die Kommission die Gefängnispsychologin. Dass sie al-Bakr nur als "mäßig" suizidgefährdet eingeschätzt habe, sei "sehr nachvollziehbar". Die Experten widersprechen der weit verbreiteten Annahme, dass Selbstmordattentäter per se suizidgefährdet seien. Fehlerhaft sei dann der weitere Umgang mit dem Syrer gewesen: Die Kontrolle sei in Ordnung gewesen, man hätte ihn aber besser betreuen müssen.

Die Kommission empfiehlt dringend, Lehren aus den Fehlern in Sachsen zu ziehen. Der Informationsaustausch zwischen den Behörden sei zu verbessern, bei den Polizeibehörden sollten "Ständige Stäbe" eingerichtet werden. Die sozialen Medien müsse man bei der Fahndung konsequenter einbeziehen.

Außerdem sollten länderübergreifend Experten-Pools eingerichtet werden: zum einen, um Suizidalität von mutmaßlichen Terroristen besser einzuschätzen, aber auch, um mit fremdsprachigen Gefangenen besser zu kommunizieren. Dolmetscher könnten, sofern nicht vor Ort, per Skype zugeschaltet werden.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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