Union und FDP:Ein Kampf der Kulturen

Die Sicherheitskultur der Union trifft auf die Freiheitskultur der FDP. Wenn die Liberalen Deutschland verändern wollen, sollten sie sich das Innenministerium sichern.

Heribert Prantl

Man kann es mit einem Kalauer beschreiben: Wie lieben sich Stachelschweine? Die Antwort lautet bekanntlich: Ganz, ganz vorsichtig. Aber es geht nicht um Liebe und es hilft auch kein Kalauer.

Westerwelle, Merkel, Reuters

Künftige Partner, künftige Rivalen: Angela Merkel und Guido Westerwelle im Kanzleramt.

(Foto: Foto: ddp, Bearbeitung: sueddeutsche.de)

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP zur inneren Sicherheit geht es um eine Grundentscheidung: Noch mehr Sicherheit - oder wieder mehr Freiheit? Es geht um die Grundentscheidung, ob die Politik der Sicherheitsgesetze, der Computerdurchsuchungen, Lauschangriffe und heimlichen Grundrechtseingriffe weitergeht - oder ob sie gestoppt oder gar umgedreht wird. Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik, Finanzpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Bildungspolitik - in all diesen Fragen sind sich Union und FDP nah.

In Fragen der inneren Sicherheit stehen sie sich konträr gegenüber. Die Union proklamiert ein ungeschriebenes Grundrecht auf Sicherheit, das der Staat fürsorglich für seine Bürger ausüben soll. Die FDP verficht das Grundrecht der Bürger auf ihre Grundrechte, das ihnen nicht mit Winkelzügen genommen werden sollen.

Die Liste, mit der die FDP in die Verhandlungen geht, ist für die Union ein Horrorkatalog. Zu viel Grundrecht, meint die Union, sei schlecht für den Staat. Für die FDP wiederum ist die Liste ein Horrorkatalog, mit der die Union in die Verhandlungen geht: Die Union will noch mehr Sicherheitsgesetze, noch mehr Computerdurchsuchung, noch mehr Telefonüberwachung, noch mehr Lauschangriff, noch mehr Vorratsdatenspeicherung, noch schärfere Strafgesetze, noch mehr Sicherungsverwahrung.

Die FDP dagegen will die Bürgerrechte stärken, sie will die bisherigen Verschärfungen der Strafgesetze überprüfen und die Sicherungsverwahrung, die in den vergangenen Jahren in Gesetz und Praxis massiv und unübersichtlich ausgebaut worden ist, prüfen, bewerten und in einem Gesamtsystem neu ordnen. Das Gesetz über das Bundeskriminalamt, das dem BKA Ermittlungsbefugnisse auch im sogenannten Vorfeld von Straftaten gegeben hat, soll re-reformiert werden.

Das Gesetz über Internetsperren, das noch nicht in Kraft ist, soll aufgehoben werden. Und schließlich soll das Zeugnisverweigerungsrecht, gegen alle heimlichen Abhör- und Eingriffsmaßnahmen des Staates, wieder in sein Recht gesetzt werden.

Da prallen Kulturen aufeinander: Die Sicherheitskultur der Union - und die alte Freiheitskultur der FDP. Diese Koalitonsverhandlungen zur inneren Sicherheit sind ein Kulturkampf. Bei dieser Auseinandersetzung wird sich zeigen, wie stark die FDP wirklich ist, und ob und wie sie sich in den elf Jahren der Opposition erholt und als rechtsstaatsliberale Partei regeneriert hat.

Am Ende des Regierungszeit Kohl war es mit der FDP, dem damals noch viel kleineren Koalitionspartner der Union, so: Das Wort Rechtsstaat, das die FDP einst mit ganz großen Buchstaben geschrieben hatte, war der Kleinschreibung verfallen. Die Sensibilität für die Grundrechte, jahrzehntelang das Kennzeichen der FDP, war einer verfassungsrechtlichen Gefühlskälte gewichen.

Die FDP schämte sich der Zeiten, da ihr das Asylrecht als "Freiheitsstatue im Hafen der Verfassung" gegolten hatte. Sie wollte auch nicht mehr wissen, welchen Wert die Rechtsschutzgarantie hat. Der Rücktritt der FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1995 den Weg ihrer Partei in den großen Lauschangriff nicht mitmachen wollte, war das Menetekel.

Die Tradition der liberalen Innenminister

Jetzt, 14 Jahre später, ist ebendiese Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Verhandlungsführerin ihrer Partei auf dem Feld der inneren Sicherheit bei den Koalitionsgesprächen. Sie wird kaum als Ministerin in die neue Regierung eintreten können, um dann wenig später wieder enttäuscht zurückzutreten. Das heißt: Sie wird ein Ministeramt nur dann annehmen können, wenn es ihr und der FDP gelingt, im Koalitionsvertrag die Bürgerrechte stark zu machen.

Union und FDP: Sie war schon mal Justizministerin: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Sie war schon mal Justizministerin: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

(Foto: Foto: dpa)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gilt als die Kandidatin für das Amt der Justizministerin. Das Justizministeramt ist üblicherweise der Konterpart zum Innenminister - und meist sitzt da der Justizminister am kürzeren Hebel. Im Innenministerium wird über die Grundlinien der inneren Sicherheit und über das rechts- und innenpolitische Klima entschieden.

Die FDP täte also gut daran, sich in den Koalitionsverhandlungen das Bundesinnenministerium zu sichern - und so an alte liberale Zeiten anknüpfen: 13 Jahre lang, von 1969 bis 1982 wurde das Land von liberalen Innenministern regiert: erst fünf Jahre lang von Hans-Dietrich Genscher, dann vier Jahre von Werner Maihofer, dann vier Jahre von Gerhart Baum. Seine Bewährungsprobe im Kampf gegen die RAF hat die Bundesrepublik also mit liberalen Innenministern bestanden.

Die Koalitionsverhandlungen handeln nicht nur von ein paar Gesetzen, von ein paar Änderungen, von ein paar Korrekturen. Sie entscheiden über die deutsche Sicherheitsarchitektur. Diese Sicherheitsarchitektur ähnelt einer gigantischen Sanduhr. Im oberen Gefäß befinden sich die Freiheits- und Bürgerrechte, im unteren die Sicherheitsparagraphen. Das obere Gefäß wird immer leerer, das untere immer voller. Die Koalitionsverhandlungen werden zeigen, ob es der FDP gelingt, die Uhr umzudrehen. Es ist dies in liberaler Stärketest.

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