Union und SPD:Wie die große Koalition noch scheitern kann

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Bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD zum Thema Inneres und Justiz sitzen sich die Spitzen beider Seiten im Paul-Löbe-Haus in Berlin gegenüber (Bildcomposing) (Foto: dpa)

Mindestlohn, Staatsangehörigkeit, Maut - langsam geht es in den Verhandlungen über eine große Koalition ums Eingemachte. Manche Arbeitsgruppe hat es schon aufgegeben, eigene Lösungen zu erarbeiten. Am Ende müssen die Parteichefs einen für alle tragbaren Kompromiss finden.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Fast schien es ja, als hätten sich CDU, CSU und SPD in einem Maße lieb, dass es Poeten zu einem romantischen Gedicht hätte inspirieren müssen. Aus den Arbeitsgruppen wurde beste Stimmung vermeldet. Was vor allen daran lag, dass es scheinbar Geld zu verteilen gab. Die Ausgabenwünsche summieren sich derzeit auf mindestens 52 Milliarden Euro.

Zwei Wochen nach Beginn der Koalitionsverhandlungen und einen Tag nach der Steuerschätzung aber ist klar: Die Spielräume sind arg eng. Im kommenden Jahr kann der Bund sich über 1,9 Milliarden Euro mehr freuen als bisher angenommen. Damit ließen sich gerade noch ein bisschen Breitbandausbau und die steuerliche Forschungsförderung bezahlen. Mindestrente (zehn Milliarden Euro), Mütterrente (6,5 Milliarden Euro) oder eine Kindergelderhöhung (7,5 Milliarden Euro) scheinen derzeit unbezahlbar zu sein. Die SPD würde gerne die Steuern für Reiche erhöhen. Die Union will das auf keinen Fall. Mehr Schulden wollen beide Seiten nicht machen. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

So langsam geht es also ans Eingemachte. Nicht ausgeschlossen, dass die Verhandlungen hier noch scheitern können. Besonders tief sind die Gräben in diesen vier Fällen:

  • Ganz oben die Maut für Pkw. Die CSU hat sie zu einem Symbolthema aufgeladen. Ohne Maut kein Koalitionsvertrag, hat CSU-Chef Horst Seehofer getönt. Kanzlerin Angela Merkel hielt dagegen. Eine Maut werde es mit ihr nicht geben. Womit sie ganz auf Linie mit der SPD ist. Seehofer will die Maut nur für Ausländer. Europarechtlich schwierig. Die Maut müsste für alle, also für In- und Ausländer erhoben werden. Deutsche Autofahrer müssten dann etwa über die Kfz-Steuer entlastet werden. Damit aber würde deren Steuerungswirkung ausgehebelt. Die Kfz-Steuer orientiert sich ja inzwischen am Ausstoß des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid.
  • Schwerer als gedacht dürften die Verhandlungen um einen Mindestlohn werden. Die zuständige Arbeitsgruppe unter Leitung von Ursula von der Leyen (CDU) und Andrea Nahles (SPD) hat es offenbar schon aufgegeben, selbst eine Lösung zu finden. "Dass es zum Schluss noch entscheidende politische Fragen gibt, die an anderer Stelle gelöst werden, das ist uns aber auch klar", sagte Nahles am Donnerstagabend. Die Haltung der SPD ist eindeutig: 8,50 Euro Mindestlohn, flächendeckend und gesetzlich abgesichert. Die Union dagegen will nur da Mindestlöhne einführen, wo es keine Tarifverträge gibt. Und selbst dort soll es nach Branchen und Regionen spezifische Lösungen geben. Einig sind sich beide Seiten offenbar nur, dass es eine wie auch immer geartete Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften geben soll. Aber schon, was deren Aufgabe sein soll, ist nicht geklärt.
  • Einen veritablen Streit gibt es um die doppelte Staatsangehörigkeit. Bis jetzt müssen sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, welchen Pass sie behalten wollen. Entscheiden sie sich etwa für die türkische, werden sie de facto ausgebürgert. Es kann auch niemand eingebürgert werden, der seine alte Staatsangehörigkeit behalten will. Selbst dann nicht, wenn er bestens integriert ist. Die SPD will diesen Optionszwang abschaffen. Die CSU auf keinen Fall. Höchstens die Frist von 23 auf 30 Jahre verlängern.
  • Einen Finanzierungsstreit gibt es um die Mütterrente. Union und SPD wollen älteren Müttern höhere Renten sichern. Die 6,5 Milliarden Euro dafür will die Union über höhere Beiträge zur Rentenversicherung reinholen. Die SPD will die Kosten aber auf alle Steuerzahler umlegen, um die Arbeitnehmer nicht einseitig zu belasten. Ohne Steuererhöhungen würde das aber kaum gehen.

Entscheidungen über all diese Fragen wird es wohl nur im Paket geben. Etwa: Die SPD bekommt ihren Mindestlohn, dafür bleibt das Staatsangehörigkeitsrecht unverändert. Die CSU bekommt eine Mini-Maut, im Gegenzug wird die Mütterrente aus dem Steuertopf finanziert.

So oder so ähnlich könnte es aussehen, wenn Ende November die drei Parteivorsitzenden den finalen Kompromiss aushandeln. Und einen Kompromiss müssen sie finden. Sonst gibt es keinen Koalitionsvertrag. Den aber wollen alle drei. In dem Punkt zumindest sind sie sich einig.

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