Ungarn:Triumph des Spalters

Viktor Orbán führte einen Wahlkampf ohne Programm und mit dem Hirngespinst einer muslimischen "Invasion". Das war erfolgreich. Für die Europäische Union wird das Ungarn Orbáns zur großen Bedrohung.

Von Peter Münch

Das Parlamentsgebäude zählt zu den Wahrzeichen von Budapest. Auf 268 Metern Länge erstreckt sich der neogotische Bau am Ufer der Donau, gekrönt von einer Kuppel und geschmückt mit vielen Türmchen. Im Innern allerdings herrscht unübersichtliches Gewirr: 13 Aufzüge, 29 Treppenhäuser, 691 Räume. Der Blick hinter die Fassade darf als Metapher gelten für den Zustand der ungarischen Demokratie. Drei Jahrzehnte nach der Wende bewegt sie sich auf verschlungenen Pfaden. Sie ist nicht transparent und gefestigt, sondern erneut bedroht - und zwar von einem Mann, der von einem Trakt des Parlaments aus das Land regiert.

Viktor Orbán, der Ministerpräsident, hat hier sein Büro. Von hier aus bestimmt er die Geschicke des Landes mit eiserner Hand und dem spalterischen Ansatz des divide et impera. Die Opposition hat er erledigt, alle Schaltstellen der Macht mit Gefolgsleuten besetzt. Spätestens mit seinem triumphalen Sieg bei der Parlamentswahl vom Sonntag ist klar, dass er in Ungarn eine Ära prägen wird. Negativ zu spüren bekommt das nicht nur sein Land, sondern ganz Europa.

Viktor Orbán bedroht die Zukunft der EU. Diese muss sich endlich gegen ihn wehren

Die Begründung dieser Ära liegt weit zurück. Die politische Bühne hat der heute 54-Jährige schon betreten, als sich das Land zur Demokratie wandelte. Man sieht dort Orbán als drahtigen Studenten, der 1988 den "Bund Junger Demokraten" gründet. 1990 zieht er für die Fidesz-Partei ins Parlament ein, 1998 wird er zum ersten Mal Ministerpräsident. Als Liberaler gilt er damals, doch als er 2002 zum eigenen Erschrecken abgewählt wird, da hat er wohl für sich erkannt, dass die Demokratie ihre Tücken und die Liberalität Grenzen hat.

Die nächste Amtszeit von 2010 an stellt er deshalb unter ein neues Vorzeichen: Nun propagiert er die "illiberale Demokratie" und macht sich an den Umbau Ungarns. Der Staat wird zur "Nation" respektive zur "Heimat", die Regierung zum Beschützer des Volks. Abzuwehren gilt es immer etwas: Flüchtlinge vor allem, aber auch die Bürokratenkrake aus Brüssel. Die starke, ordnende Hand beschneidet dazu Bürgerrechte und Medienfreiheit, und nebenbei wirft sie noch ein Netz aus über Ungarns Wirtschaft, mit dem Orbáns Oligarchenfreunde die dicksten Fische fangen.

Von außen betrachtet ist diese "illiberale Demokratie" also nichts anderes als eine kleptomanische Autokratie. Orbáns Erfolgsrezept jedoch ist es, dass er ein Paralleluniversum erschaffen hat, in dem seine Anhänger mit wohligem Pathos versorgt werden, während es für seine Gegner fast unangreifbar geworden ist. So hat er es sich leisten können, ohne Programm in die Wahl zu ziehen und die ganze Kampagne auf das fremdenfeindliche Hirngespinst einer drohenden muslimischen "Invasion" aufzubauen.

"Für uns kommt Ungarn zuerst" - mit diesem Slogan hat er nun die Wahl gewonnen. Das klingt bekannt und auch berüchtigt. Doch nicht nur Donald Trump hat dabei Pate gestanden, sondern auch die gesamte Internationale der Autokraten vom russischen Präsidenten Wladimir Putin bis zum türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Orbán aber ist es vorbehalten, diesen Herrschaftsstil mitten in die Europäische Union hineinzutragen - und weil er in Ungarn damit an den Wahltagen so erfolgreich ist, könnte sich dies zum Verkaufsschlager auf dem europäischen Binnenmarkt entwickeln. Polens Regierung hat sich schon die Copy-Rechte gesichert. Andere dürften folgen.

Damit geht von Orbáns Ungarn ein beträchtliches Bedrohungspotenzial für die Zukunft der Europäischen Union aus. Denn hier geht es nicht mehr um das gedeihliche Zusammenwachsen des Kontinents. Orbán & Co. betreiben unter dem Dach der EU die Renationalisierung und untergraben die demokratischen Grundwerte. Doch statt darauf energisch und mit Gegenwehr zu reagieren, zeigt sich die EU weitgehend plan- und hilflos. Die bisherige Antwort darf sogar als Ermunterung für allfällige Nachahmer gelten. Schließlich werden Orbáns Ausfälle wie seine im vorigen Jahr initiierte populistische "Stop-Brüssel"-Kampagne immer noch mit europäischen Subventionsmilliarden belohnt, und seine Fidesz-Partei darf sich im EU-Parlament weiter als ehrenwertes Mitglied in der Fraktion der Europäischen Volkspartei gerieren.

Solange niemand ernsthaft seine Kreise stört, wird Kritik an Viktor Orbán abprallen. Ihm geht es schließlich nicht um irgendwelche europäischen Visionen, sondern allein um die Macht in der Heimat, und die will er sichern, verbreitern und vertiefen. Mittlerweile ist ihm für seine Ambitionen auch der Amtssitz im riesigen Budapester Parlamentsgebäude zu klein geworden. Oben auf dem Burgberg, da, wo immer schon die Herrscher residierten, lässt er sich gerade einen neuen Premierspalast herrichten. Aufwendig renoviert wird ein ehemaliges Karmeliterkloster. Dem Gewirr des Parlaments ist er dann komplett enthoben. Von ganz weit oben hat er alles im Blick.

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