Unruhen in der arabischen Welt:Die Hoffnung auf den Tyrannen-Sturz

Dem Westen wird vorgeworfen, sich nicht zugunsten der unterdrückten Zivilbevölkerung einmischen zu wollen. Warum hilft der Westen den Aufständischen in Libyen, aber nicht in Syrien? Weil Politik die Kunst des Möglichen ist.

Avi Primor

Wie in Tunesien und Ägypten begann auch der Aufstand in Syrien aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des wachsenden Bedürfnisses nach Freiheit. Dennoch wäre es ohne die Revolutionen in vielen anderen arabischen Ländern nicht so weit gekommen.

Syrian women living in Jordan during a demonstration in front of the Syrian embassy in Amman

Syrische Demonstranten, die in Jordanien leben, protestieren vor der syrischen Botschaft in Amman gegen Präsident Baschar al-Assad.

(Foto: REUTERS)

Die Diktatur in Syrien ist nicht neu. Schon als die Baath-Partei 1963 die Macht ergriff, erließ sie die Notstandsgesetze, die seitdem in Kraft geblieben sind. Immer wieder hat die Partei unter Präsident Hafis al-Assad, der zwar erst 1971 Präsident wurde, aber von Anfang an der mächtigste Mann des Regimes war, aufständische Gruppen in der Bevölkerung grausam und sehr blutig unterworfen.

Besonders bleibt die Stadt Hama in Erinnerung, wo Hafis al-Assad 1982 einen Aufstand niederschlagen und dabei zwischen zwanzig- und dreißigtausend Menschen töten ließ, nicht unbedingt nur islamistische Aufständische. Große Teile der Stadt wurden zerstört. Die syrische Diktatur unterscheidet sich politisch allerdings nicht grundsätzlich von den meisten anderen Staaten der Region. Der besondere Hang des Regimes zur Brutalität lässt sich freilich mit dem Regime von Saddam Hussein im Irak vergleichen.

Diese Situation hatte sich nach der Machtübernahme von Baschar al-Assad, dem Sohn des verstorbenen Hafis al-Assad, im Jahr 2000 nicht weiter verschlechtert. Im Gegenteil, der junge Präsident der damals 34 Jahre alt war und in London Augenmedizin studierte, hat sein Land einigermaßen positiv reformiert. Er führte Wirtschaftsreformen ein, wodurch eine neue Bourgeoisie entstehen konnte. Er ermöglichte seinem Land erstmalig den Zugang zu Mobiltelefonen, Internet, Privatuniversitäten und Schulen, Privatbanken und Versicherungsgesellschaften. Er verhalf Syrien auch zum Gang an die Weltbörse. Auch die Verständigung, die Baschar al-Assad mit der Türkei erreichte, war neu in der Geschichte Syriens und trug somit zur wirtschaftlichen Erholung bei. All dies aber hat keineswegs die Diktatur, ihre Willkür, ihre Korruption und die unbegrenzte Macht der Geheimdienste eingeschränkt. Die vielen Benachteiligten, der ärmste Teil der Bevölkerung, verloren letzten Endes ihre Geduld.

Anders als in Tunesien und in Ägypten scheint das Regime aber nicht gefährdet zu sein. Trotz der Wut angesichts des entsetzlichen Blutvergießens bleibt ein wichtiger Teil der Bevölkerung dem Regime treu. Die Alawiten - der Stamm des Präsidenten selbst, der alle Privilegien und höchsten Posten des Staates für sich einnimmt - fürchten nicht nur den Machtverlust, sondern auch um ihr Leben. Bestimmt wären sie bei einem Sturz des Regimes Opfer einer schrecklichen Rache durch die Sieger.

Die Kunst des Möglichen

Doch auch die neue sunnitische Bourgeoisie und die Bauernschicht möchten das jetzige System aufrechterhalten. Das Allerwichtigste aber bleibt die Tatsache, dass nicht nur die vielen mächtigen Geheim- und Polizeidienste, sondern auch die Streitkräfte nach wie vor hinter dem Regime stehen. Nicht nur die oberste Schicht der Offiziere, die vorwiegend Alawiten sind, sondern auch die niedrigen Offiziere, die überwiegend Sunniten sind, zeigen bislang keine Neigung, das Regime zu verraten, und zögern oft nicht, auf die eigene Bevölkerung zu schießen. Solange es keine Spaltungen in der Armee gibt, wird Präsident al-Assad sich halten können.

Syrians protest in front of the French embassy in Damascus

Auch in Syrien gehen die Proteste unvermindert weiter.

(Foto: dpa)

Dem Westen wird nun vorgeworfen, sich nicht zugunsten der unterdrückten Zivilbevölkerung einmischen zu wollen. Warum gegen Gaddafi in Libyen und nicht auch gegen Assad in Syrien?, fragt man.

Politik aber ist die Kunst des Möglichen. Möglich erscheint es, Gaddafi zu stürzen. Nicht mit der Luftwaffe alleine wird man Gaddafi in die Knie zwingen, sondern vor allem anhand von Bodentruppen, und diese gibt es durch die Rebellentruppen in Libyen, besonders im östlichen Teil des Landes. Solange das Regime in Damaskus noch nicht in ähnlicher Weise gefährdet ist, hat Einmischung keinen Sinn. Da kann der Westen nur verlieren und hätte wenig Chancen, weltweit Rückendeckung für eine Aktion gegen Assad zu gewinnen. China und noch mehr Russland, aber besonders die Türkei haben aus verschiedenen Gründen Interesse, Assad zu unterstützen. Ebenso Iran und die Hisbollah - selbst wenn diese damit ausgerechnet die stärkste und am besten organisierte aufständische Kraft in Syrien behindern, die Islamisten.

Baschar al-Assad hat vielleicht sogar Interesse, einige Reformen durchzusetzen, die einen Teil der Aufständischen beruhigen könnten. Das würden aber die Kräfte, die hinter ihm stehen - sein Stamm, die Geheimdienste, die Führungsschicht der Armee - nicht zulassen. Sollte der Präsident doch darauf bestehen, so könnte ihn die Führungsschicht stürzen und seinen noch viel härteren Bruder Maher al-Assad, den Befehlshaber der berüchtigten Republikanischen Garde, an die Macht bringen. Eine Verbesserung der Natur des Regimes würde das gewiss nicht bedeuten. Sollte also das Ergebnis des Aufstands in Syrien so aussehen wie das in Iran 2009, wo die Rebellionsbewegung unterdrückt wurde - wie sollte sich der Westen dann verhalten?

Vielleicht könnte man das Regime positiv schrittweise in eine bessere Richtung drängen. Um Baschar al-Assad zu ermutigen, die Richtung für Reformen einzuschlagen, muss man ihm einen Ausweg aus seiner Isolierung zeigen. Dies würde ebenso eine schrittweise Entfernung von seiner Notallianz mit Iran und der Hisbollah bedeuten.

Zu einer solchen Ermutigung könnte auch ein Friedensvertrag mit Israel gehören. Jahrzehntelang wollten die beiden Assad-Präsidenten mit Israel über den Frieden verhandeln; nicht nur, um ihre 1967 verlorenen Golanhöhen zurückzubekommen: Frieden mit Israel hätte für sie einen Ausweg aus der Isolierung bedeutet. Hätte Israel den Frieden mit Syrien geschlossen, so hätte auch jedes Nachfolgeregime der Assads diesen Frieden, aus syrischem Interesse gesehen, aufrechterhalten.

Unter den heutigen Umständen kämen solche Verhandlungen natürlich nicht in Frage. Sobald sich aber die Lage in Syrien beruhigen sollte, wäre es auch für Israel richtig, wieder an sie zu denken.

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