Union und Opposition im Bundestag:Wenig Gespür für Minderheitenrechte

Konstituierende Sitzung Deutscher Bundestag

Der Deutsche Bundestag ist an diesem Dienstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen.

(Foto: dpa)

Große Koalitionen haben auch eine große Verantwortung für die Minderheit im Parlament. Leider erweckt die Union bisher nicht den Eindruck, dass sie dieser Tatsache gerecht wird. Dabei ist klar, was passieren muss, sollten CDU/CSU und SPD tatsächlich gemeinsam regieren.

Ein Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Große Koalitionen sind weder grundgesetzwidrig noch der Untergang des Abendlandes. Diese Selbstverständlichkeiten sind angesichts der ziemlich kassandrahaften Kritik der vergangenen Wochen etwas in Vergessenheit geraten.

Richtig ist aber, dass große Koalitionen eine große Verantwortung für die Minderheit haben. Wenn sie dieser nicht gerecht werden, ist die parlamentarische Demokratie tatsächlich gefährdet. Leider erweckt die Union bisher nicht den Eindruck, dass sie dieser Verantwortung im gebotenen Maß gerecht wird.

Linke und Grüne stellen nur noch 20 Prozent der Abgeordneten. Sie können damit weder die Einberufung des Bundestags verlangen noch eine Normenkontrollklage beim Verfassungsgericht einreichen oder einen Untersuchungsausschuss durchsetzen. Eine Opposition ohne diese Rechte ist keine Opposition mehr.

Das Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestags schreiben für diese Rechte Quoren vor, die Linke und Grüne nicht mehr erreichen. Trotzdem hat die Unionsfraktion bereits erklärt, sie wolle das Grundgesetz nicht ändern. Am Dienstag verabschiedete der Bundestag seine neue Geschäftsordnung - auch in ihr sind keine Anpassungen enthalten.

Zehn Minuten Redezeit für die Opposition

Bei Union und SPD heißt es, man müsse doch erst einmal abwarten, ob es tatsächlich zu einer großen Koalition komme. Bei der Wahl der Vizepräsidenten haben die Parteien nicht so viel Zurückhaltung walten lassen: Da hat man sich schon im Vorgriff auf eine gemeinsame Regierung selbst bedient.

Angesichts der Übermacht der neuen Koalition kann es nur eine Lösung geben: Die Minderheitenrechte müssen durch eine Senkung der Quoren im Grundgesetz garantiert werden. Versprechungen im Koalitionsvertrag oder einfache Änderungen der Geschäftsordnung reichen nicht. Die Opposition würde dann nur noch von der Gnade der Regierung leben.

Dass eine Grundgesetzänderung keine utopische Forderung ist, zeigt ein Blick auf die letzte große Koalition. Damals billigten Union und SPD eine Änderung der Verfassung, um der damaligen Opposition die Normenkontrollklage in Karlsruhe zu ermöglichen.

Wie wenig Gespür für Minderheitenrechte die Union besitzt, zeigt auch der Umgang mit den Redezeiten. Bleibt es bei den bisherigen Usancen, dürfen Linke und Grüne im neuen Bundestag gut fünf Minuten pro Stunde sprechen, Union und SPD zusammen aber fast 50. Die Debatten wären grausam einseitig und langweilig.

Die CDU sieht keinen Grund, daran etwas zu ändern - schließlich würde das Verhältnis ja dem Wahlergebnis entsprechen. Das stimmt. Aber nicht immer kommt es auf die identische Abbildung des Wählerwillens an.

Bayern hat 20-mal so viele Einwohner wie Bremen, darf aber nur doppelt so viele Mitglieder in den Bundesrat entsenden. Trotzdem hat man in diesen Tagen nicht das Gefühl, dass die Stimme Bayerns im Bund zu schwach ist. Groß ist der, der sich nicht immer groß machen muss. In der CDU muss diese Erkenntnis leider noch reifen.

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