Unruhen in der Ukraine:Straßenschlachten in Kiew

Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfer - es waren die bislang heftigsten Straßenschlachten in Kiew. Auch in der Nacht kam es zu Ausschreitungen zwischen gewaltbereiten Demonstranten und Polizisten. Oppositionsführer Klitschko macht die Regierung für die Eskalation verantwortlich.

Auch in der Nacht auf diesen Dienstag verharrten die Demonstranten auf den Straßen der ukrainischen Hauptstadt: "Wer, wenn nicht wir und wann, wenn nicht jetzt?", stand einem Reporter der Nachrichtenagentur AFP zufolge auf einem der vielen Banner.

Nach den bisher blutigsten Straßenschlachten in Kiew sind Hunderte radikale Regierungsgegner erneut gewaltsam gegen die russlandtreue Führung in der Ukraine vorgegangen. Mit Gasmasken vermummte prowestliche Oppositionelle warfen auch am Montag Steine und Brandsätze auf Mitglieder der berüchtigten Polizeieinheit Berkut (Steinadler), auch in der Nacht kam es zu Ausschreitungen.

Die Justiz stufte die Auseinandersetzungen als "Staatsstreich" ein. Die EU, die USA und die Bundesregierung äußerten sich besorgt über die Eskalation.

Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko sieht die Protestbewegung im Land in der Krise und macht die Regierung für die eskalierende Gewalt verantwortlich. Die Opposition, die für einen friedlichen Protest stehe, habe "die Bewegung nicht mehr unter Kontrolle", schrieb Klitschko in einem Gastbeitrag für die Bild. Schuld daran sei aber nicht die Opposition, sondern die Regierung

Präsident Viktor Janukowitsch warnte angesichts der Zusammenstöße mit mehr als 200 Verletzten vor einer Gefahr für das ganze Land und bot einen Dialog an. "Krieg, Zerstörung und Gewalt ruinieren die Ukraine", hieß in einer Mitteilung des prorussischen Staatschefs.

Eskalation der Gewalt nach einem schärferen Demonstrationsrecht

Die monatelangen Proteste waren eskaliert, nachdem Janukowitsch ein schärferes Demonstrationsrecht erlassen hatte. Die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko zeigte sich in einer Mitteilung mit den gewaltbereiten Demonstranten solidarisch. "Wenn ich in Freiheit wäre, dann wäre ich bei Euch. Die Freiheit ist diesen Kampf wert", hieß es in dem Aufruf der Ex-Regierungschefin. "Außer Euch hat die Ukraine keine Verteidiger. Kämpft! Ihr seid Helden."

Hingegen forderte Oppositionspolitiker Vitali Klitschko alle Ukrainer auf, sich den friedlichen Protesten in der Hauptstadt anzuschließen. "Ihr werdet hier gebraucht, damit die Ukraine gewinnt und nicht Janukowitsch", sagte der Ex-Boxweltmeister.

Die Führung um Janukowitsch bildete eine Kommission für einen Ausweg aus der Krise. Der Staatschef selbst wollte zunächst aber nicht an einem Treffen mit der Opposition teilnehmen. Er rief alle Bürger zur Gewaltfreiheit auf. "Ich verstehe Ihre Teilnahme an Protesten und bin bereit, Ihren Standpunkt anzuhören und gemeinsam eine Lösung für Probleme zu finden", hieß es in der Mitteilung.

Tränengras, Blendgranaten und Wasserwerfer

Die Ausschreitungen waren am Sonntag nach einer Massenkundgebung gegen die Verschärfung des Demonstrationsrechts und andere umstrittene Gesetze ausgebrochen. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Blendgranaten und Wasserwerfer bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt ein. Mehrere Einsatzfahrzeuge gerieten in Brand. "Das ist nicht bloß Rowdytum. Das ist Landesverrat", teilte Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka mit. Das Innenministerium drohte, die Polizisten dürften bei Gefahr für Leib und Leben ihre Schusswaffen einsetzen. Bisher seien 31 Menschen festgenommen worden.

"Die Regierung hat dem Volk den Krieg erklärt", sagte hingegen Klitschko. Er war am Vortag zwischen die Fronten geraten. "Ich habe versucht, ein Blutvergießen zu verhindern. Ich habe aber nur zum Teil Erfolg gehabt. Die Aggression, die Wut, der Frust sind einfach zu groß", sagte Klitschko der Abendzeitung. Die regierende Partei der Regionen warf ihm hingegen vor, "die eigenen wahnsinnig gewordenen Anhänger" auf die Sicherheitskräfte gehetzt zu haben.

Die Bundesregierung rief Janukowitsch zum Dialog mit der Opposition auf. Deutschland verfolge die Entwicklung in der Ex-Sowjetrepublik mit großer Sorge, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Allerdings sehe man auch die Gewalt der Demonstranten mit einer "gewissen Traurigkeit". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel skeptisch, dass kurzfristig eine Lösung erreicht werden kann. Die Minister teilten mit, sie seien tief besorgt über die Entwicklung in Kiew.

Die Ukraine wird seit zwei Monaten von Protesten erschüttert. Hintergrund ist die Abkehr der ukrainischen Führung von einer Annäherung an die Europäische Union und die neue Hinwendung zum Nachbarn Russland.

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