Untersuchung zur ägyptischen Revolution:Mubarak überwachte Proteste per Video-Stream

Untersuchung zur ägyptischen Revolution: Vor Gericht: Ägyptens ehemaliger Präsident Hosni Mubarak wusste offenbar über die Details der ihm vorgeworfenen Gewalttaten gegen Demonstranten Bescheid

Vor Gericht: Ägyptens ehemaliger Präsident Hosni Mubarak wusste offenbar über die Details der ihm vorgeworfenen Gewalttaten gegen Demonstranten Bescheid

(Foto: AP)

"Er wusste alles - kleine Dinge und große": Ein Untersuchungsbericht zeigt, dass Ägyptens gestürzter Machthaber Hosni Mubarak über die Tötung von Demonstranten während der Revolution bestens im Bilde war. Was der Bericht zeigt, könnte Stoff für eine neue Anklage gegen Mubarak sein.

Im Sommer 2012 ließ sich Hosni Mubarak im Krankenbett in den Gerichtssaal rollen, seine Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen, seinen Körper in einem Schlafanzug. Das Bild eines geschwächten alten Mannes wollte der gestürzte ägyptische Machthaber auf diese Weise vermitteln.

Noch während des Prozesses bastelte er gemeinsam mit seinen Anwälten an der Geschichte eines überforderten Herrschers, der während des 18-tägigen Volksaufstands im Februar 2011 keinerlei Anordnung gegeben haben soll, und keinesfalls den Befehl, Demonstranten zu töten. "Ich bestreite alle Anklagepunkte", erklärte Mubarak im Gericht. Mehr als 800 Menschen hatten während der Proteste ihr Leben verloren.

Ein 700-Seiten starker Untersuchungsbericht zeichnet nun offenbar ein anderes Bild des gestürzten Diktators: Demnach verfolgte Mubarak die Vorgänge auf dem Tahrir-Platz live per Videoverbindung und ließ sich durch Geheimdienstberichte über jedes blutige Detail des Aufstands informieren. Dem Bericht zufolge, so schreibt die New York Times, habe Mubarak seinen damaligen Innenminister Habib al-Adly angewiesen, jedes Mittel zum Einsatz zu bringen, um die Demonstrationen zu stoppen. Dem Blatt zufolge sagte al-Adly einem Kommissionsmitglied: "Mubarak wusste alles - kleine Dinge und große."

Den Untersuchungsbericht hatte der derzeitige Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, im vergangenen Sommer von einer Kommission erarbeiten lassen. Offiziell veröffentlicht hat ihn die Regierung noch nicht, doch Kommissionsmitglieder haben sich bereits zu Details geäußert.

Mubarak erneut vor Gericht?

Das Gericht hatte Mubarak 2011 zwar zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Eine direkte Verantwortung für die Todesfälle während der Demonstrationen gaben ihm die Richter aber nicht. Zehntausende Ägypter hatten sich daraufhin wieder zu Protesten versammelt, manche forderten für den ehemaligen Machthaber die Todesstrafe.

Der Untersuchungsbericht könnte nun der New York Times zufolge dazu führen, dass der Fall Mubarak erneut vor Gericht kommt. Dem Blatt zufolge hat Mursi bereits gefordert, dass die Richter die Verantwortung Mursis und al-Adlys für den Tod der Demonstranten erneut richterlich prüfen. Der Staatsanwaltschaft liege der Bericht bereits vor.

Die Ergebnisse der Untersuchung könnten für die Ägypter eine noch weitergehende Bedeutung haben. Denn die Kommission hat einem Mitglied zufolge auch die Todesfälle der Demonstranten ausgewertet, die nach der Mubarak-Ära und während der Übergangsherrschaft des Militärs protestiert hatten. Demnach haben damals Soldaten - entgegen den Aussagen des Militärs - offen auf Ägypter geschossen.

Menschenrechtler hoffen nun, dass der Bericht einen Kulturwandel in Ägypten anstößt. Nur wenige derjenigen, die sich während der Demonstrationen unter Mubarak und der Militärherrschaft an Gewalttaten beteiligt hatten, wurden bislang zur Verantwortung gezogen.

Auch unter Präsident Mursi kommt es allerdings immer wieder zu Übergriffen von Polizisten, Menschenrechtsorganisationen berichten auch von Folter. Erst im Oktober 2012 veröffentlicht Amnesty International dazu einen Bericht. Das Fazit: Die Polizei prügelt noch genauso wie unter Mubarak.

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