Unterhaltsrecht:Was Männer hoffen und Frauen fürchten

Das neue Unterhaltsrecht irritiert nicht nur frühere Ehepartner, sondern auch Richter und Anwälte - klare Regeln fehlen.

Felix Berth

Beim Münchner Anwalt Ludwig Bergschneider rufen derzeit ständig Klienten von früher an. Meist sind es Männer, die den Familienrechtler sprechen wollen, und fast immer möchten sie erfahren, wann sie die Zahlungen an ihre ehemaligen Ehefrauen reduzieren oder gleich einstellen können. Denn die Männer hoffen auf das neue Unterhaltsrecht, das seit dem 1. Januar 2008 gilt.

Muttermit Kind, Unterhaltsrecht, ddp
(Foto: Foto: ddp)

"Die haben oft völlig irreale Vorstellungen", sagt Bergschneider. Er rät den Männern häufig von neuen Prozessen ab, ähnlich wie seine Berliner Kollegin Jutta Wagner: "Die Änderungen werden längst nicht so dramatisch ausfallen, wie manche Männer hoffen und manche Frauen fürchten", sagt Wagner, die schon die letzte Reform des Scheidungsrechts 1977 als Anwältin miterlebt hat.

Das erneuerte Unterhaltsrecht verteilt die Lasten nach einer Scheidung anders. Es sorgt für Aufregung bei längst getrennten Paaren, weil die neuen Regeln auch rückwirkend gelten. Es irritiert Richter und Rechtsanwälte, weil sie sich nicht länger an den klaren Regeln von früher orientieren können. Und es leitet eine Phase der juristischen Unsicherheit ein, weil sich in den nächsten Jahren erst allmählich herausstellen wird, wie die Richter die neuen Paragraphen anwenden.

Einer der ersten Fälle, die schon im Januar vor dem Oberlandesgericht München landeten und nach dem neuen Recht zu beurteilen sind, ist der von Heike und Thomas Müller. Die beiden, deren wirkliche Namen anders lauten, sind seit dem Jahr 2003 geschieden. Sie haben einen sechsjährigen Sohn, der bei der Mutter lebt und seit ein paar Monaten zur Schule geht. Und nun streiten sie, wie viel Unterhalt der Frau zusteht.

Was ist eigentlich angemessen?

Nach der alten Rechtslage wäre der Fall eindeutig gewesen: Die "Null-acht-fünfzehn"-Regel, die jeder Familienrichter anwandte, gab dem betreuenden Elternteil nach einer Scheidung das Recht, bis zum achten Geburtstag des jüngsten Kindes zu Hause zu bleiben. Danach hätte - bis zum 15. Geburtstag des Kindes - eine Teilzeit-Arbeit als angemessen gegolten; danach hielten die Richter Vollzeit-Jobs für zumutbar, weshalb der Unterhalt erst dann entsprechend niedriger ausfiel.

Im Fall Heike Müller wäre das Urteil also klar gewesen: Bis zum achten Geburtstag, noch zwei Jahre, hätte sie auf einen Job verzichten dürfen. Doch diese für Juristen komfortable Formel ist nun mit der Reform auf dem Müllhaufen der Rechtsgeschichte gelandet. Ab sofort kann ein geschiedener Ehegatte, der ein Kind erzieht, "für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen", sagt das Gesetz. Dabei seien "die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen."

Doch was bedeutet das für Heike Müller? Müsste sie jetzt schon Vollzeit arbeiten? Wenn nicht, ab wann müsste sie das tun? Könnten die Richter diesen Zeitpunkt schon heute festlegen - oder müsste Thomas Müller jedes Jahr erneut klagen? Und wie lange dürfte Heike Müller noch davon profitieren, dass ihr Ex-Mann als Manager ein hohes Einkommen hat?

Was Männer hoffen und Frauen fürchten

Das Gesetz liefert auf diese Fragen nicht viele klare Antworten, sondern nur ein Dutzend Hinweise, die die Juristen "Billigkeitsregeln" nennen. Jede dieser Regeln zwingt die Richter zu prüfen, ob etwas "billig", also zumutbar, ist: Kann man Heike Müller eine Vollzeit-Arbeit zumuten oder muss sie jeden Tag um 11.30 Uhr zu Hause sein, weil ihr Sohn dann aus der Grundschule kommt? Ist vielleicht ein 30-Stunden-Job zumutbar, weil es für den Sohn eine Hausaufgabenbetreuung gibt? Und wenn der Cellounterricht oder das therapeutische Reiten nur nachmittags stattfindet - was ist dann zumutbar?

Mit solchen Detailfragen werden sich die Richter nun herumplagen müssen, anfangs auf unsicherem Terrain. Denn noch fehlen die Urteile der Kollegen, die Orientierung geben: "Wir fangen bei vielen Problemen von vorne an; im Moment kann keiner vom anderen abschreiben", sagt die Richterin Isabell Götz und lacht dabei: "Es sind auch spannende Zeiten für uns."

Völlig offener Ausgang

Heike und Thomas Müller, die sich am 15. Januar 2008 wieder einmal zur Verhandlung trafen, waren deshalb vorsichtig. "Vielen Parteien ist im Moment klar, dass der Ausgang eines Prozesses wegen der neuen Rechtslage sehr unsicher ist", sagt Richterin Götz, die für den Fall zuständig war.

Hätten die beiden sich nicht geeinigt, wäre ihr Fall wohl beim Bundesgerichtshof gelandet - das hätte viel Geld gekostet, wahrscheinlich ein paar Jahre gedauert, und der Ausgang wäre völlig offen gewesen.

"Im Moment ist bei vielen Detailfragen noch ungeklärt, wie die Gerichte sie handhaben werden", sagt Götz. "Derzeit kann niemand sicher sein, dass er mit seiner Interpretation der neuen Vorschriften richtig liegt." Also fanden Heike und Thomas Müller einen finanziellen Kompromiss; ihr Konflikt ist endgültig beigelegt. Die Hoffnungen des Mannes haben sich in diesem Fall nicht erfüllt.

Gleichwohl, die neue Unsicherheit in den Gerichtssälen ist nicht zu verwechseln mit Beliebigkeit. Denn die Eckpunkte, die der Gesetzgeber - unter dem Beifall der meisten Familienrechtler - markiert hat, sind deutlich:

Den Ehepartnern, die Kinder betreuen, kann der Unterhalt früher als bisher gekürzt werden - außer sie belegen präzise, dass sie nicht arbeiten können, obwohl sie ihre Kinder betreuen lassen können.

Sind die Einkommen der Ehegatten sehr unterschiedlich, wird der finanzielle Ausgleich früher gekürzt als noch vor einigen Jahren. Das Prinzip "lebenslang" ist aus dem deutschen Unterhaltsrecht verschwunden.

Wenn ein Elternteil nicht genug verdient, um alle Unterhaltspflichten zu erfüllen, werden Kinder vorrangig behandelt - bisher standen sie auf einer Stufe mit der früheren Ehefrau.

Dass derzeit eine riesige Klagewelle auf die Familiengerichte zurollt, halten viele Juristen für unwahrscheinlich. Denn die Männer würden erkennen, dass ihre Chancen häufig geringer seien als erhofft, sagt der Duisburger Anwalt Jörn Hauß: "Die Rechtsprechung wird in den allermeisten Fällen mit Augenmaß darauf achten, was zumutbar ist und was nicht."

Die vielen "Billigkeitsregeln", die die Gerichtsverfahren so unsicher machen, wirken nach seiner Ansicht zugunsten der Frauen: "Eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern im Alter von vier, sieben und neun Jahren hat damit einen äußerst fordernden Job. Einer solchen Frau wird kein Richter eine Vollzeit-Erwerbstätigkeit zumuten."

Den Männern rät Hauß deshalb selten zum Prozess - stattdessen empfiehlt er ihnen gern, sich stärker an der Betreuung der Kinder zu beteiligen. Nach altem Recht führte das nur selten dazu, dass die Männer weniger zahlen mussten.

Nach neuem Recht dürfte das anders werden, sagt Hauß: "Wenn der Mann mehr für die Kinder da ist, kann die Frau mehr arbeiten - an diesem Betreuungsangebot kommt die Frau schwer vorbei. Und den Kindern nutzt das sicher auch."

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