Ungarn:Linke und rechte Manöver gegen Viktor Orbán

Orban Viktor met with Botka Laszlo major of Szeged who is the prime minister candidate of the Hungar

Der Linke László Botka überragt Ministerpräsident Viktor Orbán deutlich - zumindest körperlich. In den Wahlumfragen sieht es anders aus.

(Foto: imago/PuzzlePix)
  • 2018 wird in Ungarn gewählt. Die regierende Fidesz liegt in Umfragen zwischen 35 und 40 Prozent und würde wieder die Mehrzeit im Parlament erreichen.
  • Die nationalistische Jobbik-Partei möchte sich in eine nationale Volkspartei verwandeln, um gegen Viktor Orbán eine Chance zu haben.
  • Ungarns Linke setzt auf das Prinzip Hoffnung.

Von Cathrin Kahlweit, Szeged

Es ist, als habe der Mann ein Erweckungserlebnis gehabt. Hier präsentiert sich ein neuer Gábor Vona: weich, der Rücken leicht gerundet, die Stimme zurückgenommen, der Anzug elegant. Früher trug der Vorsitzende der nationalistischen Jobbik-Partei gern auch mal die Uniform einer parteinahen Miliz, sprach schneidend, das Haar militärisch kurz. Warf Israel vor, in Gaza das "weltgrößte Konzentrationslager" zu unterhalten. In einem Wahlspot zerquetschte er nach einer Sequenz über Roma eine Mücke auf seiner Hand und sagte dazu: "Wir haben genug von den Parasiten". Gegen Flüchtlinge wollte er die Armee einsetzen.

Vorbei. Neues Image, softe Botschaften, offene Türen. Ein attraktiver Mann, Ende 30, hinter einem schweren Schreibtisch. Der nächste Ministerpräsident, wenn es nach Vona selbst geht. Ein Fotograf dokumentiert jedes Gespräch für die Facebookseite, vergangene Woche waren französische und amerikanische Reporter im "Weißen Haus", wo die Parlamentarier ihre Büros haben. Man wolle zeigen, sagt die Pressesprecherin, dass Jobbik kein Outlaw mehr sei, dass die Welt wieder Kontakt sucht. Umgekehrt gilt auch: Jobbik ("die Besseren") sucht wieder Kontakt zur Welt.

Weil rechts neben Orbán kein Platz mehr ist, marschieren die Nationalisten Richtung Zentrum

Das Interesse am Jobbik-Chef war groß, als seine Partei sich 2014 mit rechtsextremen Parolen gegen Premier Viktor Orbán positionierte, damit 20 Prozent holte und zahlreiche Bürgermeisterämter. Jobbik wurde zur einzig ernst zu nehmenden - und gefährlichen - Oppositionspartei. In der EU machte man sich Sorgen: Eine rechtskonservative, islam- und europafeindliche Regierungspartei plus eine rechtsextreme Opposition - das war irritierend viel Nationalpathos und Intoleranz auf einmal, mitten in Europa.

Nun ist das Interesse wieder groß, weil Vona plötzlich der jüdischen Gemeinde zu Chanukka gratuliert. Israel öffentlich das Recht zugesteht, seine Interessen zu verteidigen. Oder ein Gesetz, mit dem Migration nach Ungarn ein Riegel vorgeschoben werden soll, nicht mitträgt. Denn mit der Flüchtlingskrise erwies sich Orbán selbst als Meister der harten Worte und extremen Forderungen. Jobbik stagnierte. Seither marschiert Vona an Orbán vorbei ins politische Zentrum - oder gibt das zumindest vor. Rechts neben der Regierungspartei Fidesz, so sein Kalkül, ist kein Platz. 2018 wird wieder gewählt. Und Vona rechnet sich Chancen aus, Orbán zu schlagen. Dazu braucht er die Mitte, die enttäuschten Fidesz-Wähler, denen die Regierung zu gierig, zu selbstherrlich geworden ist. Die holt man nicht mit der Jagd auf Roma durch Bürgerwehren oder durch Listen jüdischer Mitbürger mit Doppelpass.

Der Grund für die Epiphanie hat also einen Namen. In Umfragen liegt Orbáns Partei zwischen 35 und 40 Prozent, mit dem auf die Interessen von Fidesz ausgerichteten Wahlrecht würde das wieder für eine alleinige Mehrheit im Parlament reichen. Vona allerdings glaubt nicht, dass Fidesz so stark ist. Die Umfragen seien irreführend, viele Wähler unzufrieden, Hunderttausende seien ins Ausland gegangen. Er will neuerdings Brücken bauen. "Sinn unseres Versuchs ist es auszuloten, ob es in Ungarn Unterstützung für einen nationalen Konsens gibt", sagt Vona.

Zweihundert Kilometer weiter südlich, im Rathaus von Szeged, sitzt hinter einem ebenso schweren Schreibtisch der andere Orbán-Herausforderer, der Sozialdemokrat László Botka. Seit 15 Jahren ist der 43-Jährige in der drittgrößten Kommune Ungarns Bürgermeister, der Linke verteidigt die letzte sozialdemokratische Bastion erfolgreich. "Modell Szeged" nennt er seine Politik und ist stolz, dass während der Flüchtlingskrise 2015 seine Stadt an der Grenze zu Serbien mit ihren Freiwilligen Zehntausenden Migranten auf dem Weg nach Norden Obdach und Hilfe boten. "So geht es auch, in Ungarn", sagt Botka und erzählt, dass der damalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in Szeged war und die Stadt für ihre Humanität lobte.

Linke wie Rechte müssen beweisen, dass Orbán schlagbar ist

Vor seiner Zeit als Bürgermeister saß Botka 16 Jahre lang im Budapester Parlament, mit 21 war er hineingewählt worden. Er kann also kämpfen. Auch jetzt geht er einen schweren Gang; die einstige Regierungspartei, die aus der sozialistischen Staatspartei hervorgegangen ist, liegt derzeit bei elf Prozent. Selbst wenn es eine gemeinsame Wahlallianz mit den anderen Kleinparteien gäbe, käme das linke Lager derzeit auf die Hälfte der Unterstützer, die Fidesz hat. "Wir müssen eine Million Unentschiedene überzeugen", sagt Botka. Sehr überzeugt klingt er aber selbst nicht.

Noch ist er nicht offiziell nominiert von seiner Partei, der MSZP; aber das Präsidium hat sich für ihn ausgesprochen, er arbeitet an einer Wahlplattform mit anderen Parteien. An diesem Samstag will der Zweimetermann auf einer Großveranstaltung erstmals seine Pläne vorstellen.

Fidesz kreiere eine permanente Krisenstimmung

Vona und Botka, die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber sie haben einen gemeinsamen Gegner, und eine gemeinsame Stoßrichtung. Sie müssen beweisen, dass Viktor Orbán schlagbar ist. Ihre Analysen ähneln sich, in Teilen. "Orbán arbeitet mit der Angst", sagt Botka, der Linke, "er will sie nicht vermindern, sondern vermehren. Er marschiert gegen Migranten, aber weil die Mehrheit der Ungarn nie Migranten gesehen hat, sucht er andere Feinde, etwa die EU."

Auch Vona, der ehemals Rechtsextreme, der sich jetzt "sehr konservativ" nennt, sieht im Angstmachen ein Grundprinzip von Fidesz: "Wenn die Bevölkerung Angst hat, fürchtet sie sich vor Veränderung. Dann will sie keine neue Regierung." Fidesz kreiere eine permanente Krisenstimmung, "aber dahinter steckt keine Regierungsarbeit, nur Psychologie."

Immer wieder hatten zuletzt Gerüchte kursiert, dass die Lager, die vereinte Linke und die radikale Rechte, gemeinsame Sache machen könnten, um Orbán nächstes Jahr zu besiegen. Vona schüttelt den Kopf, "niemals". Auch Botka ruft: "niemals".

Die Linke habe ihre Werte aufgegeben, konstatiert der Spitzenkandidat

Jobbik will es allein schaffen. Und erfindet sich nach außen neu. Eine Partei von Neonazis? Böse Nachrede. Inhaltlich bleibt Vona vage. Seine Partei sei nationalradikal gewesen und habe sich in eine nationale Volkspartei gewandelt. Ja, da habe es Heißsporne gegeben, die gegen Roma oder Juden hetzten. "In der neuen Jobbik toleriere ich das nicht mehr, keine antisemitischen, keine rassistischen Aussprüche. Wer sich daran nicht hält, gehört nicht zu uns."

Die Wunden in der ungarischen Gesellschaft seien so schmerzhaft, die Spaltung in politische Lager sei so tief, "dass das Land kaputtgeht, wenn wir nichts unternehmen." Zu viele Politiker hätten diese Spaltung vorangetrieben, Viktor Orbán, auch der ehemalige sozialistische Ministerpräsident und Intimfeind der Rechten, Ferenc Gyurcsány. Und ja, auch er selbst. "Aber ich bin aus diesem Koordinatensystem herausgetreten. Ich glaube nicht mehr an rechts und links."

Wenn sein Projekt Jobbik scheitert, tritt er zurück

Als Parteichef einer Partei, die aus dem völkischen Lager kommt, geht er ein gewaltiges Risiko ein, und er weiß das auch. Der Wandel kam schnell, unangekündigt. Viele Mitglieder können oder wollen ihm nicht folgen, ganze Ortsverbände treten aus. Die Umfragewerte stagnieren. Sollte er mit seinem Projekt Jobbik 2018 scheitern, werde er zurücktreten, sagt er.

László Botka wiederum fängt überhaupt erst so richtig an. Er ist ein großer, breiter Mann mit riesigen Händen, der wirkt, als habe er nie gelernt, seine Physis in Präsenz umzumünzen. Er will die MSZP inhaltlich, persönlich und im Stil ändern. Alles neu, auch hier. Die Linke habe ihre Werte aufgegeben und übersehen, dass die Moderne nicht für alle Wohlstand und Wachstum bereithalte; es gehe um Chancengleichheit und ökonomische Gerechtigkeit. 40 Prozent der Ungarn lebten an oder unter der Armutsgrenze, aber Orbán interessiere sich nur für die oberen zehn Prozent der Gesellschaft. Orbán baue auf Enttäuschung, auf negative Gefühle. Er, Botka, setze auf Solidarität, auf Hoffnung.

Aber bis dato kennen die meisten Ungarn diesen Herausforderer von Viktor Orbán nicht einmal. Und die MSZP ist derzeit vor allem mit einem Korruptionsskandal aus ihrer Regierungszeit vor 2010 in den Medien. László Botka, der sanfte Riese aus Szeged, wird die Hoffnung, die er verbreiten will, auch für sich selbst brauchen.

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