Angriffe auf die Pressefreiheit:In deutschen Abgründen

Otto von Bismarck hatte es vorgemacht, Strauß und Adenauer machten es nach: Immer wieder sollten Journalisten als Verräter gebrandmarkt werden.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Früher hatte es in Deutschland eine gewisse Tradition, Bürgern Verrat vorzuwerfen, wenn die erstens ungebührlich und zweitens unerwünscht einen Sachverhalt in die Welt gesetzt hatten.

Einer der berühmtesten Fälle der Kaiserzeit drehte sich um den Geheimen Justizrat Friedrich Heinrich Geffcken. Der veröffentlichte 1888 in der Deutschen Rundschau Auszüge aus dem "Kriegstagebuch 1870/71" von Kronprinz Friedrich Wilhelm, und er bevorzugte Stellen, die Reichskanzler Otto von Bismarck schlecht aussehen ließen. Der tobte. Zunächst behauptete Bismarck, es müsse sich um eine Fälschung handeln, obwohl er es besser wusste. Dann kam er auf die Idee mit dem Landesverrat.

Der Tatbestand des Landesverrats breitete sich ölfleckartig aus

Bismarck beantragte ein Strafverfahren gegen Geffcken. Je nachdem, ob die Auszüge echt oder falsch waren, handelte es sich entweder um Verrat von Staatsgeheimnissen oder um die Beschimpfung des Ansehens eines Verstorbenen. Geffcken kam zunächst in Haft; das Verfahren aber wurde später vom Reichsgericht eingestellt.

Ölfleckartig breitete sich dann der Tatbestand des angeblichen Landesverrats in der Weimarer Republik aus. Vor allem Journalisten und Publizisten, die den Nationalisten in die Quere kamen, waren betroffen, und die meist rechtsgewirkte Justiz haute kräftig drauf. Für die Veröffentlichung eines Telegramms des bayerischen Gesandten beim Vatikan gab es elf Jahre Zuchthaus. Das Reichsgericht in Leipzig erklärte 1923 die Gemütsverfassung der Kumpel im Revier und die Stimmung bei den Polizisten dort zum Staatsgeheimnis. Die Begründung war ebenso schlicht: Die verhasste französische Regierung, deren Soldaten das Ruhrgebiet besetzt hielten, könnte aus den Stimmungsberichten Rückschlüsse auf die Lage ziehen. Ein einfacher Gummistempel genügte, um einen Sachverhalt zum Staatsgeheimnis zu erklären.

Die Wucherung der Verratsdelikte ärgerte den liberalen Juristen Gustav Radbruch derart, dass er vor "diesem Unfug" warnte. Ohne großen Erfolg: 1931 wurde der Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil er über die illegale Aufrüstung der Reichswehr geschrieben hatte. Fünf Jahre später, da war er KZ-Häftling, erhielt er den Friedensnobelpreis. Ossietzky starb 1938.

Franz Josef Strauß tobte. Doch am Ende musste er zurücktreten

Eingebrannt ins Bewusstsein der Republik hat sich die Spiegel-Affäre, die eigentlich eine Affäre der deutschen Demokratie war. Im Oktober 1962 besetzten Polizisten die Spiegel-Zentrale in Hamburg. Auslöser war die Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit" über das Nato-Herbstmanöver "Fallex 62" und den Zustand der Bundeswehr. Der war schlecht. Beschrieben wurde, dass der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) einer atomaren Aufrüstung anhing, während Nato-Obere eine konventionelle Vorwärtsverteidigung bevorzugten, für die indes die Bundeswehr nicht ausreichend ausgestattet war. Strauß tobte wie einst Bismarck.

Die Bundesanwaltschaft forderte im Verteidigungsministerium eine Expertise an, die wunschgemäß ausfiel. Angeblich waren 41 Staatsgeheimnisse verraten worden. Das stellte ein Oberregierungsrat namens Heinrich Wunder in einem Gutachten fest, das erbärmlich schlecht war. Fast alle inkriminierten Passagen waren schon einmal veröffentlicht worden. Das Gutachten führte jedoch zum Verfahren wegen angeblichen Landesverrats. Sieben μMitarbeiter des Spiegel, unter ihnen auch Herausgeber Rudolf Augstein, kamen in Haft. Gegen den späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde wegen "Beihilfe zum Landesverrat" ermittelt.

Das Ende ist bekannt. Strauß trat zurück, die Regierung wurde umgebildet. Die Spiegel-Leute kamen frei, auch gegen Schmidt wurde das Verfahren eingestellt. An den Vorwürfen war nichts dran. Es war das Ende des Obrigkeitsstaates. Ein neues Bürgerbewusstsein war entstanden.

Schwarz-brauner Amigo-Sumpf in Bayern

Zwanzig Jahre später wurde wieder ein Verfahren wegen Landesverrats eingeleitet. Im Mittelpunkt standen der damalige oberste bayerische Staatsschützer Hans Langemann und die Redaktion der linken Monatszeitschrift Konkret. Das Blatt hatte Erzählungen des geltungssüchtigen Langemann über historische Geheimdienst-Machenschaften veröffentlicht, sichtbar wurde dabei vor allem ein schwarz-brauner Amigo-Sumpf in Bayern. Gegen zwei damalige Konkret-Mitarbeiter, gegen einen Nachrichtenhändler sowie gegen Langemann liefen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landesverrat. Im Kalten Krieg hatten Geheimnisse von Nachrichtendiensten noch einen hohen Wert.

Die Verfahren gegen die Journalisten und den Nachrichtenhändler wurden eingestellt. Im Prozess gegen Langemann beantragte die Bundesanwaltschaft drei Jahre und acht Monate Haft. Auf acht Monate mit Bewährung erkannte das Gericht. Aus dem angeblichen Landesverrat war die fahrlässige Verletzung eines Dienstgeheimnisses geworden.

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