Ungarn:"Was soll Ungarn tun?"

Der nationalkonservative Ministerpräsident Orbán will die Bürger gegen NGOs auf Linie bringen. Und stellt in einer großen "Nationalen Konsultation" Fragen, auf die es jeweils nur eine richtige Antwort gibt. Seine Antwort.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die ungarische Regierung gönnt sich keine Pause, obwohl die Proteste gegen die drohende Schließung der Central European University (CEU) noch nicht abgeflaut sind und die nächste Protestwelle schon aufzieht. Allein bis zum Wochenende sind in Budapest eine Demonstration vor der russischen Botschaft, die Besetzung der fünf Donau-Brücken und zwei Märsche angekündigt. Dennoch sollte ab Mittwoch, nachdem die Novelle am Dienstag erfolgreich den Rechtsausschuss passiert hatte, ein Gesetz beraten werden, das Ungarn nicht befrieden, sondern weiter spalten wird: das "NGO-Gesetz".

Laut dem Entwurf, den die Online-Zeitung 444.hu einsehen konnte, müssen Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 25 000 Euro pro Jahr von ausländischen Geldgebern bekommen, sich bei Gericht registrieren und jede Zuwendung melden; wer das versäumt, ist mit Strafzahlungen oder einem Betätigungsverbot konfrontiert. Wann immer sich diese Gruppen in Zukunft äußern - bei Interviews, in Pressemitteilungen und bei anderen Veröffentlichungen -, müssen sie sich als "aus dem Ausland unterstützte Organisation" ausweisen, wie es auch in Russland seit 2012 und in Israel seit dem vergangenen Jahr nötig ist. Zudem werden sie in einem öffentlichen, einsehbaren Register gelistet.

Der Hauptfeind der Regierung bleibt George Soros, er wolle die Bevölkerung manipulieren

Die Regierung argumentiert, das Volk habe ein Recht darauf zu sehen, wer sich, ohne Legitimation, im Namen ausländischer Akteure in die ungarische Politik einmische; international gesponsorte NGOs gefährdeten die "Souveränität und die nationale Sicherheit des Landes". Gemeint ist damit, wie praktisch immer in letzter Zeit, vor allem der US-Milliardär George Soros, dem die Regierung unterstellt, die von ihm unterstützten Organisationen in Ungarn, darunter das Helsinki Komitee, die Menschenrechtsorganisation TASZ oder Transparency International, zu manipulieren - und auf den Sturz der Regierung von Viktor Orbán hinzuarbeiten. Gergely Gulyás, Fraktionsvize von Fidesz, plädiert laut Pester Lloyd daher für eine "schnelle Umsetzung des Gesetzes", denn "die Soros-Gruppen verstärken ihre Angriffe auf Ungarn", mit dem Ziel "den freien Einfall von Einwanderern in unser Land zu ermöglichen" Diese NGOs würden "Einwanderer ermutigen, unsere Gesetze zu brechen". Das Volk solle wissen, "von wem diese Leute finanziert würden, sei es von Soros, Russland oder einem EU-Mitglied".

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hatte in einem Interview am Ostersamstag in Magyar Idök gesagt, "dass George Soros, vor der Öffentlichkeit verborgen und unter Einbeziehung seiner ungarischen Organisationen, mit enormen Geldsummen die illegale Einwanderung fördert." Der ungarischstämmige Philanthrop finanziere "zahlreiche, als zivile Vereine getarnte Lobby-Organisationen" und unterhalte "ein richtiggehendes Netzwerk, mit eigenen Sprechern, eigenen Medien, vielen Hundert Menschen, einer eigenen Universität". Dagegen müsse Ungarn "den Kampf aufnehmen", so Orbán.

Den Kampf hat die Regierung auch noch an zwei anderen Fronten aufgenommen: durch "Nationale Konsultationen", mit denen die Bevölkerung auf Regierungslinie getrimmt wird, und mit der sich die Regierung wiederum Rückendeckung von der Basis holt, sowie durch harte Urteile gegen Demonstranten. Seit dem 8. April läuft die aktuelle Konsultation (die letzte 2015 hatte sich gegen die "Zwangsquote der EU für Flüchtlinge" gerichtet), und nach Angaben des Budapester Kanzleramts sind bereits 30 Prozent der Unterlagen von den Bürgern zurückgeschickt worden.

Die sechs Fragen laufen unter der Rubrik "Lasst uns Brüssel stoppen", denn "Entscheidungen aus Brüssel schadeten Ungarn" in der Regel. Und sie lassen keinen Zweifel daran, wie die Antworten auszufallen haben. Zum NGO-Gesetz heißt es, immer mehr Organisationen, die vom Ausland finanziert würden, arbeiteten mit dem Ziel, "sich auf undurchsichtige Weise in die inneren Angelegenheiten unseres Landes einzumischen. Was soll Ungarn tun: Sie dazu zwingen, sich registrieren zu lassen, ihre Ziele und ihre Finanziers offenzulegen? Oder ihnen erlauben, ihre riskanten Aktivitäten unkontrolliert weiter zu verfolgen?" Eine weitere Frage richtet sich gegen George Soros: "Es ist klar, dass neben Menschenschmugglern auch bestimmte internationale Organisationen illegale Migranten dazu anhalten, sich kriminell zu verhalten. Was soll Ungarn tun? Organisationen bestrafen, die illegale Migration fördern? Oder akzeptieren, dass internationale Akteure ohne Konsequenzen ungarische Gesetze umgehen?"

Es sind solche politischen Maßnahmen, die junge Demonstranten wie Márton Gulyás und Gergö Varga auf die Straße treiben. Am vergangenen Wochenende waren sie festgenommen worden, weil sie je einen Farbbeutel auf den Präsidentenpalast geworfen hatten. In einem Schnellverfahren wurden die beiden Männer zu 300 beziehungsweise 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Gulyás fragte in seinem Schlusswort vor Gericht provokativ, warum er für die "Störung der öffentlichen Ordnung in einer antisozialen, gemeingefährlichen Art" verurteilt werde, wo es doch die ganz oben seien, die "in einer antisozialen Art ihre Macht missbrauchten und den ihnen anvertrauten Staat" ausraubten? Er werde aufhören, zu demonstrieren, sagte Gulyás, wenn die Regierung aufhöre, demokratische Grundrechte einzuschränken.

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