Untersuchungsausschuss im Fall Amri:Viele Fragen, viel zu früh

Amri-Untersuchungsausschuss

Sie begreife Politik "als lernendes System", sagt Hannelore Kraft im Untersuchungsausschuss.

(Foto: dpa)

Hannelore Kraft soll im Untersuchungsausschuss über mögliche Verfehlungen im Fall des Berlin-Attentäters Amri aufklären. Aber die Opposition verfolgt eine andere Strategie.

Kommentar von Jan Bielicki

Vor der Vernehmung steht eine Minute des Schweigens. Als Hannelore Kraft am Freitagabend vor den Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags tritt, ist es gerade vier Stunden her, dass sich die Geschichte wiederholt. In Stockholm hat ein Täter einen Lastwagen in eine Menschenmenge gesteuert - dringlicher und schrecklicher hätten die Abgeordneten kaum daran erinnert werden können, was ihre Aufgabe ist: Sie haben den Fall des Lkw-Attentäters Anis Amri zu untersuchen, der in Berlin zwölf Menschen totgefahren hat. Das müssen sie tun, weil die Politik den Opfern und deren Angehörigen Aufklärung schuldet. Und damit sie aus erkannten Fehlern lernen kann.

Sie begreife Politik "als lernendes System", sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin im Ausschuss. Viel zum Lernprozess beitragen kann sie an diesem Abend nicht. Doch das liegt weniger an ihr, sondern daran, dass die Opposition offenbar einer anderen Logik folgt. Keine sechs Wochen vor der Wahl ist die Versuchung allzu groß, schnell Schuld zuzuweisen. Vor allem der CDU-Obmann Daniel Sieveke macht den fast schon hilflosen Eindruck, er klammere sich an die bloße Semantik interner E-Mails, um der Ministerpräsidentin vorwerfen zu können, sie verschleiere Fehler der Behörden. Kraft in Erklärungsnot zu bringen, gelingt ihm freilich in der fast vierstündigen Befragung nicht ein einziges Mal.

War der Rechtsrahmen zu eng?

Ja, natürlich sei die "Einschätzung der Gefährlichkeit des Täters falsch" gewesen, räumt sie ein. Doch bei solchen äußerst schwierigen Prognosen könne es "keine hundertprozentige Sicherheit" geben, verteidigt sie die Terrorexperten, die das zukünftige Verhalten vieler Gefährder - allein in NRW sind es 224 - einschätzen müssen. Dabei kann sie auch darauf verweisen, dass Nordrhein-Westfalens Landeskriminalamt nach bisherigen Erkenntnissen die Gefahr, die von Amri ausging, immer deutlich ernster nahm als etwa Behörden anderswo.

Noch gibt es offene Fragen. Doch ist es der falsche, allein dem Wahltermin geschuldete Zeitpunkt, sie jetzt einer Regierungschefin zu stellen, die ja nicht selbst mit den Ermittlungen gegen Gefährder befasst ist. Noch hat der Ausschuss gar nicht alle Zeugen gehört, die in den Polizeibehörden und Ausländerämtern Umgang mit Amri hatten. Nur sie können im Detail beantworten, was warum im Detail geschah. Wie sahen etwa die Entscheidungsprozesse aus, die dazu führten, dass der ausreisepflichtige Tunesier nicht Abschiebehaft kam? War der Rechtsrahmen wirklich zu eng? Warum wurden von Tunis verlangte Handflächenabdrücke erst Ende Juli genommen?

Erst dann lässt sich seriös beurteilen, ob in den Ämtern wirklich Fehler gemacht wurden. Oder ob es beim bloßen, womöglich sogar korrekten Abarbeiten des Falls blieb oder ob darüber hinaus wirklich alles getan wurde, Amri aus dem Verkehr zu ziehen. Dann, aber wirklich erst dann, stellt sich die Frage, ob jemand die politische Verantwortung tragen muss. Und wer das sein könnte.

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