Ungarn:Im richtigen Film

Activist Gulyas speaks to a rally against the rule of Hungary's populist right-wing Prime Minister Orban in Budapest

Spricht sich für einen „kreativen Konflikt mit dem Staat“ aus: Márton Gulyas findet, es sei an der Zeit, Regierungschef Orbán „zu feuern“.

(Foto: Reuters)

Wie sich ein Künstler zu einem ernst zu nehmenden Gegenspieler von Premier Viktor Orbán entwickelt hat.

Von Peter Münch, Budapest

Wenn alles vorbei ist, dann will Márton Gulyás endlich wieder Regie führen. Die Idee für einen Film hat er seit Langem schon im Kopf. "Was Fiktionales", sagt er, "keine Dokumentation." Doch vorher, das weiß er, gibt es noch einiges zu tun. "Das erste Ziel ist es, Viktor Orbán zu feuern."

Márton Gulyás, 31 Jahre alt und schlaksig wie ein großer Junge, muss einiges auf sich nehmen für seinen Kampf gegen den ungarischen Premierminister und dessen Fidesz-Partei, die das Land seit 2010 beherrschen. Erstens ruht seine gesamte Kulturarbeit, Filme und Theaterprojekte. "Ich komme wirklich zu nichts anderem mehr, das frisst meine ganze Zeit", sagt er. Zweitens muss er sich von der Regierungspartei als "Staatsfeind" beschimpfen lassen, der Ungarns "innere Ordnung" störe. "Lächerlich" findet er das. Und drittens muss er sich mit den zersplitterten Oppositionsparteien des Landes herumschlagen und versuchen, sie auf eine Linie zu bringen. Das gehört sicher zu den größten Herausforderungen. "Es ist schon ein Desaster", meint Gulyás lächelnd.

Er selbst gehört keiner Partei an und versichert, dass er "nie Politiker werden" will. Sein Ziel ist, dass Ungarns Opposition "alle Kräfte gegen die wirkliche Gefahr und nicht gegeneinander richtet". Daran arbeitet er, seitdem er im April die Organisation "Ein Land für alle" gegründet hat. Auf 200 Aktivisten und 1800 freiwillige Helfer kann er mittlerweile zählen, und ein erstes Ausrufezeichen hat die Gruppe im September gesetzt: Auf dem Platz vor dem Parlament in Budapest hat sie einen runden Tisch eröffnet und alle politischen Parteien zur Mitarbeit an einem neuen Wahlgesetz aufgefordert.

Natürlich haben die Fidesz-Vertreter abgesagt. Schließlich hatten sie erst 2013 das Wahlrecht modifiziert und ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Dabei wurden unter anderem die Grenzen der Wahlbezirke so verschoben, dass Orbáns Partei bei der Parlamentswahl ein Jahr später mit gut 40 Prozent der Stimmen zwei Drittel der Sitze gewann. Dies gilt es für Fidesz nun zu verteidigen bei der nächsten Wahl, die im Frühjahr ansteht.

Die Opposition dagegen muss versuchen, Orbáns Übermacht etwas entgegenzusetzen. Dem Aufruf von Márton Gulyás folgten deshalb alle maßgeblichen Oppositionskräfte mit Ausnahme der rechten Jobbik-Partei, die sich mit Linken und Liberalen nicht gemeinmachen will. Vier Wochen lang wurde draußen vor dem Parlament debattiert und gerungen - und am Schluss feierlich ein gemeinsames Dokument unterzeichnet, das als neues Wahlgesetz im Parlament eingebracht werden soll.

Sechs Wochen sind seither vergangen, doch nichts ist passiert. Von Regierungsseite heißt es, das Gesetz sei "sinnlos". Im Parlament wurde es einem Komitee zugeleitet und dort fürs Erste begraben. "In absehbarer Zukunft wird es darüber keine Debatte geben", sagt auch Márton Gulyás. Frustration darüber aber gestattet er sich nicht. "Das ist keine Überraschung", erklärt er, "wir machen weiter und werden einen anderen Weg finden, sie zu zwingen, dieses Gesetz passieren zu lassen."

Gulyás denkt nun an Massenproteste, an eine breite Bewegung des zivilen Ungehorsams. Einen "kreativen Konflikt mit dem Staat" kündigt er an. Auch damit hat er Erfahrung. Im Frühjahr stand er vor Gericht, weil er einen Farbbeutel auf den Präsidentenpalast geworfen hatte. Wasserfarbe war das, abwaschbar und in Orange, der Fidesz-Farbe, weil er zeigen wollte, dass die Partei inzwischen alles beherrscht. Das Urteil nach einem Schnellverfahren: 300 Stunden gemeinnützige Arbeit. In seinem Schlusswort sagte Gulyás, er werde mit solchen Aktionen erst aufhören, wenn die Regierung aufhöre, die demokratischen Grundrechte einzuschränken. Die Richter forderte er auf, "ihren Job zu machen und jene vor Gericht zu stellen, die stehlen und die ungarische Nation unterdrücken".

Angst habe er keine, versichert Márton Gulyás. Als bekannter Aktivist sei er gut geschützt, und Ungarn habe "immer noch eine demokratische Gesellschaft". Regierungschef Orbán aber nennt er "einen Diktator" - einen mit "beschränktem Zugang zu den diktatorischen Werkzeugen". In vielem gebiete ihm die EU noch Einhalt, glaubt Gulyás, "aber er verschiebt die Grenzen immer weiter".

Márton Gulyás glaubt fest daran, dass Orbán seinen Zenit schon überschritten hat. Nur ein Drittel der Ungarn, so rechnet er unter Einbeziehung der Nicht-Wähler vor, habe bei der letzten Wahl für ihn gestimmt. "Ich glaube, dass 60 Prozent der ungarischen Bevölkerung längst die Nase voll haben von dieser Regierung", sagt er. "Ich muss eigentlich keinen mehr überzeugen. Was ich tun muss, ist nur zu sagen: Gebt die Hoffnung nicht auf, ein Wandel ist möglich."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: