Union forciert Atomausstieg:Ein neues Energiezeitalter muss her

Nach ihrem Kurswechsel in der Energiepolitik kann es der Union mit dem Atomausstieg gar nicht schnell genug gehen. Die Kanzlerin macht sich für einen neuen Energiekonsens stark, und Bayerns Umweltminister Söder will Meiler schneller abschalten als Baden-Württemberg.

So viel Konsens auf einmal gab es lang nicht: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will um möglichst breite Unterstützung für eine Energiewende in Deutschland werben. "Die Bundesregierung setzt alles daran, diesen Weg zusammen mit einer breiten Mehrheit der Bürger zu gehen", sagte die CDU-Vorsitzende der Bild am Sonntag.

Demonstration gegen Atomenergie in Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht sich mittlerweile für einen Ausstieg aus der Atomenergie aus, doch viele Menschen in Deutschland nehmen ihr diesen Kurswechsel nicht ab. Bei einer Demonstration gegen Atomenergie in Berlin trägt eine Teilnehmerin ein fingiertes CDU-Wahlplakat auf dem das Moratorium für sieben alte deutsche Atomkraftwerke als Täuschung hingestellt wird.

(Foto: dapd)

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) setzt dabei auch auf eine Verständigung mit SPD und Grünen. Merkel will Anfang Mai selbst mit Vertretern von Kirchen, Umweltgruppen und Gewerkschaften über die Energiewende diskutieren. Im Juni will sie mit den im Bundestag vertretenen Fraktionen diskutieren.

Die Kanzlerin bekräftigte, die Atom-Katastrophe von Fukushima habe auch ihre persönliche Haltung zur Kernkraft und ihren Risiken verändert: "Auch ich habe dazugelernt."

Röttgen plädierte im Spiegel dafür, "einen gemeinsamen Kurs auch mit SPD und Grünen zu finden, im besten Fall sogar einen nationalen Energiekonsens".

Merkel machte den Weiterbetrieb der für drei Monate abgeschalteten acht Atommeiler allein von den Ergebnissen der Sicherheitsüberprüfung abhängig. Laut Spiegel will sie Atomkraftwerke, die bei der Sicherheitsüberprüfung durchfallen, entweder direkt über eine "aufsichtliche Verfügung" im Konsens mit den Ländern vom Netz nehmen lassen oder über eine Änderung des Atomgesetzes durch das Parlament.

Söder: "Es geht nicht um einen Kuhhandel"

Für einen raschen Atomausstieg machte sich auch Unionsfraktionschef Volker Kauder stark. Der CDU-Politiker forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: "Wir müssen so schnell wie möglich auf Kernkraftwerke verzichten."

Geradezu sportlichen Ehrgeiz in Hinblick auf den Atomausstieg entwickelte Bayerns Umweltminister Markus Söder. Der frühere CSU-Generalsekretär kündigte in der Frankfurter Rundschau einen Wettbewerb mit der designierten grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs an, wer die Energiewende schneller schaffe.

"Wir werden sehen, welches der beiden Länder schneller der Umstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien schaffen kann." Wichtig sei, dass der Atomausstieg jetzt nicht auf die lange Bank geschoben werde. Zugeständnisse an die Energieunternehmen lehnte Söder ab. "Es geht nicht um einen Kuhhandel, sondern um Sicherheit und die nationale Energieversorgung. Da gibt es keine Tauschgeschäfte", sagte er.

Es sei aber sinnvoll, wenn der Bund Gespräche mit den Energieversorgern aufnehme. Diese sollten die Chance nun nutzen und auf erneuerbare Energien umzusteigen. Die Übertragung von Strommengen von abgeschalteten Kernkraftwerken auf weiterlaufende Reaktoren lehnte Söder ab. "Es wäre das falsche Signal, weil man damit das Atomzeitalter verlängert", sagte er.

Von der Leyen: "Energiewende verschlafen"

Ähnlich äußerte sich die stellvertretende CDU-Vorsitzende Ursula von der Leyen. Die Sozialministerin räumte in der Süddeutschen Zeitung ein, ihre Partei habe "die volle Dringlichkeit der notwendigen Energiewende" verschlafen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte unterdessen als Grundlage für einen Atomausstieg ein neues Gesetz.

DGB für neues Gesetz

DGB-Chef Michael Sommer zeigte sich in der Neuen Osnabrücker Zeitung überzeugt, dass die Energiekonzerne sich noch nicht geschlagen geben: "Die Extra-Profitmacher werden sich wehren. Deshalb ist eine neue gesetzliche Grundlage zwingend nötig."

Nach der Klage des Energiekonzerns RWE gegen die Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis A räumte Unionsfraktionsvize Günter Krings (CDU) in der Neuen Osnabrücker Zeitung ein, dass die sofortige Stilllegung der ältesten Meiler ein "juristisches und finanzielles Restrisiko" berge.

Der FDP-Umweltexperte Michael Kauch geht dennoch davon aus, dass keine Schadenersatzansprüche der Energiekonzerne drohen. Die Laufzeiten der deutschen Reaktoren seien als Reststrommengen festgelegt, sagte er der Zeitung. "Wenn die Meiler jetzt für drei Monate außer Betrieb sind, darf anschließend also mehr oder länger Strom produziert werden."

RWE: "Moratorium könnte höhere Strompreise bewirken"

Dies sieht Umweltminister Röttgen nicht zwangsläufig so. Entscheidend sei, "dass es bislang noch keine Investitionen auf der Basis der Laufzeitverlängerungen gegeben hat, die so etwas wie Vertrauensschutz auslösen könnten", sagte er.

Laut RWE drohen als Folge des Moratoriums höhere Strompreise: "Für Kunden von Versorgern, die sich jetzt zu hohen Börsenpreisen eindecken müssen, könnte sich das rein rechnerisch in einer Preiserhöhung von bis zu fünf Prozent niederschlagen", sagte Vorstand Leonhard Birnbaum der Rheinischen Post.

Unionsfraktionsvize Michael Fuchs wies in der Rheinpfalz am Sonntag darauf hin, dass die Preise an der Strombörse seit dem Moratorium bereits gestiegen sind. Nötig sei ein Ausstieg mit Augenmaß - "und kein Abschalten koste, was es wolle".

Fuchs' Parteifreund Günther Oettinger (CDU) schloss unterdessen die Stilllegung von Atomkraftwerken in weiteren EU-Ländern nicht aus. Mit Blick auf den von der EU verfügten Stresstest für Atomkraftwerke bezeichnete es der EU-Energie-Kommissar laut Spiegel als unwahrscheinlich, dass alle 143 in der EU existierenden Kernkraftwerke den Test bestünden. "Wenn wir die höchsten Sicherheitsstandards anlegen, kann kein Land von vornherein ausschließen, dass es eventuell seine Kraftwerke nachrüsten oder abschalten muss."

Energie-Kommissar Oettinger kritisiert Strompreiserhöhungen

Oettinger kritisierte zudem die Strompreiserhöhungen in Deutschland in den vergangenen Monaten, stellte zugleich aber neue Belastungen für die Stromverbraucher europaweit in Aussicht.

Der Ausbau neuer Stromnetze und -speicher "muss wohl auch über den Strompreis von morgen finanziert werden", sagte der Energie-Kommissar. Er denke an eine Umlage von einem Cent pro Kilowattstunde. Stärkeren Preiserhöhungen, wie sie in Deutschland etwa mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz begründet worden seien, erteilte er allerdings eine Absage. Solche Anhebungen "können wir uns nicht länger leisten". Sie bewegten sich am Rande dessen, "was sozial akzeptabel ist".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: