Unruhen wegen Anti-Islam-Film:Wenn die amerikanische Flagge brennt

Ein simpler Film offenbart, wie angreifbar Präsident Obama ist: Die Wucht der Ereignisse im neuen Nahen Osten überrascht die US-Regierung und offenbart das amerikanische Dilemma in der Region. Die Ausschreitungen könnten Obama im Wahlkampf noch massiv schaden.

Nicolas Richter, Washington

Scheinbar ist es dem Präsidenten egal, was in der Welt passiert: Rechercheure einer konservativen Denkfabrik haben ermittelt, dass Barack Obama sich nur an 43,8 Prozent aller Tage die neueste Geheimdienstlage schildern lässt. Während sein Vorgänger George W. Bush täglich dem Presidential Daily Brief lauschte, geht Obama frühmorgens lieber in den Fitnessraum. Der frühere Vizepräsident Dick Cheney hat daraus jüngst den Vorwurf abgeleitet, Obama interessiere sich nicht für die nationale Sicherheit und lasse sich deswegen auch zu Unrecht dafür feiern, Al-Qaida-Chef Osama bin Laden getötet zu haben.

Protest against a film deemed insulting to the Prophet Mohammed

Die Proteste gegen das umstrittene Mohammed-Schmäh-Video gehen weiter. In Jordanien verbrennen Demonstranten eine US-Flagge in der Nähe der amerikanischen Botschaft.

(Foto: dpa)

Sind Obamas Erfolge in der islamischen Welt zufällig, seine Misserfolge hingegen die logische Konsequenz aus Desinteresse, Naivität und Schwäche? Die Unruhen der vergangenen Tage könnten es andeuten: Die US-Regierung wirkte überrascht von der Wucht der Ereignisse. Ihre Botschaft in Kairo schien sich mehr um die Verwundbarkeit der Muslime zu sorgen als um die eigene. In Bengasi, wo US-Botschafter J. Christopher Stevens starb, war die Sicherheitslage zuvor angespannt, und Obamas Sprecher wirkte nicht glücklich, als er erklären musste, warum das Konsulat dem Terror derart ausgeliefert war.

Viele sind gegangen. Wer aber ist gekommen?

Selbst wenn sich die Unruhen legen sollten, sieht sich Obama in diesen letzten Wahlkampfwochen mit der Frage konfrontiert, ob seine Nahost-Politik so erfolgreich war, wie er behauptet. Die Glanzpunkte zählt er immer wieder auf: Bin Laden ist tot, Libyens Diktator Gaddafi auch, Amerikas Soldaten aus Irak heimgekehrt. Viele sind also gegangen. Wer aber ist gekommen? Gewählte Regierungen, überwiegend islamistisch und US-kritisch; Al-Qaida-Terroristen, so entschlossen wie immer.

Vor allem: Was ist geblieben? Das Assad-Regime in Syrien, das eine Intervention der Amerikaner erst mal nicht fürchten muss; das Regime in Iran, das unbeirrt von Sanktionen Uran anreichert. Geblieben ist auch der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, in dem Obama wohl schon deswegen nicht mehr vermitteln kann, weil sein Verhältnis zum israelischen Premier Netanjahu sichtbar zerrüttet ist.

Die Konservativen spielen das Carter-Spiel

Auf den ersten Blick eignet sich all dies, um dem Präsidenten Schwäche vorzuwerfen. Längst spielen die Konservativen zu Hause das Carter-Spiel: Obama sei nicht der Held, der Bin Laden erledigte, sondern ein Präsident, dessen Schwäche provoziere; wie einst Jimmy Carter, der hilflos zusah, wie 1979 in Teheran amerikanische Geiseln genommen wurden. Aus Sicht seiner Gegner passt dazu, dass das Weiße Haus Google darum bat, den kalifornischen Schmutzfilm aus dem Netz zu nehmen, der die Unruhen in der arabischen Welt ausgelöst hatte. Es stimmt, dass Obama die arabischen Völker mit einem versöhnlichen Ton für sich einnehmen wollte. Dies galt allerdings weltweit nicht als Verrat amerikanischer Interessen, sondern als dringend notwendige Abkehr von der Politik George W. Bushs.

Vor allem erklärt das "Obama ist Carter"-Spiel nicht eine Lage im Nahen Osten und Nordafrika, die sich seit dem Amtsantritt Obamas völlig verändert hat. Wo der Präsident vor gerade mal vier Jahren noch eine geschmeidige Annäherung im Sinn hatte, haben Revolutionen die autokratischen Regime hinweggefegt, die amerikanische Regierungen gleich welcher Partei jahrzehntelang stützten und bewaffneten. Nun regiert in Ägypten ein Muslimbruderpräsident, der Obama am Telefon nettere Dinge über Amerika zu sagen scheint als seinen Landsleuten.

Balance zwischen Werten und Interessen

Obama hat den Aufständischen in Ägypten und Libyen geholfen und sich auf jene Seite gestellt, die eher Amerikas Werten als Amerikas Interessen entspricht. Ob die Balance zwischen Werten und Interessen inzwischen wieder stimmt, ist in Washington umstritten. Soll man den Ägyptern nur Geld geben, wenn sie in allem gehorchen? Sollte man die junge libysche Regierung "mehr" unterstützen, wie es Mitt Romney, Obamas Rivale im Wahlkampf, verlangt? Aber was bedeutet "mehr"? Und hätte es den Anschlag auf das amerikanische Konsulat in Bengasi verhindert?

Islamische Proteste weltweit

Ein verräterischer Streit darüber war kürzlich bei Fox News zu sehen, wo rechte Moderatoren meist rechte Experten darum bitten, sie in ihren rechten Ansichten zu bestätigen. Also befragte Moderator Sean Hannity den republikanischen Falken John McCain zur Lage in Ägypten, wobei aus Hannitys Sicht die Sache eindeutig war: Obama versprach Demokratie und bekam Muslimbrüder und brennende US-Flaggen. McCain wirkte von der simplen Diagnose genervt: "Wir müssen unser Verhalten gegenüber der größten arabischen Nation gut abwägen", entgegnete er. Und anders als es Fox darstelle, sei es richtig gewesen, freie Wahlen in Libyen zu fördern, denn dort gebe es jetzt eine demokratische, gemäßigte Regierung, woran auch der Anschlag nichts ändere.

Der Präsident hat wenige Großoptionen

Der Streit offenbart, wie schwer sich auch die amerikanische Rechte mit der neuen Lage tut. Ihre einflussreiche neokonservative Fraktion hat jahrelang gefordert und teilweise erreicht, Demokratie notfalls in den Nahen Osten zu bomben. Jetzt aber bedeutet Demokratie, dass Regierungen anders denken als Denkfabriken in Washington, und dass sich Extremisten ermutigt fühlen, die jungen Regierungen und deren Verbündete anzugreifen, weil sie sie nicht radikal genug finden. Harte Worte aus dem Weißen Haus hätten wohl keinen al-Qaida-Mann in Libyen verschüchtert.

Der Einfluss Washingtons in der islamischen Welt ist geschwunden. Der Präsident hat wenige Großoptionen: Eine militärische Intervention in Syrien oder gar in Iran ist dem kriegsmüden amerikanischen Volk kaum zu vermitteln. Ein größerer Einfluss auf Regierungen in Nahost müsste wohl mit viel Geld erkauft werden; auf Terroristen ist Einfluss unmöglich. Die kurzfristigen Entscheidungen lauten: Soll Entwicklungsarbeit aus Sicherheitsgründen eingeschränkt, sollen Botschaften weiter befestigt werden?

Obama hat übrigens erklären lassen, dass er die Geheimdienstberichte jeden Morgen selbst lese, statt sie sich vorlesen zu lassen. Vielleicht liegt das Problem sowieso eher darin, dass im neuen Nahen Osten auch die US-Dienste nicht mehr ganz durchblicken.

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