Ungarn:Orbáns Kritiker haben sich zu früh gefreut

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Zwar ist sein Anti-Einwanderungs-Referendum wegen zu geringer Beteiligung gescheitert. Doch für Opposition und EU wird die Auseinandersetzung mit Ungarns Ministerpräsidenten noch härter werden.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Auch wenn die ungarische Opposition und Ungarns Kritiker in Brüssel jetzt triumphieren und von einem schweren Imageschaden reden: Für Viktor Orbán ist die Schlappe beim Referendum gegen die Verteilungsquote für Flüchtlinge, welche die EU-Innenminister beschlossen hatten, keine Niederlage. Sicher, einige Zehntausend Wahlberechtigte haben ihre Stimmzettel aus Protest ungültig gemacht. Das ist viel, wenn man bedenkt, wie zerstritten, rat- und stimmlos die Anti-Orbánisten im Land zuletzt waren. Und richtig ist auch: Weit mehr als 50 Prozent sind nicht hingegangen. Optimisten werten das als Zeichen, dass es die Regierungspartei Fidesz und ihr mächtiger Chef in Zukunft schwerer haben werden mit Islamfeindlichkeit und Xenophobie.

Zu früh gefreut. Mag sein, dass der Ministerpräsident hinter geschlossenen Türen vor seinen Getreuen tobt, weil die 40 Millionen Euro teure Kampagne voller Drohungen und Hetze die Bevölkerung nicht ausreichend mobilisiert hat. Aber offiziell interpretiert er das Votum als Arbeitsauftrag. In Brüssel wird man sich von nun an noch wärmer anziehen müssen.

Jetzt will Ministerpräsident Orbán gegen den Lissabon-Vertrag reiten

Die Regierung hatte die Abstimmung zwar zu einer Schicksalswahl stilisiert, aber am Ende der Schlammschlacht reichte die Beteiligung nicht. Doch den Regierungschef interessiert die mangelnde Wahlbeteiligung offiziell nicht. Der Verfechter einer illiberalen Demokratie hält sie für irrelevant, weil er behauptet, dass jene, die zu Hause geblieben sind, zur schweigenden, zustimmenden Mehrheit gehören. Ohnehin hat ihn die strikte Einhaltung demokratischer Spielregeln nie wirklich interessiert. Interessanter sind für Orbán die fast schon stalinistischen 98 Prozent der Referendumsteilnehmer, die mit Nein auf die Frage geantwortet haben, ob Flüchtlinge ohne Zustimmung des Parlaments angesiedelt werden dürfen. Sie geben ihm den Rückhalt, den er haben wollte. Mehr wäre schöner gewesen. Aber so reicht es auch.

Die 98 Prozent entsprechen drei Millionen Wählern - mehr Zweitstimmen, als Fidesz bei den letzten Wahlen hinter sich versammeln konnte. Das ist die Macht der Masse, auf die Orbán langfristig abzielt. Für die Opposition im Land wird es noch schwerer werden, ernst genommen zu werden. Wie sich Gehör verschaffen, wenn die Regierung politische Niederlagen ohnehin in populistische Siege umdeutet?

Die nächste Attacke wird der Ministerpräsident, das hat er schon angekündigt, nun gegen Brüssel und den Lissabon-Vertrag reiten, mit dem die Europäische Union sich vor knapp zehn Jahren eine reformierte Arbeitsgrundlage gegeben hat. Orbán will eine Verfassungsänderung, mit der Budapest allein über die Aufnahme von Migranten entscheidet. Das Argument: Die gemeinsame Asylpolitik ist gescheitert, Brüssel schützt uns nicht, also schützen wir uns selbst. Die Visegrád-Staaten und, wenn man die jüngsten Äußerungen des österreichischen Außenministers richtig wertet, womöglich sogar Teile der Wiener Regierung hat er dabei schon hinter sich. Es wird ein heißer Herbst.

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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