Ungarischer Staatshaushalt:Geld nach Orbáns Gusto

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Der ungarische Premier Viktor Orbán kann nun freihändig Geld aus dem Staatshaushalt ausgeben.

(Foto: dpa)
  • Das ungarische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, mit dem es seine Haushaltskontrolle weitgehend aus der Hand gibt.
  • Über viele Ausgaben kann Viktor Orbáns Regierung künftig per Dekret entscheiden. Woher sie das Geld nimmt, muss sie dabei nicht angeben.
  • Das Gesetz ist höchst umstritten. Die Oppostion kündigt an, dass sie den Staatspräsidenten auffordern wird, es nicht zu unterzeichnen.

Von Cathrin Kahlweit

Das ungarische Parlament hat am Mittwoch in einem ungewöhnlichen Akt der Selbstbeschneidung durch eine Gesetzesänderung zugestimmt, die auf Initiative des Kanzleramtsministers von Viktor Orbán entstanden war: In Zukunft kann die Regierung, ohne das Parlament zu befragen, im laufenden Budgetjahr kurzfristig Geld aus dem Staatsetat per Dekret verwenden oder Mittel umschichten. Sie muss keine Rechenschaft über die Verwendung des Geldes ablegen.

Die Regierung kann also in Zukunft Mittel nach eigenem Gusto verwenden; erst hinterher muss für eine Deckung der Ausgaben gesorgt werden. Die bisher geltende Budgetregel, nach der die Regierung in der jeweils ersten Hälfte des Haushaltsjahres nicht mehr als 40 Prozent der freien Mittel ausgeben darf, werde nicht angetastet, heißt es. Bisher war für Umschichtungen im Staatshaushalt die Zustimmung der Abgeordneten nötig gewesen.

In der vergangenen Woche hatte das Budgetkomitee des Abgeordnetenhauses den Vorschlag nach Berichten des Finanzportals portfolio.hu in gerade mal 20 Minuten durchgewinkt; am Mittwoch stimmte dann eine Mehrheit der Parlamentarier dem Zusatz zum Gesetz über öffentliche Finanzen zu. Orbáns Fraktion hat im Parlament zwar seit einem Jahr keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit mehr, kann aber aufgrund ihrer Stärke - von Fall zu Fall unterstützt von der rechtsextremen Jobbik-Partei - weitgehend ungehindert walten.

"Das kann kein Finanzminister zulassen."

Das letzte Mal, dass die Regierung sich per Dekret Zugriff auf die Staatsfinanzen verschaffen konnte, heißt es in ungarischen Medien, sei vor der Wende gewesen - also noch zu jenen Zeiten, in denen Ungarn eine sozialistische Republik war. Die Opposition hatte vergeblich mit mehreren Änderungsvorschlägen versucht, das Gesetz zu modifizieren oder gar zu verhindern. Damit werde ein über Jahrhunderte erkämpftes Recht freiwillig aufgegeben, sagten Kritiker: dass nämlich Volksvertreter die Kontrolle über die Ausgaben der Exekutive haben und damit über die Budgethoheit verfügen.

Laut dem ehemaligen Finanzminister Lajos Bokros, einem langjährigen Kritiker der Orbán-Regierung, könne "kein Finanzminister, der auch nur einen Funken Selbstrespekt hat, zulassen, dass das Budget der Kontrolle des Parlaments entzogen wird". Im alljährlich festzulegenden Haushalt entscheide die Legislative darüber, welche Prioritäten sie setze und wie das Geld verteilt werde. Keine ökonomische Entscheidung sei wichtiger als diese.

Opposition will Ratifizierung verhindern

Der sozialistische Abgeordnete Sándor Burány kündigte an, dass die Opposition den Staatspräsidenten auffordern werde, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Die Regierung von Premier Orbán müsse daran gehindert werden, per Dekret regieren zu können. Derzeit kämpft die Opposition auch gegen das geplante Antiterror-Gesetz, das es der Exekutive ermöglichen würde, in Krisenzeiten eine Weile per Dekret zu regieren.

Andere Kritiker warfen Orbán vor, mit der Novelle des Gesetzes zu den öffentlichen Finanzen die Transparenz des Regierungshandelns zu untergraben. Wer sich nicht mehr für Umschichtungen im Haushalt rechtfertigen und das Parlament davon nicht einmal mehr unterrichten und den Finanzausschuss nicht mehr befassen lassen müsse, erschwere bewusst und absichtlich jede öffentliche Kontrolle.

Gesetz soll "positive Entwicklung des Landes" fördern

Das Internetportal portfolio.hu hatte vor der Abstimmung berichtet, dass Wirtschaftsminister Mihály Varga vom Vorstoß seines Kollegen aus dem Kanzleramt überrascht worden sei und das Gesetz zunächst zu verhindern versucht habe. Auf Nachfrage ließ Varga dem Medium aber später kurioserweise ausrichten, er sei zwar nicht mit der Novelle befasst gewesen, halte die Aufregung aber für übertrieben, weil sich praktisch nichts ändere.

Der Initiator der Novelle, Kanzleramtsminister János Lázár, argumentierte, die Übertragung der Autorität für die freihändige Verwendung von überschüssigen Mitteln aus dem Staatshaushalt an die Regierung sei nötig, um die "positive Entwicklung des Landes" zu fördern. Bisher sei das nicht möglich gewesen.

Zu Beginn von Orbáns zweiter Amtszeit 2010 hatte die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz-MPSZ die Befugnisse des Verfassungsgerichts beschnitten. Danach durfte das Verfassungsgericht Gesetze, die Budget, Steuern, Gebühren und Beiträge betreffen, nur noch im Fall "der Verletzung einzelner Grundrechte" aufheben.

Das höchste Gericht darf sich zu Finanzthemen also jetzt nur noch äußern, wenn Menschenrechte, das Recht auf Leben und die Menschenwürde, der Schutz der persönlichen Daten oder die Religions-und Gewissensfreiheit betroffen sind. Die Idee der MSZP, der sozialistischen Partei im Parlament, nun die jüngste Novelle dem Verfassungsgericht vorzulegen, dürfte also müßig sein - laut Interpretation der Regierung in Budapest wären die Richter dafür gar nicht mehr zuständig.

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