Ungarn:Viktor Orbáns Streitlust

Ungarn: Ungarns Premier Orbán Ende August in Brüssel. Ausländische Organisationen fühlen sich von seiner Regierung gegängelt.

Ungarns Premier Orbán Ende August in Brüssel. Ausländische Organisationen fühlen sich von seiner Regierung gegängelt.

(Foto: AFP)

"Die liberale Demokratie ist am Ende": So skizzierte Ungarns Premier Orbán zuletzt den Kurs seiner Regierung. Ausländische Organisationen fühlen sich gegängelt - nun haben Polizisten die Räume eines von Norwegen unterstützten Umweltverbandes gestürmt.

Von Cathrin Kahlweit

Die ungarische Regierung ist bekannt dafür, dass sie keinem Streit aus dem Weg geht. Auch jetzt, vier Monate nach Beginn der dritten Amtszeit von Premier Viktor Orbán, geht es wieder deftig zu in Politik und Medien. Und, wie schon gewohnt, sitzen Orbáns Gegner im Ausland sowie in regierungskritischen inländischen Organisationen.

Es dreht sich, grob gesagt, um Gelder aus den Norwegischen Hilfsfonds, in die auch Mittel aus Liechtenstein und Island einfließen und die in Absprache mit der EU bisher an zivilgesellschaftliche Gruppen in Ungarn gingen. Darunter waren ein Theaterprojekt, eine Roma-Gruppe, ein Demokratieprogramm für Jugendliche, aber auch renommierte Organisationen wie Transparency International und das Schwulen-Projekt Budapest Pride.

Die Organisationen passen nicht in das Weltbild Orbáns

Wenig davon passt in das konservative, christliche Weltbild von Orbán und seiner Fidesz-Partei. Und so befand der zuständige Politiker, János Lázár, die Verteilung der Gelder, die Norwegen über einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Ungarn abwickelte, müsse über eine ungarische Regierungsbehörde neu organisiert werden. Denn: Das Ausland subventioniere mit dem Geld leider vornehmlich oppositionsnahe Organisationen. In Oslo war man empört und stellte die Zahlungen ein; es ging um immerhin 150 Millionen Euro.

Der Streit währt also schon Monate, geht aber jetzt in eine neue Runde. Polizisten stürmten am Montag das Büro der Umweltorganisation Ökotárs, die im Namen der Norweger einen Teil der Gelder verteilt. Sie durchsuchten die Räume acht Stunden lang, untersagten den Mitarbeitern, die Räume zu verlassen, beschlagnahmten Computer und Akten, und zwangen die Geschäftsführerin unter Polizeibegleitung nach Hause, wo sie auch ihre privaten Computer herausrücken musste.

Am Dienstag trat János Lázár, der mittlerweile Kanzleramtsminister ist, vor die Presse und erläuterte, hier gehe es zum einen um Finanzdelikte. Ökotárs habe Gelder verteilt, was nur staatlichen Agenturen erlaubt sei. Zudem seien Kredite an NGOs vergeben worden, was als "illegale Kreditwirtschaft" zu werten sei. Die inkriminierten Gruppen sprechen von Projekt-Vorschüssen. Der zweite, schwerer wiegende Vorwurf ist laut dem Internationalen Kommunikationsbüro des Premierministers: "Okötárs hat die Fonds direkt und indirekt für parteipolitische Zwecke genutzt."

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Die Farben der ungarischen Flagge spiegeln sich am 20. August, dem Nationalfeiertag, zwischen den Beinen von Soldaten in Budapest.

(Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

"Ein Gesetz ist ein Gesetz"

Auf Nachfrage erläutert Regierungssprecher Zoltán Kovács der Süddeutschen Zeitung, Ermittlungen einer Regierungsbehörde hätten ergeben, dass womöglich illegale Parteienfinanzierung vorliege. Ein "Teil des Geldes, das für die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen genutzt werden sollte", sei während des Wahlkampfes mutmaßlich für politische Aktivitäten genutzt worden. Es sei jetzt leicht, so Kovács, der Regierung die Verfolgung von Kritikern vorzuwerfen. Aber "ein Gesetz ist ein Gesetz, und daran müssen sich alle halten".

Lázár will nun die EU als Vermittler anrufen - ausgerechnet. Norwegens Europaminister Vidar Helgesen empört sich, hier werde versucht, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Bürgerrechtler wollen wegen Amtsmissbrauchs klagen. Nach der Razzia gab es Demonstrationen von Sympathisanten und Regierungsgegnern. Atlaszo.hu, eine Online-Plattform zur Bekämpfung von Korruption, publizierte Lázárs "schwarze Liste" von 13 Nichtregierungsorganisationen. Auch diese Gruppe klagt, der Staat verfolge offenbar Organisationen, "deren Ziele er nicht teilt". Und Transparency International ruft dazu auf, "die Einschüchterung" zivilgesellschaftlicher Organisationen zu stoppen", sie widerspräche "allen europäischen Normen".

Ungarn sind dankbar für die Nationalstolz-Rhetorik

Auseinandersetzungen politischer Gegner im In- und Ausland sind durchaus üblich in Orbáns Ungarn. Seine zweite Amtszeit von 2010 bis 2014 war geprägt vom Ringen mit der EU um das Mediengesetz, die neue Verfassung, die Zwangspensionierung von Richtern und die kreative Auslegung der Budgetregeln. Im Inland gab es Ärger mit Kulturschaffenden wegen der Vereinnahmung von Kunst und Kultur durch Fidezs-nahe Organisationen, mit internationalen Konzernen wegen zahlreicher Sondersteuern, mit Experten wegen der Unterwerfung von Schulen und Hochschulen unter ein Staatsmonopol. Orbán baute mithilfe seiner Zweidrittelmehrheit im Parlament das Land strategisch um und unterwarf es den Interessen der Fidesz-Partei und ihrer Anhänger.

Die Mehrheit der Ungarn ist allerdings dankbar für eine Rhetorik, die den alten Nationalstolz bedient, einen traditionellen Wertekanon wiederbelebt und daneben den heimischen Markt zu stärken scheint. Die linke Opposition, anfangs noch durch zahlreiche außerparlamentarische Initiativen und internationale Proteste gestärkt, hat dem immer weniger entgegenzusetzen. Bei der Parlamentswahl im April konnten die vereinten Listen der Sozialisten und der liberalen Gruppierung "Zusammen 2014" gerade mal ein Viertel der Stimmen ergattern, die rechtsextremistische Jobbik kam auf knapp 21 Prozent.

Nachdem Orbán, der sich im Wahlkampf staatsmännisch zurückgehalten hatte, zwar erwartungsgemäß wiedergewählt worden war, aber die Zweidrittelmehrheit ganz knapp verpasste, wurde kurzerhand das Gesetz geändert. Nunmehr darf der Parlamentspräsident mitstimmen. So blieb die verfassungsändernde Mehrheit gewahrt. Und so begann seine dritte Amtszeit, wie die zweite aufgehört hatte - er ist im Streit mit jüdischen Organisationen und Historikern über die Neu-Interpretation der ungarischen Rolle im Holocaust sowie mit zahlreichen Medienhäusern wegen drastischer neuer Steuern.

Gleichzeitig aber zeigte sich der Premier als Mann des Volkes, indem er einmal mehr die Großbanken herausforderte: Diese müssen nun, einem neuen Gesetz entsprechend, Kreditnehmern auf Wunsch deren teure Fremdwährungskredite in Forint umwandeln. Ausländische Banken, so der Tenor, hätten genug verdient an Ungarn, nun gehe es ans Zurückzahlen.

Der Regierungschef provoziert - und weiß, was sein Volk hören will

Die politische Sommerpause nutzte Viktor Orbán dann für eine so provokative wie programmatische Rede, in der er seinen weiteren Kurs skizzierte: "Die liberale Demokratie ist am Ende", erklärte er auf rumänischem Boden, "sie garantiert den ungarischen Familien keinen Wohlstand und keinen Schutz der nationalen Interessen mehr. Der ungarische Staat wird sich nicht weiter an liberale Werte halten." Zeitgleich verurteilte Orbán die Sanktionen gegen Russland und machte milliardenschwere Geschäfte mit China. Das kleine Ungarn soll mit ihm künftig den Beweis antreten, dass es als unabhängiger Partner mitspielen kann im Konzert der großen Mächte, anstatt sich vor der EU zu ducken.

Kritiker wie die "Ungarische Union der zivilen Freiheiten" kritisieren sein Vorgehen zwar als Weg in "Putins Russland". Aber Orbán weiß, was die Ungarn hören wollen. Bei einer Rede vor Diplomaten in Budapest argumentierte er nach Angaben der Online-Zeitung Pester Lloyd unlängst, die Geschichte habe "gezeigt, dass nur jene Nationen überleben, die sich selbst biologisch erhalten" könnten. Roma könnten jene Jobs von Ungelernten übernehmen, die anderswo Einwanderer machten. Auch mit solchen Einlassungen weiß Orbán die Mehrheit der Ungarn hinter sich.

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