Unions-Richtungsstreit:Niederrheinischer Frieden

Erst kritisierte er die Unions-Politik als zu neoliberal, jetzt ist der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers erstaunlich still. Hat er von der Kanzlerin einen Maulkorb erhalten?

Hans-Jörg Heims

Frühherbstliche Idylle am Niederrhein. Durch Wiesen und Felder, vorbei an gepflegten Gärten, Schafen, Kühen und Pferden zieht ein Pulk Radfahrer. An der Spitze des Feldes Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und sein Parteifreund Ronald Pofalla, Generalsekretär der CDU im Bund. Das Bild der beiden stramm vorneweg radelnden Politiker soll Harmonie symbolisieren.

Diese war zuletzt arg gestört, nachdem Rüttgers mit seiner Forderung nach einem schärferen sozialen Profil der Union sowohl Parteichefin Angela Merkel als auch Pofalla unter Druck gesetzt hatte. Beim Start der Radtour am Samstag in Kleve, dem Wahlkreis von Pofalla, bedurfte es dann auch der Aufforderung von Fotografen, bis beide Politiker zusammenrückten.

Schon im Vorfeld des Ausflugs hatte man freilich einen "niederrheinischen Frieden" geschlossen. "Was zu sagen war, habe ich gesagt", erklärte Rüttgers und widmete sich stattdessen lokalen Themen wie der Not der Bauern mit Graugänsen. Pofalla wiederum dankte brav fürs Kommen. Man habe bereits in der vergangenen Woche sehr intensiv miteinander geredet, sagte er. Mit welchem Ergebnis, wollte er nicht mitteilen.

Es sieht aber so aus, als hätten sich Pofalla und Rüttgers - in Abstimmung mit Merkel - darauf verständigt, dass der Ministerpräsident zumindest öffentlich seine Aussagen nicht wiederholt; seine Überlegungen sollen jedoch in der laufenden Grundsatzdebatte berücksichtigt werden, wie es heißt. Nach Gesprächen mit den CDU-Spitzenkandidaten in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Friedbert Pflüger und Jürgen Seidel, hat Pofalla dem Düsseldorfer Störenfried klar gemacht, dass seine Sommerinterviews wenig hilfreich für die Landtagswahlen im Herbst sind.

Den Vorwurf, er habe der Partei geschadet, bekam Rüttgers am Wochenende von mehreren Unionspolitikern zu hören. So bezeichnete es der Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, als "problematisch, wenn der stellvertretende Bundesvorsitzende jetzt eine solche Diskussion lostritt". Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sagte, die Union erwecke mit der Debatte den Eindruck, als kümmere sie sich nicht um die Probleme, sondern diskutiere nur.

"Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwe"

Widerspruch meldete auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan an. "Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwe", sagte die CDU-Vizevorsitzende.

Wenig Verständnis zeigen ebenso die Wähler in Nordrhein-Westfalen. In einer WDR-Umfrage verlor die CDU gleich vier Punkte und käme nur noch auf 39 Prozent. Die SPD liegt bei 35 Prozent (plus ein Prozent), die Grünen bei neun (plus drei) und die FDP bei zehn Prozent (minus ein Prozent). Dramatisch hat das Ansehen des Ministerpräsidenten gelitten.

Im Vergleich zu einer Mai-Umfrage büßte er zwölf Prozentpunkte ein. Zwei Drittel der Befragten gaben an, die Landesregierung betreibe keine soziale Politik, oder anders ausgedrückt: Sie haben den Eindruck, Rüttgers blinkt links, fährt aber rechts.

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