Ungarn:Neue Stufe der Eskalation

Das Parlament in Budapest hat ein Gesetz gebilligt, das den Druck auf Organisationen massiv erhöht, die Flüchtlingen im Land helfen. Deren Mitarbeiter können sich strafbar machen, wenn sie "Beihilfe zur illegalen Migration" leisten.

Von Tobias Zick

Vote on the amendment of the basic law or constitution concerning migration, Budapest, Hungary - 20 Jun 2018

Ungarns Premierminister Orbán (Mitte) hat eine breite Mehrheit im Parlament, um schärfere Gesetze in der Flüchtlingspolitik verabschieden zu können.

(Foto: Szilard Koszticsak/EPA)

Die ungarische Regierung erhöht den Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen, die Flüchtlingen im Land helfen. Das Parlament in Budapest hat am Mittwoch ein Gesetz gebilligt, wonach sich künftig strafbar machen kann, wer illegal im Land befindliche Flüchtlinge unterstützt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen können sich demnach künftig des Gesetzesbruchs schuldig machen, wenn sie "Beihilfe zur illegalen Migration" leisten. Auch wer zu dem Thema "Informationsmaterialien anfertigt, verbreitet oder in Auftrag gibt", kann sich strafbar machen. Im Wiederholungsfall droht Haft bis zu einem Jahr. Zudem kann Helfern der Zugang zu einem acht Kilometer breiten Streifen entlang der Schengen-Außengrenzen verboten werden. Das Gesetz wurde am Mittwoch mit den Stimmen der Fidesz-Regierungsmehrheit und der rechtsradikalen Jobbik-Partei verabschiedet.

Teil des Pakets ist eine Verfassungsänderung, die es verbietet, die "Zusammensetzung der Bevölkerung" des Landes zu verändern. Die staatlichen Institutionen werden verpflichtet, die "christliche Kultur zu verteidigen". Die Regierung erklärte dazu, so werde die "Souveränität Ungarns" gestärkt. Kritikern hielt sie entgegen, mit den Gesetzesänderungen werde der "Wählerwille umgesetzt"; der "verstärkte Schutz" sei nötig angesichts des "fortdauernden Migrationsdrucks auf Europa".

Es ist die jüngste Eskalationsstufe im Vorgehen von Ministerpräsident Viktor Orbán gegen zivilgesellschaftliche Kritiker und Aktivisten im Land. Das Gesetzespaket, das auch als "Stopp-Soros-Paket" bezeichnet wird, ist benannt nach dem aus Ungarn stammenden US-Milliardär George Soros, der weltweit Nichtregierungsorganisationen finanziell unterstützt und insbesondere die immer autoritärere Politik der ungarischen Regierung kritisiert. Im vergangenen Wahlkampf hatte Orbáns Fidesz-Partei Soros auf Plakaten als "Staatsfeind" tituliert. Dessen "Open Society"-Stiftung (OSF) gab im April bekannt, aufgrund des massiven Drucks und "willkürlicher Einmischung durch die Regierung" bis Ende August ihr Büro in Budapest zu schließen und nach Berlin zu verlegen.

Premier Viktor Orbán sagt, Europa erlebe einen "Bevölkerungsaustausch"

Bereits vor einem Jahr hatte Ungarns Parlament ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, wonach Nichtregierungsorganisationen, die im Jahr mehr als 24 000 Euro an Förderung aus dem Ausland beziehen, den Behörden eine Aufstellung ihrer Geldgeber übermitteln müssen, andernfalls droht ihnen die Schließung. Die EU-Kommission hatte deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet.

Vor der Abstimmung über das neue Gesetzespaket am Mittwoch hatte Orbán im staatlichen Rundfunk gesagt, in Europa sei ein "Bevölkerungsaustausch" im Gange; dies geschehe "zum Teil deshalb, damit Spekulanten wie George Soros am Zugrunderichten des Kontinents viel Geld verdienen können". Soros und seine Leute wollten ein "multikulturelles Europa" schaffen, so Orbán, weil sie "die Traditionen des christlichen Europa nicht mögen".

Der Europarat hatte die ungarischen Parlamentarier vergeblich aufgefordert, die Abstimmung zu verschieben, bis die mit Rechtsexperten besetzte Venedig-Kommission ihre für diesen Freitag angekündigte Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf vorlegen würde. In einem früheren Entwurf war noch Strafsteuer für Organisationen, die Flüchtlingen helfen, vorgesehen. Dies wurde nach Kritik, etwa aus der deutschen CDU, gestrichen - allerdings ist die Strafsteuer nun Teil einer separat geplanten Steuergesetznovelle. Aufgrund ihres gegenüber der EU immer konfrontativeren Kurses ist die Mitgliedschaft von Orbáns Fidesz-Partei in der konservativen Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören, zunehmend umstritten.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte das neue Gesetz als "fundamentalen Angriff" auf europäische Grundwerte. Helfer würden dadurch "systematische stigmatisiert". Es sei eine "bittere Ironie", sagte die Europa-Referentin von Amnesty, Janine Uhlmannsiek, "dass das ungarische Parlament das Gesetz ausgerechnet am Weltflüchtlingstag verabschiedet hat".

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, verwies darauf, dass Ungarn lediglich ein Prozent der registrierten minderjährigen Asylbewerber in Europa beherberge. Das Vorgehen der Regierung schade Kindern, die zur Flucht gezwungen wurden und oftmals traumatisiert seien. Das ungarische Helsinki-Komitee bezeichnete das Gesetz am Mittwoch als Verstoß gegen "alles, was wir unter Rechtsstaatlichkeit, europäischen und christlichen Werten verstehen".

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