Untersuchungsausschuss zu Neonazi-Morden:Angeklagter NSU-Helfer soll V-Mann gewesen sein

Neuer Verdacht gegen einen der wichtigsten Helfer des Zwickauer Terrortrios: Ralf Wohlleben könnte V-Mann beim Verfassungsschutz gewesen sein. Doch es gibt Zweifel, ob sich ein ehemaliger Beamter des Innenministeriums richtig erinnert.

Susanne Höll und Tanjev Schultz, Berlin

Neue V-Mann-Vorwürfe haben am Mittwoch die Sicherheitsbehörden und den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags in Atem gehalten. Das Innenministerium geht dem bisher vagen Verdacht nach, dass ein mutmaßlicher Helfer der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet haben könnte. Dieser beruht auf dem Hinweis eines Bundesanwalts, der früher Beamter im Innenministerium war und dort mit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren im Jahr 2003 zu tun hatte.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), sprach am Abend von einem "gravierenden Hinweis". "Wir erwarten zügige Aufklärung", sagte Edathy. Es sei zu erwarten, dass sich die Untersuchungen des Ministeriums bis Anfang kommender Woche hinzögen. Der Ausschuss behalte sich eigene Nachforschungen vor.

Der Beamte, so hieß es in Sicherheitskreisen, will zu Zeiten des NPD-Verbotsverfahrens den Namen "Wohlleben" auf einer Liste mit V-Leuten gesehen haben. Ralf Wohlleben sitzt seit November 2011 in Untersuchungshaft. Er ist einer der wichtigsten Beschuldigten im NSU-Verfahren. Früher war er ein führender NPD-Politiker in Thüringen. Nachdem Online-Medien den Namen im Zusammenhang mit dem neuen Verdacht publik gemacht hatten, dementierte Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders eine V-Mann-Tätigkeit ihres Mandanten. Es überrasche sie auch, dass man sich bei der Bundesanwaltschaft erst jetzt an den vermeintlichen Sachverhalt erinnere, sagte sie der Süddeutschen Zeitung.

Der Hinweisgeber sollte nach Angaben aus dem Ausschuss noch am Mittwochabend im Ministerium seine Version erläutern. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach von einem "wichtigen Hinweis". In Sicherheitskreisen zeigte man sich aber überzeugt, dass Wohlleben weder beim Bundesamt für Verfassungsschutz noch beim BKA als V-Mann geführt worden sei. Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass die Berliner Polizei einen anderen Beschuldigten - Thomas S. - jahrelang als Informanten geführt hatte.

Zuvor hatten die Behörden stets versichert, niemand vom NSU oder dessen Helfern sei ein V-Mann gewesen. Die Affäre bei der Polizei soll nun den Bundesanwalt dazu bewogen haben, seine angeblichen Kenntnisse über Wohlleben weiterzugeben. Nach Informationen der SZ soll der Beamte den Namen Wohllebens aber bereits vor einigen Monaten intern geäußert haben. In Sicherheitskreisen wurden Zweifel laut, ob der Beamte sich korrekt erinnert; immerhin gehe es um eine Liste, die er vor fast zehn Jahren gesehen haben will.

Sollte sich indes der Verdacht erhärten, dass Wohlleben als Spitzel über die NPD berichtet hat, würde der Verfassungsschutz immer tiefer in die Krise rutschen. Das Bundesinnenministerium hat nach eigenen Angaben schon vor Wochen alle Beschuldigten aus dem Umfeld des NSU auf eine mögliche V-Mann-Tätigkeit überprüft - und nichts gefunden. In Sicherheitskreisen wurde vermutet, dass allenfalls ein Landesamt - im Falle Wohllebens am ehesten der Dienst in Thüringen - betroffen sein könnte. Doch die Behörde in Erfurt dementierte dies am Mittwoch.

Erst am vergangenen Freitag hatte ein Vertreter des Untersuchungsausschusses von der Bundesanwaltschaft ein als geheim eingestuftes Dokument erhalten, in dem der Verdacht gestanden hatte. Am Dienstagabend gab dann das Ministerium eine öffentliche Erklärung heraus, dass der Hinweis geprüft werde und alle Sicherheitsbehörden um eine schriftliche Stellungnahme gebeten worden seien.

Es kursiert nun auch die Vermutung, es könnte bei einer angeblichen Spitzeltätigkeit gar nicht um Ralf Wohlleben selbst gehen, sondern um eine andere Person mit dem selben Nachnamen. Bei der Aufklärung der Neonazi-Umtriebe halten viele mittlerweile fast alles für möglich. "Mich überrascht nichts mehr", sagte die Linken-Politikerin Petra Pau in leicht resignativem Ton. Es sprießen viele Theorien über das Behördenversagen. Ein Beleg dafür, dass Polizei oder Verfassungsschutz in die Morde des NSU selbst verstrickt waren oder sie von den Verbrechen wussten, ohne einzuschreiten, gibt es zwar nicht. Aber die kritischen Fragen werden immer lauter, und das V-Leute-Wesen erscheint durch die jüngsten Enthüllungen und Verdächtigungen in immer trüberem Licht.

Eine V-Mann-Tätigkeit Wohllebens wäre auch deshalb anrüchig, weil er dem Verfassungsschutz durch andere Quellen bereits Ende der Neunzigerjahre als mutmaßliche Kontaktperson des flüchtigen Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bekannt war. Wohlleben soll das Trio als Fluchthelfer und bei der Beschaffung einer Pistole unterstützt haben. Nach Ansicht der Ermittler könnte Wohlleben zum engsten Kreis der NSU-Mitwisser gehört haben. Ob sich das belegen lässt, wird das Gerichtsverfahren zeigen.

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