Unterhaus-Sitzung zu Brexit:Cameron zu Corbyn: "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!"

Unterhaus-Sitzung zu Brexit: Der britische Premier David Cameron spricht vor dem Unterhaus: Er greift Corbyn an.

Der britische Premier David Cameron spricht vor dem Unterhaus: Er greift Corbyn an.

(Foto: AFP)
  • Der britische Premier David Cameron tritt zur Fragestunde vors Unterhaus.
  • Auf die Fragen antwortet er wortreich, aber inhaltsarm.
  • Dann holt er aus zum Angriff gegen Labour-Chef Corbyn - und greift zu einem historischen Trick.

Von Oliver Das Gupta

David Cameron hat sich auf die Fragestunde des britischen Unterhauses in London gut vorbereitet. Einen verbalen Knaller, den überlegte er sich wohl schon vorher. Er wird ihn dann zur rechten Zeit anbringen. Doch zunächst sind da erstmal allerlei Fragen, die der konservative Premier wortreich und neuigkeitsarm beantwortet.

Die Sorge um einen historischen Wochenmarkt? Wir werden uns kümmern. Glückwunsche an sportliche Schüler? Wird erledigt. Und ein Witzchen streut er auch noch ein, in dem es darum geht, dass man nicht auf Party-Einladungen von Silvio Berlusconi eingehen sollte.

Souverän und routiniert wirkt Cameron, dabei ist er nun ja eigentlich nur noch eine "lame duck": Der Premier hatte nach dem Brexit-Votum am Freitag seinen Rücktritt für Oktober erklärt.

Und so sind in Westminster an diesem Dienstagnachmittag auch vor allem die Fragen an den konservativen Regierungschef relevant, in denen es um den kommenden EU-Austritt und seine Folgen geht. Cameron antwortet gewohnt geschmeidig und erwartbar. Er bedauert die Entscheidung, verkündet die Einsetzung von Arbeitsgruppen, verweist auf seinen Nachfolger, und ja, die EU solle Partnerin und Verbündete bleiben.

Der schon Zurückgetretene fordert den Rücktritt

Aber Floskelflausch-Sprech reicht der Opposition natürlich nicht. Allen voran der Labour-Chef Jeremy Corbyn bohrt herum. Die Abwanderung von Großunternehmen, die fremdenfeindlichen Übergriffe - was Cameron dagegen tun wollte? Und dann die Furcht davor, dass es Menschen in prekären Situationen ohne die EU-Mitgliedschaft noch schlechter gehen könnte. Der Labour-Chef wähnt sich auf traditionellem Labour-Terrain. "13,5 Millionen Briten leben in Armut leben", hält Corbyn dem Premier vor.

Nun schaltet Cameron auf Attacke. Die Labour-Fraktion revoltiert seit Tagen gegen den Parteilinken Corbyn, am Vortag hatte sie ihm mit großer Mehrheit das Misstrauen ausgesprochen. Cameron, der eigentlich schon Zurückgetretene, will seinen sozialdemokratischen Rivalen bloßstellen, er will ihn mit nach unten reißen.

Unterhaus-Sitzung zu Brexit: Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht im Unterhaus. Auf dem Pult vor ihm liegt unter anderem das Szepter des Speakers.

Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht im Unterhaus. Auf dem Pult vor ihm liegt unter anderem das Szepter des Speakers.

(Foto: AFP)

Und so macht er es: Zuerst hält er ihm seinerseits Zahlen entgegen und behauptet, es sei eigentlich nun alles besser geworden. Die sozialen "Ungleichheiten" im Land seien so weit reduziert worden wie nie zuvor, ruft Cameron. Dann setzt der Premier zum finalen Stoß an. Es sei zwar für die Konservativen nützlich, wenn Corbyn weiter die Opposition führe, aber nicht im nationalen Interesse. "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!", herrscht er Corbyn an.

Rufe, Aufregung, Abgeordnete erheben sich von den Bankreihen.

Für Corbyn ist es eine Demütigung und nicht einmal seine Fraktion steht an diesem Tag geschlossen hinter ihm. Die Mehrheit seiner Parteifreunde wirft ihm vor, er habe im Wahlkampf gegen den Brexit eine schwache Figur gemacht. Sie fürchten, Corbyn werde der Partei im Fall einer Neuwahl eine verheerende Niederlage einbrocken.

Ein sehr britischer Clou

Camerons letzte Worte "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!" hat er der Geschichte entlehnt. Denn mit fast derselben Formulierung hat Oliver Cromwell 1653 die Abgeordneten aus dem Rumpfparlament verscheucht. Camerons Entlehnung ist also ein historischer Kniff, ein sehr britischer Clou an der Grenze zu schwarzem Humor.

Oliver Cromwell löst das Parlament auf, 1653

Oliver Cromwell 1653 während der Auflösung des Rumpfparlamentes. Er schmäht die Abgeordneten, nennt das Szepter des Speakers sinngemäß eine Idiotenspielerei und lässt den Zeremonienstab von Soldaten wegtragen.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Cromwell zu zitieren ist einerseits sicherlich nicht so clever für einen konservativen Politiker wie Cameron, schließlich ließ Cromwell damals den König köpfen und herrschte diktatorisch als Lordprotektor.

Auf der anderen Seite wird David Cameron nur noch drei Monate in Downing Street 10 amtieren. Politisch ist er schmerzfrei. Oppositionschef Jeremy Corbyn stehen die größten Schmerzen wohl noch bevor.

Link zur BBC: Hier der Videoausschnitt zu Camerons Attacke.

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