Unruhen in Syrien:Angst vor dem schwarzen Loch

Schon nach wenigen Tagen mehren sich die Zweifel an der Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien: Mit eigenwilligen Aussagen zur Lage in der umkämpften Stadt Homs hat die Delegation Vertrauen verspielt - und doch ist sie die einzige Hoffnung für das Land.

Rudolph Chimelli

Die Syrien-Mission der Arabischen Liga hat am Donnerstag Beobachtergruppen in die Städte Deraa, Idlib und Hama sowie in die Umgebung von Damaskus entsandt. Die Delegation soll im ganzen Land die Umstände der Unterdrückung des Aufstands gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad untersuchen. Nachdem Beobachter am Dienstag der am meisten umkämpften Stadt Homs einen kurzen Besuch gemacht hatten, fand der Chef der Mission, der sudanesische General Mustafa al-Dabi, zunächst, die Lage dort sei stellenweise "nicht gut", aber er habe "nichts Beängstigendes" gesehen. Später trat er der Kritik an diesem raschen Urteil entgegen: "Bedenken Sie, dass dies nur der erste Tag war und dass weitere Untersuchungen nötig sind. Wir haben 20 Leute, die lange Zeit dort bleiben werden."

Unruhen in Syrien: Desertierte syrische Soldaten unterstützen die Protestbewegung beim Häuserkampf in Homs. 500 bis 1000 Menschen sollen in der Oppositionshochburg in den vergangenen Monaten ums Leben gekommen sein - die Beobachter der Arabischen Liga konnten bei ihrem Besuch aber "nichts Beängstigendes" finden.

Desertierte syrische Soldaten unterstützen die Protestbewegung beim Häuserkampf in Homs. 500 bis 1000 Menschen sollen in der Oppositionshochburg in den vergangenen Monaten ums Leben gekommen sein - die Beobachter der Arabischen Liga konnten bei ihrem Besuch aber "nichts Beängstigendes" finden.

(Foto: AP)

Nach Angaben der Opposition sind in der Millionenstadt Homs seit Beginn der Unruhen vor neun Monaten 500 bis 1000 Menschen getötet worden. Nach den Worten des Generals aber war die Lage dort ruhig - "mindestens so lange wir dort waren". Er habe keine Panzer gesehen, lediglich einige gepanzerte Fahrzeuge der Regierungstruppen. Nichts Beängstigendes also in Homs?

Die Beobachter-Mission entstand aus der Furcht der arabischen Nachbarn Syriens, dass die Rebellion und ihre Unterdrückung zu einem Bürgerkrieg eskalieren könnten. Nach einem unkontrollierten Sturz des Regimes und ohne tragfähige Nachfolgeregelung könnte aus diesem Schlüsselland der Region - ähnlich dem Irak - ein politisches Niemandsland werden. Ein Schwarzes Loch voll unabsehbarer Gefahren.

Der Befriedungsplan der Araber-Liga, dessen erste Stufe die Beobachtermission ist, sieht den Abzug des Militärs aus den Wohngebieten, die Freilassung der politischen Gefangenen, einen Dialog des Regimes mit der Opposition, Pressefreiheit und die Zulassung ausländischer Journalisten vor. Dass es dazu jemals kommen wird, vermag sich derzeit niemand vorzustellen.

In Homs verwehrten Einwohner des umkämpften Viertels Baba Amr den Liga-Beauftragten zunächst den Zutritt, weil sie von einem syrischen Oberstleutnant begleitet waren. Erst als dieser sich zurückzog, konnte die Inspektion fortgesetzt werden. Während des zweiten Besuchs der Beobachter am Mittwoch waren in verschiedenen Teilen von Homs Schüsse zu hören. Einmal eilten die Beobachter in ihren orangefarbigen Jacken sogar hinter ein Gebäude aus Beton, um sich vor dem stärker werdenden Feuer zu schützen.

In Deraa nahe der Grenze zu Jordanien hatte die Rebellion im Februar begonnen. Seither sind nach Uno-Angaben, die sich überwiegend auf Zahlen aus Oppositionskreisen stützen, 5000 Menschen ums Leben gekommen. Als nächste Stationen der Beobachter sind Kameschlie und Deir-es-Sor am Euphrat sowie Tartus und Banias am Mittelmeer geplant, wo es gleichfalls zu schweren Zusammenstößen gekommen ist.

Ein ausgewogener Bericht am Ende?

Die Delegation der Arabischen Liga besteht derzeit aus 66 Mitgliedern aus acht Ländern, unter ihnen Militärs, Politiker, Menschenrechts-Aktivisten und Beamte der Zentrale in Kairo. Ihre Zahl soll in den kommenden Tagen auf 150 erhöht werden. Als Dauer der Untersuchungen ist zunächst ein Monat angesetzt. Im Einvernehmen zwischen der Liga und Syrien kann diese Frist um einen weiteren Monat verlängert werden. Der Libanon, Syriens Nachbarland, hat am Mittwoch beschlossen, sich nicht an der Mission zu beteiligen. Es soll vermieden werden, dass sich der innerlibanesische Disput zwischen Parteigängern und Gegnern Assads weiter erhitzt. Schon im November hatte der Libanon in der Arabischen Liga gegen die Suspendierung der Mitgliedschaft Syriens gestimmt.

Der Generalsekretär der Liga, Nabil al-Arabi, hat der Mission aufgetragen, Zugang zu Gefängnissen und Krankenhäusern zu verlangen. Militärische Anlagen sind nach der Vereinbarung zwischen den Syrern und der Liga von der Inspektion ausgeschlossen. Dies hat bei Oppositionellen sofort den Verdacht geweckt, das Regime habe politische Gefangene aus Haftanstalten in Kasernen verlegt.

Der sudanesische General fertigt für den Generalsekretär täglich einen internen Zwischenbericht an. In seinem Abschlussbericht wird Dabi nach Ansicht des französischen Syrien-Experten Fabrice Balanche, Professor an der Universität Lyon, aber durchaus die Möglichkeit zur Kritik haben. Die Wahl sei auf ihn - den langjährigen Geheimdienstchef des Sudan - gefallen, weil die Syrer keinen Missionsvorsitzenden aus Saudi-Arabien, Katar, Ägypten oder einem anderen feindlich gesinnten Land akzeptiert hätten. Hätte Dabi schon am ersten Tag "Alarm" geschrien, so wäre er von den Syrern eilig zum Ausgang gebeten worden, glaubt der Professor. Gleichwohl erwartet Balanche am Ende einen ausgewogenen Bericht der Mission. Er werde aber auch die bewaffneten Gruppen von Aufständischen erwähnen, die auf die Polizei schießen.

Kritik an der arabischen Mission kommt nicht nur von Regimegegnern. Der Sprecher des französischen Außenministeriums, Bernard Valero, sagte, der Besuch in Homs sei zu kurz gewesen. Und die Anwesenheit der Inspekteure habe nicht verhindert, dass eine Demonstration gewaltsam unterdrückt wurde und zehn Menschen zu Tode kamen. Die Mission müsse bald in die "Märtyrerstadt" zurückkehren und den Kontakt zur Öffentlichkeit herstellen. Geduldiger zeigte sich in Washington der Sprecher des State Departement, Mark Toner: "Es war nur ein Tag und nur ein kleiner Teil von Homs." Man müsse der Kommission Zeit lassen, ihre Aufgabe zu erfüllen, und danach urteilen.

In Paris, Washington und vielen anderen Hauptstädten des Westens hoffen die Regierungen, dass die arabische Welt diesen Konflikt unter sich löst. Denn der UN-Sicherheitsrat wird in der Frage von China und Russland blockiert. Und die Nato wird, anders als im Falle Libyens, den Aufständischen keinesfalls helfen. Dafür ist die Lage in Syrien viel zu unübersichtlich - und zu gefährlich für die gesamte Region.

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