Ungarn:Ungarns Regierung plakatiert gegen Flüchtlinge

Ungarn: Kriegsfotos wie Warren Richardsons dramatisches World-Press-Siegermotiv von 2015 erzeugen starke Empathie. Wissenschaftlerin Karen Fromm wünscht sich stattdessen Bilder, die eine Annäherung an die Komplexität von Konflikten suchen.

Kriegsfotos wie Warren Richardsons dramatisches World-Press-Siegermotiv von 2015 erzeugen starke Empathie. Wissenschaftlerin Karen Fromm wünscht sich stattdessen Bilder, die eine Annäherung an die Komplexität von Konflikten suchen.

(Foto: Warren Richardson/World Press Photo/AFP)
  • Die ungarische Regierung hält im Oktober ein Referendum gegen die EU-Flüchtlingsquote ab - und macht nun mit Bedrohungsszenarios und Plakaten Stimmung gegen Flüchtlinge.
  • Der von der EU geplante Verteilungsschlüssel wird wahrscheinlich ohnehin nicht eingesetzt, da er unpraktikabel ist.
  • Berichte von Misshandlungen von Flüchtlingen durch ungarische Behörden häufen sich.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Mit einer Plakataktion hat die ungarische Regierung ihren Wahlkampf für das Referendum gegen die EU-Flüchtlingsquote begonnen. Überall im Land sind sechs unterschiedliche Motive plakatiert, mit denen die Bevölkerung auf ein Nein bei der Volksbefragung am 2. Oktober eingeschworen werden soll. Die Regierung um Ministerpräsident Viktor Orbán möchte von den Ungarn im Herbst wissen, ob sie wollen, "dass die EU auch ohne Zustimmung des ungarischen Parlaments die Ansiedlung von nicht-ungarischen Staatsangehörigen in Ungarn vorschreiben kann".

Jetzt wird auf großen Stellwänden intoniert, wie man die Sache in Budapest sieht - um, so die Begründung, die "Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Gefahren der verfehlten Einwanderungspolitik von Brüssel zu lenken". Jeder der Appelle beginnt mit der Formel "Wussten Sie?" und fügt dann hinzu, was man in Ungarn als objektive Informationspolitik ausgibt: "Brüssel will eine Masse von illegalen Einwanderern, die der Bevölkerungszahl einer Stadt gleichkommen, in Ungarn ansiedeln". Oder: "Seit Beginn der Migrationskrise stieg die Belästigung von Frauen in Europa sprunghaft an." Oder auch: "Die Anschläge von Paris wurden von Migranten verübt."

Mittlerweile hat ein Staatssekretär im ungarischen Kanzleramt weitere Werbemaßnahmen für das Referendum angekündigt. Vor allem Gewalt gegen Frauen und Terrorismus sollen thematisiert werden. Zeitgleich hat die Kampagne in den staatsnahen Medien Fahrt aufgenommen.

Scheindebatte: Der Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge wird ohnehin nicht umgesetzt

Die Orbán-nahe Historikerin Maria Schmitt etwa sagt einen "Kulturkampf der europäischen Nationen und der globalisierten multikulturellen Elite" voraus; Deutschland trete immer häufiger als "Viertes Reich" auf. Die Opposition kündigte an, das Referendum zu boykottieren. Die sozialliberale Együtt-Partei bezeichnet Orbáns Vorgehen als "anti-europäische Hass-Kampagne", die ungarischen Interessen zuwiderlaufe. Man lehne eine Politik ab, die auf Hetze und Angstmache aufbaue.

Dass Orbán ein Gegner jeder Aufnahme von Flüchtlingen in seinem Land ist, hat er mehr als deutlich gemacht. So klagt Budapest, wie auch die Slowakei, gegen die Brüsseler Pläne, nach denen Flüchtlinge in Europa nach einem festgelegten Schlüssel unterkommen sollen; Ungarn müsste danach etwa 2000 Menschen aufnehmen. Auch in Warschau, wo am Donnerstag die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien zum Brexit und zur Flüchtlingskrise tagten, wurde festgestellt, dass eine Umverteilung der Flüchtlinge in der EU nicht infrage komme.

Faktisch aber ist dies eine Scheindebatte: Die "Zwangsquote", wie Orbán und der slowakische Ministerpräsident Robert Fico den Brüssler Plan nennen, wird wohl ohnehin nicht umgesetzt. Auch Alternativvorschläge wie ein Bezahl-Modell, nach dem sich Staaten mit einer Art Solidaritätsabgabe von der Aufnahme von Flüchtlingen freikaufen können, gelten als unpraktikabel. Auch deshalb hatte sich die deutsche Kanzlerin für den Türkei-Deal eingesetzt, der einen weiteren Zustrom von Flüchtlingen nach Europa verhindern sollte.

Ungarn hat seine Grenze rigoros abgesperrt, Flüchtlinge sitzen auf der serbischen Seite fest

Angesichts der Entwicklung nach dem Putschversuch in der Türkei wächst allerdings die Sorge, dass die Vereinbarung mit Ankara platzt - womit eine innereuropäische Regelung wieder aktuell werden könnte. In Ungarn will man davon nichts wissen. Seit Monaten hat Orbán in fast jeder seiner im Volk als "Freitagspredigt" bezeichneten Rundfunkansprachen betont, dass er von Zuwanderung durch Muslime eine Zerstörung der westlichen Zivilisation, den Niedergang christlicher Werte und eine Zunahme des Terrorismus erwarte.

Ungarn hatte daher 2015 Grenzanlagen zu Serbien und später auch zu Kroatien gebaut. Zudem wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, mit denen "Grenzverletzer" in Schnellverfahren abgeurteilt und abgeschoben oder in Lagern interniert werden. Immer mehr europäische Gerichte stoppen mittlerweile Abschiebungen nach Ungarn mit Verweis auf die dortige Lagerhaft. Allerdings haben alle Abschottungsversuche wenig bewirkt, die Flüchtlingszahlen sind nach einem starken Rückgang im Herbst wieder deutlich gestiegen.

Sogenannte Grenzverletzter werden ohne Gerichtsverfahren nach Serbien oder Kroatien abgeschoben

Seit Anfang des Jahres habe Ungarn 17 351 illegal eingereiste Menschen aufgegriffen, sagte der Sicherheitsberater des Premiers, György Bakondy. Über Monate wurden täglich bis zu 900 Migranten beim Versuch gefasst, den Grenzzaun zu überwinden. Weil aber die vielen Verfahren gegen Flüchtlinge die Gerichte im Süden des Landes über- und die Errichtung vieler neuer Lager erfordert hätten, ist man davon abgekommen. Lager in Grenznähe wurden geschlossen, dafür wurde eine Einrichtung für Flüchtlinge in Körmend nahe Österreich eröffnet. Seither meldet die österreichische Polizei verstärkte Aufgriffe an der grünen Grenze sowie eine erhöhte Schleppertätigkeit.

Parallel hat Budapest eine Regelung erlassen, nach der sogenannte Grenzverletzer, die innerhalb einer Zone von acht Kilometern hinter der Grenze gefasst werden, ohne Gerichtsverfahren wieder nach Serbien oder Kroatien abgeschoben werden. Sie sollen dort in Transitzonen einen Asylantrag stellen. Bakondy teilte allerdings mit, dass von knapp 200 000 Asylanträgen in Ungarn 2015 nur 246 bewilligt worden seien. Mitte der Woche hat die Regierung mitgeteilt, die Acht-Kilometer-Regelung wirke: seither seien die Aufgriffe zurückgegangen. Die Menschen sähen ein, dass "es sich nicht lohnt, die Grenze zu überqueren, denn sie werden hundertprozentig gefasst", so der Verteidigungsminister.

Berichte über Misshandlungen von Flüchtlingen häufen sich - "Lügen", sagt Ungarns Regierung

Stattdessen harren nun auf der serbischen Seite der Grenze sowie auf den de facto im ungarischen Grenzgebiet befindlichen Transitzonen Tausende Flüchtlinge aus, unter schwierigsten Umständen und weitgehend unversorgt. Ihre Zahl wächst, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet, Ungarn weise die Menschen "summarisch ab, ohne ihre Schutzbedürftigkeit zu prüfen". Zudem würden Flüchtlinge bisweilen misshandelt; mehrere Menschen seien mit Knochenbrüchen und offenen Wunden ins Niemandsland zurückgebracht worden. Budapest bezeichnet die Berichte über Misshandlungen als "Lügen".

Eine Kolumnistin der Zeitung Magyar Hirlap zeigte in diesem Zusammenhang Unverständnis für die Haltung Angela Merkels. Diese habe sich kritisch über die mutmaßlichen Misshandlungen von Flüchtlingen durch ungarische Grenzbeamte geäußert. Merkels Kritik entbehre jeder Grundlage, so die Autorin, die meisten Flüchtlinge würden vielmehr jede Kooperation mit den ungarischen Behörden verweigern.

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