Union und FDP:Der Lobbyist denkt, die Koalition lenkt

Die Steuersubvention für das Hotelgewerbe ist nur die Spitze des Eisberges - der Koalitionsvertrag ist voller Zugeständnisse an Lobbygruppen.

T. Denkler

Klientelpolitik ist ein böses Wort. Es bedeutet, dass sich eine Partei weniger dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlt als vielmehr den Vorlieben einzelner Interessengruppen. Meist genau jenen Gruppen, in denen die Partei einen Teil ihrer Wählerschaft verortet.

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Union und FDP weisen - wie alle Parteien - jeden Vorwurf der Käuflichkeit zurück. Allerdings zeigt eine Durchsicht des Koalitionsvertrags: Das Werk ist voll mit Forderungen, die inhaltlich von Lobbygruppen vorgedacht sein könnten.

(Foto: Foto: istock/ddp)

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Union und FDP Hand in Hand für die Mehrwertsteuersenkungen bei Hotelübernachtungen streiten. Ein zusätzliches Geschmäckle kommt hinzu, wenn der Eigentümer eines Hotelimperiums den genannten Parteien über sein Firmennetzwerk auch noch Spenden in Millionenhöhe überweist, wie es August Baron von Finck getan hat, der Besitzer der Mövenpick-Hotelgruppe.

Die Parteien weisen jeden Vorwurf der Käuflichkeit entschieden zurück. Was aber sueddeutsche.de bei einer kritischen Durchsicht des Koalitionsvertrags von Union und FDP auffällt: Das Werk ist voll mit Forderungen, die inhaltlich von Lobbygruppen vorgedacht wurden. Das bisschen Steuersubvention für das Hotelgewerbe fällt da kaum noch ins Gewicht.

Hier eine Aufstellung in alphabetischer Reihenfolge.

Arbeitgeber

Mehrere Arbeitgeberverbände haben CDU, CSU und FDP einen wahren Spendensegen beschert. Unter den Gebern waren etwa der Märkische Arbeitgeberverband, der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen, der Verband der Chemischen Industrie oder der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie. Letzterer fällt mit einer Spendensumme seit 2007 in Höhe von mehr als 1,4 Millionen Euro an die CSU auf. Alle drei Parteien haben seit 2007 zusammen 2,7 Millionen Euro von Arbeitgeberverbänden überwiesen bekommen.

Das passt zum arbeitgeberfreundlichen Grundton im Koalitionsvertrag. Kein flächendeckender Mindestlohn, befristete Arbeitsverhältnisse werden erleichtert, Einfrieren des Arbeitgeberanteils in der Krankenversicherung - alles explizite Forderungen der Arbeitgeberseite.

Steuerberater

In seinen Wahlprüfsteinen hat der Deutsche Steuerberaterverband einen klaren Wunsch geäußert: Er will die "Wiedereinführung der privaten Steuerberatungskosten als abzugsfähige Sonderausgaben". Die neue Koalition reagierte umgehend. Im Koalitionsvertrag heißt es, die Regierung werde "den steuerlichen Abzug privater Steuerberatungskosten wieder einführen". Das ist insofern seltsam, als dass die Koalitionspartner ja eigentlich ein einfaches und gerechtes Steuersystem aufbauen wollen, das Steuerberater für Privatleute überflüssig machen würde. Aber Steuerberater sind eben auch Wähler.

Vermieter

Im Mietrecht steht die Koalition an der Seite der Immobilienbesitzer: Hier "greift der Koalitionsvertrag alle Forderungen von Haus & Grund Deutschland auf und übernimmt sie", jubelte der Hauseigentümerverband in einer Stellungnahme zum Koalitionsvertrag. Soll sich doch eine zentrale Forderung erfüllen: das Ende der "asymmetrischen Kündigungsfristen". Für Mieter und Vermieter sollen wieder gleich lange Kündigungsfristen gelten. Ausgehebelt werden soll auch das Recht auf Mietminderung, etwa während einer Gebäudesanierung.

Das freut sicher auch die Scheffel Grund GmbH, ehemals bekannt unter dem Namen Doblinger Grund GmbH. Die Firma des Immobilien-Tycoons Alfons Doblinger spendete der CSU 124.244 Euro.

Apotheker

Überall will die FDP Wettbewerb, nur nicht im Arzneimittelhandel. Der Apothekenverband ABDA und die FDP sind sich hier auch in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Versandhandel mit Medikamenten einig.

Ganz zurückdrehen lässt sich das Rad nicht. Ein Ärgernis aber will die Koalition den Apothekern offenbar aus dem Weg räumen: die sogenannten Pick-up-Stellen der Versandhändler. Das können Tankstellen oder kleine Geschäfte sein, in denen Kunden von Versandhändlern ihre Medikamente abholen können. Die Kunden haben davon Vorteile. Die Apotheker sehen darin eine unbotmäßige Stärkung der ohnehin verhassten Versand-Konkurrenz. Die Koalition will jetzt laut Koalitionsvertrag "die Auswüchse beim Versandhandel bekämpfen, indem wir die Abgabe von Arzneimitteln in den sogenannten Pick-up-Stellen verbieten". Das ist ganz auf ABDA-Linie.

Atomkraft

Dass in der Union und in der FDP viele Freunde der Atomkraft zu finden sind, ist kein Geheimnis. Allerdings gab es mit dem rot-grünen Atomkonsens so etwas wie eine Argumentationslücke. Die hat die Atomlobby geschmeidig geschlossen. Sie stellt inzwischen Atomkraft als Klimaschutzinstrument dar und erfand die Stromlücke, um Angst vor Stromausfällen zu schüren.

Schwarz-Gelb hat die Argumentation im Koalitionsvertrag übernommen. "Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann. Andernfalls werden wir unsere Klimaziele, erträgliche Energiepreise und weniger Abhängigkeit vom Ausland, nicht erreichen."

Verschwiegen wird, dass die Stromkonzerne pro Tag pro Atomkraftwerk mehr als eine Million Euro Gewinn machen. Gut auch für die Atomlobby, dass einer ihrer besten Männer jetzt für die Regierung arbeitet. Der Atom-Hardliner Gerald Hennenhöfer hat einst für die Atomwirtschaft den Atomkonsens ausgehandelt und ist jetzt vom neuen Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) zum Leiter der Reaktorsicherheitsabteilung ernannt worden.

Busunternehmen

Keine Branche scheint zu klein, um nicht mit Geschenken im Koalitionsvertrag bedacht zu werden. Die privaten Busunternehmen etwa wollen raus aus der Abhängigkeit öffentlicher Auftraggeber. "Das private Busgewerbe muss im öffentlichen Personenverkehr (ÖPNV) eine stärkere Rolle spielen", schreibt der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer auf seiner Internetseite.

Daseinsvorsorge im ÖPNV bedeute nämlich "keineswegs, dass Kommunen diese Leistungen selbst erbringen sollten". Die Betätigung der Kommunen als Bus-und Straßenbahnbetreiber habe "historische Gründe, die aber heute keine Rolle mehr spielen".

Das scheinen die Koalitionäre auch so zu sehen. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Unser Leitbild ist ein unternehmerisch und wettbewerblich ausgerichteter ÖPNV. Dabei werden wir den Vorrang kommerzieller Verkehre gewährleisten." Im Klartext: Der Staat stellt die Infrastruktur, die privaten Unternehmen befördern Personen und Güter. Wie gut das klappt, lässt sich derzeit recht eindrücklich am Berliner S-Bahn-Chaos ablesen.

Finanzwirtschaft

Auch hier sprudeln die Spenden. Mal sind es 206.000 Euro der Berenberg Bank, mal 100.000 Euro der Sal. Oppenheim oder 600.000 der Deutschen Bank. Alles für die CDU. Die FDP musste sich seit 2007 mit 600.000 von der Deutschen Bank zufrieden geben. Dafür gab die Allfinanz Deutsche Vermögensberatung 354.000 Euro. Natürlich, das Geld ist nicht zweckgebunden, das wäre ja illegal. Aber eigene Forderungen an die Bundesregierung wurde schon aufgestellt: Hände weg von einer Börsenumsatzsteuer und bitte keine übereilten Schritte, wenn es um Finanzmarktregulierung geht.

Ist schon erledigt. Die Finanzmarktregulierung kommt gar nicht bis schleppend voran. Und die Börsenumsatzsteuer will nur die Kanzlerin. Aber wer ist das schon.

Großgrundbesitzer

Auch auf der eigenen Scholle Land darf man nicht machen, was man will. Vor allem nicht in schützenswerten Regionen. Großgrundbesitzer würden das verständlicherweise gerne ändern. Sie wollen sich nicht von einer allgemeinen Naturschutzordnung einengen lassen. Wenn es schon sein muss, dann sollen es individuelle und zeitlich befristete Landschaftspflege-Verträge mit der öffentlichen Hand sein. Gegen Geld, versteht sich.

Im Natur-, Gewässer- und Bodenschutz sei der "vertraglichen Vereinbarung grundsätzlich Vorrang vor dem Ordnungsrecht einzuräumen", heißt es deshalb in den Wahlprüfsteinen - das sind Anfragen von Lobby-Organisationen an Parteien - der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände.

Die schwarz-gelbe Koalition hat wirklich ein Herz für Großgrundbesitzer. "Wir werden die Partnerschaft zwischen Landwirtschaft, Natur- und Umweltschutz über freiwillige Programme weiter stärken und uns am Vorrang des Vertragsnaturschutzes orientieren", heißt es im Koalitionsvertrag. Umweltschützer monieren, dann werde es Naturschutz nur noch nach Kassenlage geben.

Und noch einen Wunsch erfüllen die Koalitionäre den Großgrundbesitzern gerne. Die machen sich Sorgen um ihren zu Zeiten der sowjetischen Besatzungszeit zwischen 1945 bis 1949 im Osten Deutschlands enteigneten Grundbesitz. Die schwarz-gelbe Koalition verspricht Abhilfe. "Wir werden eine Arbeitsgruppe bilden, die im Hinblick auf die Enteignungen prüfen soll, ob es noch Möglichkeiten gibt, Grundstücke, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, den Betroffenen zum bevorzugten Erwerb anzubieten." Die Rede ist von 25 Prozent des gegenwärtigen Verkehrswertes. Ein wahres Schnäppchen.

Immobilienwirtschaft

Ganz im Sinne der Immobilienwirtschaft ist, dass die Koalition sogenannte Real Estate Investment Trusts (Reits) stärken will. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, hier seien "überflüssige Hemmschwellen für den deutschen Markt abzubauen". Das entspricht ziemlich genau der Forderung des Immobilien Verbandes Deutschland (IVB).

"Schnellstmöglich sollten Reits eingeführt werden, damit den Anlegern eine international konkurrenzfähige Form der indirekten Immobilienanlage auch in Deutschland zur Verfügung steht", heißt es in einem Verbandspapier. Reits sollen dabei "möglichst wenig reguliert werden". Im Klartext: Geldgeber sollen leichter als bisher auch mit Wohnimmobilien zocken dürfen.

Krankenversicherung

Die privaten Krankenversicherer sehen seit Jahren ihre Felle davonschwimmen. Die rot-grüne und auch die große Koalition haben die private Krankenversicherung an den Rand der Bedeutungslosigkeit regiert. Jetzt haben sie wieder Oberwasser. Ihre Forderung, die kapitalgedeckte Privatversicherung auszubauen, stößt bei Union und FDP auf offene Ohren.

Die privaten Krankenversicherungen (PKV) seien neben der gesetzlichen als "Voll- und Zusatzversicherung ein konstitutives Element in einem freiheitlichen Gesundheitswesen", heißt es im Koalitionsvertrag. Zumindest die FDP will einen kompletten Systemwechsel hin zur privaten Absicherung.

Da passt es gut, dass der neue FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler den Vizedirektor des Verbandes der PKV, Christian Weber, zum Leiter der Grundsatzabteilung seines Ministeriums macht. Das findet offenbar auch Webers alter Chef, Volker Leienbach gut: "All jene Parteien, die erklärtermaßen eine sogenannte Bürgerversicherung einführen und somit die PKV quasi abschaffen wollen, werden keinen Einfluss auf die Regierungsarbeit haben", sagt der Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherungen.

Wie groß dagegen sein Einfluss auf die Regierungsarbeit ist, zeigt sich am Koalitionsvertrag. Der PKV-Verband verlangt, dass die 2007 eingeführte "willkürliche Verdreifachung der Wartezeit" für Arbeitnehmer, die die Versicherungspflichtgrenze hinter sich gelassen haben, "zurückgenommen werde".

Der Koalitionsvertrag dazu: "Ein Wechsel in die private Krankenversicherung wird zukünftig wieder nach einmaligem Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze möglich sein." Die Forderung der Privaten ist damit voll erfüllt. Sie entspricht übrigens in großen Teilen den Wünschen der Ärzteschaft. Der größte deutsche Privatversicherer, die Allianz AG, hat den Koalitionspartnern CDU, CSU und FDP seit 2007 zu etwa gleichen Teilen zusammen 520.000 Euro an Spenden überwiesen. Auch SPD und Grüne wurden bedient.

Lebensmittelindustrie

Der deutschen Lebensmittelindustrie ist die Idee einer Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln ein Ärgernis. Zu viel Fett oder Zucker in einem Produkt hätte eine rote Ampel auf der Packung zur Folge gehabt. Botschaft: lieber nicht kaufen. In anderen Ländern ist die Ampelkennzeichnung erfolgreich eingeführt.

Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde will davon nichts wissen. Er schreibt an seine Mitglieder, er wolle eine "Informationsinitiative Nährwertkennzeichnung starten" mit dem Ziel, "allen politischen Entscheidungsträgern auf Bundes-, Landes- und vor allem Europaebene deutlich zu machen, dass insbesondere die Ampelkennzeichnung keine Option einer seriösen Verbraucherschutzpolitik ist." Natürlich sollen auch die "wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Unternehmen deutlich gemacht werden".

Die "Informationsinitiative" hatte Erfolg, wie der Koalitionsvertrag belegt: "Eine politische Steuerung des Konsums und Bevormundung der Verbraucher durch Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmittel lehnen wir ab. Ein farblich unterlegtes Ampelsystem zur Nährwert-Kennzeichnung führt die Verbraucher in die Irre."

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