Ungarn:Vorsicht Meinungsfreiheit

Das Demonstrationsrecht in Ungarn ist eines der liberalsten in Europa, von dem rechtsextreme Schlägertrupps profitieren. Widerstand formiert sich nur schwer.

Michael Frank, Wien

In Ungarn häufen sich Übergriffe rechtsextremer Vereine und Schlägertrupps, die unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung stattfinden. Bislang haben die demokratischen Parteien und Gruppen noch kein Mittel gefunden, um den immer öfter gewalttätigen Auftritten der rechten Trupps Einhalt zu gebieten.

Randale in Ungarn, AP

Schwieriges Durchgreifen: Polizisten verhaften einen der rechten Schläger, die eine Homosexuellen-Parade in Budapest gewaltsam gestört hatten.

(Foto: Foto: AP)

Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany unternimmt nun den Versuch, eine Charta gegen rechte Gewalt ins Leben zu rufen, die parteiübergreifend alle demokratischen Institutionen des Landes zum Widerstand zusammenführen soll.

Anlass für die Initiative waren Ausschreitungen bei der traditionellen Homosexuellenparade in Budapest. Mit Molotowcocktails, Steinen und Flaschen hatten die Schläger vor zehn Tagen versucht, die bunte Parade zu stören und auseinanderzutreiben. Beteiligt war die selbsternannte "Ungarische Garde", eine SA-ähnliche Truppe der rechtsextremistischen Partei Jobbik, die jede Form von Toleranz ablehnt und gegen Roma, Außenseiter der Gesellschaft und alle Arten "anti-ungarischer Umtriebe" Front macht. Was gegen das Ungarntum gerichtet ist, bestimmen die martialisch aufmarschierenden Rechten selbst. Als Feldzeichen führen sie die weiß-rot-gestreifte Arpad-Flagge, das Banner der ungarischen Faschisten.

Liberales Demonstrationsrecht

Angesichts wachsender Kritik, Politik und demokratische Gesellschaft setzten sich nicht hinreichend zur Wehr, hatte Premier Gyurcsany die höchsten Funktionäre und Würdenträger des Landes ins Parlament geladen. Es erschienen Staatschef Laszlo Solyom, Parlamentspräsidentin Katalin Szili, der Präsident des Verfassungsgerichts, Peter Paczolay, und der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichts, Bertalan Kaposvari. Am Ende war man sich einig, dass die Gesetze auf ihre Praktikabilität hin überprüft werden müssten. Gyurcsany betonte, die Verfassung sichere zwar das friedliche Versammlungsrecht, dessen Missbrauch müsse jedoch unbedingt verhindert werden.

Ungarns Demonstrationsrecht ist eines der liberalsten in Europa. Truppen wie der "Garde" oder anderen Gewalttätern ihre Aufmärsche zu verbieten, ist im Vorfeld kaum möglich. Aber auch das Verfassungsgericht ist erst Ende Juni gegen ein Gesetz gegen die Diffamierung Andersdenkender eingeschritten. Es wies ein Gesetz als verfassungswidrig zurück, das die Verunglimpfung von ethnischen, religiösen und anderen Minderheiten unter Strafe stellen sollte.

Das Gericht verfügte, das Recht auf freie Rede könne niemandem "bestritten werden, bloß weil diese die Interessen, Anschauungen oder Empfindlichkeiten anderer" verletzten. Gyurcsany hielt dem entgegen, freie Meinungsäußerung dürfe nicht bedeuten, andere Menschen tätlich anzugreifen. Die Versammlung der Würdenträger sei sich dennoch einig gewesen, so der Premier, dass es "gemeinsame Verantwortung und Pflicht" sei, gegen "Gewaltaktionen und ausgrenzende Ansichten" aufzustehen. Alle Bürger hätten das Recht, frei über ihre nationale, religiöse, kulturelle Zugehörigkeit und auch ihre sexuelle Identität zu entscheiden.

Auf einer Manifestation am 6. September soll nun in Budapest die Charta gegen Gewalt ausgerufen werden. Ob die anderen Parteien außer Gyurcsanys Sozialisten mitmachen, ist unklar. Die oppositionelle, nationalkonservative Fidesz unter Ex-Premier Viktor Orban, die gerne Politik auf der Straße statt im Parlament macht, hat bereits wiederholt Verständnis für die "Garde" geäußert.

Wankelmütige Liberale

Zur allgemeinen Überraschung haben aber auch die Freien Demokraten abgewunken. Sie bildeten bis vor kurzem eine Koalition mit den Sozialisten, die jetzt nach dem Bruch des Bündnisses mit einer Minderheitsregierung weitermachen. Die Liberalen waren stets die Menschenrechtspartei, mit vielen früheren Widerstandskämpfern gegen das KP-Regime in ihren Reihen. Der führende Liberale Gabor Horn, der selbst auf der Homosexuellenparade verletzt wurde, sieht in der Charta gegen rechte Gefahr dennoch nicht den geeigneten Weg. Er verlangt, auf normalem gesetzlichen und administrativen Weg erträgliche Verhältnisse wiederherzustellen. Ein Motiv ihrer Absage dürfte auch sein, dass die Freien Demokraten jeden Hinweis vermeiden wollen, sie könnten wieder mit den Sozialisten eine Koalition bilden.

Ob also die Charta gegen die Gefahren von rechts in Ungarn den nötigen Widerhall im ganzen politischen Spektrum findet, scheint trotz der Unterstützung der höchsten Staatsrepräsentanten für den Augenblick zweifelhaft. Die rechten Schläger aber werden den Sommer zu nützen wissen.

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